POLITIK

Mehr miteinander, weniger übereinander reden

lw; 10.01.2024, 15:24 Uhr
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Fotos: Lars Weber --- Sie führten durch den Abend (v.li.): Superintendant Michael Braun, Belma Hadzeric, Leiterin der Evangelischen Beratungsstelle für Flüchtlinge des Kirchenkreises An der Agger, Pfarrerin Kirsti Greier und Bürgermeister Hilko Redenius.
POLITIK

Mehr miteinander, weniger übereinander reden

lw; 10.01.2024, 15:24 Uhr
Nümbrecht – Fast der halbe Ort Marienberghausen kommt zum Gesprächsforum der evangelischen Kirche im Gemeindehaus – Diskussion wird zum Ende hin emotional.

Von Lars Weber

 

Rund 200 Menschen sind gestern Abend zum Angebot der evangelischen Kirchengemeinde Marienberghausen gekommen, um sich über die Situation der Flüchtlinge in der Gemeinde Nümbrecht auszutauschen. Die große Mehrheit der Gäste hatte es nicht weit, sie kamen alle aus dem Dorf. Anstoß für das Treffen hatten die Entwicklungen Mitte Dezember gegeben, als kurzfristig ein Gelände neben dem Unternehmen Thönes für eine Landesunterkunft infrage kam. 1.000 Unterschriften wurden dagegen gesammelt. Nachdem Bürgermeister Hilko Redenius dem Land eine Absage erteilt hatte, wurde eine damals geplante Demonstration zwar abgesagt. An dem Diskussionsabend wurde aber festgehalten. OA gibt einen Überblick über das Gesprächsforum.

 

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Die Diskussionsteilnehmer

 

Gefragtester Mann war wenig überraschend Nümbrechts Bürgermeister Hilko Redenius. Nachdem er einleitend die Situation in der Gemeinde dargestellt hatte, stellte er sich sämtlichen Fragen und Anmerkungen. Aus der Ruhe ließ er sich dabei nicht bringen, selbst als ihm an einer Stelle der Diskussion vorgeworfen wurde, sich als Opfer darzustellen. „Ich bin an Recht und Gesetz gebunden. Ich trete ihnen ehrlich gegenüber“, sagte Redenius zu den Anwesenden.

 

Auf dem Podium saß aber auch Belma Hadzeric (Foto), Leiterin der Evangelischen Beratungsstelle für Flüchtlinge des Kirchenkreises An der Agger. „Die Herausforderungen sind überall ähnlich“, sagte sie mit Blick auf die Situation auf sämtliche oberbergische Kommunen. Die geflüchteten Menschen, die in den Kreis kommen, suchten hier Schutz. Es sei wichtig, ihnen menschenwürdige Unterkünfte zu bieten. Bei der Integration seien alle gefragt: Die Geflüchteten, aber auch die Bürger vor Ort.

 

Die Moderation übernahm Michael Braun, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises An der Agger. „Es ist wichtig, miteinander zu reden, und nicht übereinander“, sagte er. Der Abend solle Raum geben, über Kritik, aber auch Sorgen und Ängste zu sprechen. Genau dafür gab Braun den Besuchern viel Platz. Das Vertrauen in eine sachliche Gesprächskultur zahlte sich aus, lediglich am Ende der rund 130 Minuten drifteten einige wenige Gäste ab. „Wenn ich an einem Flüchtlingsheim vorbeifahre, schließe ich die Autotüren“, hieß es da.  

 

Die Zahlen für Nümbrecht

 

Aktuell seien 250 nicht anerkannte Flüchtlinge in der Gemeinde, dazu 149 Flüchtlinge mit Wohnsitzauflage, also insgesamt 399 Menschen. 96 von ihnen seien privat untergebracht, meist Ukrainer. Sprich: Für sie muss die Gemeinde nicht selbst eine Unterkunft zur Verfügung stellen. Eine Aufnahmeverpflichtung habe die Gemeinde aufgrund des Verteilungsschlüssels aktuell für weitere 159 Menschen. Redenius betonte zugleich, dass dies nur eine Momentaufnahme sei. Kommen viel mehr Menschen nach Deutschland und NRW, verändere sich die Zahl nach oben, kommen weniger, reduziere sich die Zahl auch für Nümbrecht.

 

Fast 60 Prozent der in Nümbrecht lebenden Flüchtlinge kommen aus Syrien, der Ukraine und Afghanistan. Die restliche 40 Prozent kommen von Ländern „rund um den Globus“. Etwa die Hälfte seien Alleinreisende, die andere Hälfte Familien.

 

Rechne man sämtliche 27 vorhandenen meist gemieteten Unterbringungsmöglichkeiten im gesamten Gemeindegebiet zusammen, gebe es bei optimaler Belegung momentan 354 Plätze. Bei der Verteilung müsse aber auf vieles geachtet werden: die Nationalitäten, die Konfessionen und und und. „Menschen sind keine Stapelware“, sagte Redenius eindringlich. Durch die Aufstockung der Container in Berkenroth und weitere Anmietungen kommen weitere Plätze dazu. Redenius rechnet, dass etwa 73 gerade frei sind, sprich weit weniger als die Gemeinde aktuell noch aufnehmen müsste. Wie lange die Plätze noch „reichen“, kommt nun auf die Entwicklung der Flüchtlingszahlen an, vielleicht bis März, vielleicht bis Sommer, vielleicht auch länger. „Eine vorausschauende Planung ist für uns nicht möglich.“ Die Verwaltung müsse mit jenen Wohnungs- und Grundstücksangeboten arbeiten, die sie erreichen.  

 

 

Die Situation in Marienberghausen

 

Eine Landesunterkunft für bis zu 500 Menschen an der Landstraße neben dem Unternehmen Thönes ist vom Tisch. Das Grundstück wurde bekanntermaßen aber auch der Gemeinde angeboten, was Redenius nochmal bestätigte. Allerdings ist er kein Freund davon, dort eine Containeranlage ähnlich jener in Berkenroth für rund 30 Personen hinzustellen. Dafür existierten keine Pläne. „Ich will das nicht.“ Für ihn sei der Standort zu weit von der Wohnbebauung, von den Menschen weg, die für eine Integration sorgen könnten. Dieser Faktor ist ihm wichtiger als beispielsweise ein Supermarkt in der Nähe. „Integration heißt die Nähe zu Menschen.“

 

Sein Problem: Wenn die Zahlen weiter steigen, wird die Verwaltung gemeinsam mit der Politik über Standorte sprechen müssen, die ihnen selbst nicht gefallen. Dazu gehören Sporthallen oder Dorfgemeinschaftshäuser, dazu gehört aber auch das Grundstück bei Marienberghausen. „Ich will das nicht, aber ich kann es nicht ausschließen“, verwies er auf die Aufgaben und Pflichten der Kommunen.  Aktuell lebe eine Flüchtlingsfamilie in Marienberghausen. Dass es mehr Familien werden, ist unwahrscheinlich, da die Schulklassen voll seien.

 

Der Brandbrief

 

Angesprochen wurde Redenius auf den Brandbrief der Bürgermeister Nordrhein-Westfalens an die Bundesregierung, dem er sich angeschlossen hatte. Darin werde ein dringendes, konsequentes Handeln der Bundespolitik bezüglich des unkontrollierten Zuzugs gefordert. „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand.“  Wenn die Zahl der Geflüchteten weiter ansteige, sei dies für die Kommunen einfach nicht mehr zu leisten. „In Containern kann man nicht jahrelang menschenwürdig wohnen!“ Lange hielte Deutschland das so nicht mehr durch. Redenius hielt aber fest: „Für verfolgte Menschen muss alles möglich gemacht werden.“

 

Das Gerücht

 

Einem im Ort kursierenden Gerücht zufolge soll in der Verwaltung darüber gesprochen worden sein, in Höferhof Container aufzustellen. Dem widersprach Redenius kurz und knapp.

 

Die Bedenken

 

Im Zentrum der Bedenken der Marienberghausener bei einer möglichen Containerlösung steht die fehlende Infrastruktur im Ort. Keine Busse, kein Supermarkt, keine Ärzte, keine Treffpunkte, dies sei den Menschen nicht zuzumuten. Sogar vom „Aussetzen“ der Flüchtlinge oder „nach außen abschieben“ wurde gesprochen. Viele Gäste, die das Wort ergriffen, verlangten eine gleichmäßige Verteilung gemäß den Einwohnerzahlen in den Orten.

 

Sie verwiesen darauf, dass es anderswo ebenfalls Wiesen gebe oder zum Beispiel auch den Festplatz am Schulzentrum im Hauptort. Dort, in direkter Schulnähe, möchte Redenius aber keine Container hinstellen. Er verwies auf andere Orte, in denen die Menschen untergebracht seien, und die Infrastruktur sich kaum anders darstelle. Bedenken wurden aber auch hinsichtlich der Ausstattung der Container geäußert, vor allem die sanitären Gemeinschaftsanlagen seien ein „Unding“.

 

 

Die Sicherheit

 

Sorge um die ankommenden Menschen war das eine. Viele treibt aber auch der Gedanke um, wie sich der Ort verändern könnte, wenn beispielsweise rund 30 Menschen in Containern untergebracht werden. Vor allem die Sicherheit, das kam immer wieder durch, sehen manche Redner gefährdet. So erzählte eine junge Frau, dass sie selbst als Jugendliche frustriert gewesen sei, ohne Auto nirgends hinzukommen aus dem Ort. Sie habe Sorge, was diese Frustration mit diesen Menschen machen könne. „Ich als junge Frau möchte dort nicht entlanglaufen.“

 

Die Unterstützer

 

Solchen Ängsten und Sorgen versuchten Ehrenamtliche der Nümbrechter Flüchtlingshilfe mit Erfahrungsberichten entgegenzutreten. Sie zeigten sich teils „erschrocken“ über einige Äußerungen am Ende des Abends. „Acht Jahre lang bin ich dabei, noch keiner hat sich danebenbenommen. Hier wird viel Angst aufgebaut, die nicht nötig ist.“ Es sei wichtig, eine andere Kultur verstehen zu wollen, die Hand zu reichen. Allerdings müsse wirklich über die Unterkunft gesprochen werden, wenn zum Beispiel drei Menschen auf nur zehn Quadratmetern unterbracht sind. Ein Helfer wünschte sich, dass die Bürokratie endlich beweglicher werde, dann könnten sich weitere Möglichkeit eröffnen.

 

„Wir müssen auch selbst bereit und offen sein, Erfahrungen zu machen“, sagte eine Sozialarbeiterin. „Warum sollte ein Flüchtlingscafé nicht auch in Marienberghausen möglich sein“, fragte Belma Hadzeric in die Runde.

Hilko Redenius betonte, dass ohne das Engagement vieler Menschen in Nümbrecht an Integration nicht zu denken wäre. Dazu gehört die Flüchtlingshilfe, Nachbarn, die die Menschen einfach mal einladen, aber auch Mitarbeiter der Verwaltung, wie eine Casemanagerin, die die angekommenen Menschen betreut. Auch ein „Kümmerer“ sei eingestellt worden, der durch die Unterkünfte gehe, um vor Ort zu hören, wie es den Menschen gehe.

 

Auch dies gehöre dazu, um die Sicherheit zu wahren. Darüber hinaus arbeite man natürlich mit der Polizei zusammen, es gibt das Ordnungsamt. „Eine 100-prozentige Sicherheit werde ich aber niemals garantieren können.“ Einige unehrliche Menschen gebe es schließlich überall.

 

Das Fazit

 

Unverständnis über das Verteilungssystem, über die generelle Flüchtlingspolitik, die Sorge um die Bedürfnisse der in Deutschland Schutz suchenden Menschen, die Bedenken darüber, wenn in einem kleinen Ort große Veränderungen passieren könnten: Zwischen diesen Polen pendelte der Diskussionsabend. „Es war richtig, die Sorgen, Ängste und Emotionen zu teilen“, sagte Superintendent Michael Braun. „Das Thema bewegt, der Abend musste sein“, ergänzte Pfarrerin Kirsti Greier. Und es solle nicht das Ende der Diskussion sein. Weitere Termine sollen folgen. In welcher Form, werde noch besprochen.

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