POLITIK

„Glaspalast“ vs. „Verwaltungsgebäude ohne Schnickschnack“

lw; 28.03.2025, 11:38 Uhr
Fotos/Grafiken: OBK/Hascher Jehle Architektur, Berlin.
POLITIK

„Glaspalast“ vs. „Verwaltungsgebäude ohne Schnickschnack“

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lw; 28.03.2025, 11:38 Uhr
Oberberg – Kreistag fasst mehrheitlich Baubeschluss für den ersten Bauabschnitt – Kosten über fast 93 Millionen Euro – Opposition scheitert mit Anträgen (AKTUALISIERT).

Von Lars Weber

 

Wer der namentlichen Abstimmung über den Beschluss über den Bau des ersten Abschnitts der Kreishauserweiterung gestern im Lindlarer Kulturzentrum folgte, hätte den Eindruck bekommen können, dass es spannend werden könnte. Die Stimmen für und dagegen hielten sich lange die Waage, bevor das Ergebnis von 33 zu 27 stand und der Baubeschluss für das 92,8 Millionen Euro teure Gebäude schließlich Gewissheit war.

 

Wer die Diskussion im Vorfeld der Abstimmung verfolgt hatte, der hatte jedoch keinen Zweifel daran, dass die Kreistagsmitglieder der Mehrheitsparteien (CDU, FDP/FWO/DU, UWG) alle auf Kurs waren und geschlossen mit „Ja“ stimmen werden. Letzte Versuche der SPD und der Grünen, angesichts der riesigen Summe doch nochmal innezuhalten, scheiterten. Der Mehrheit reichte der CDU-Antrag aus, vor der Ausschreibung die Kosten nochmal unter dem Aspekt weiterer Einsparpotenziale zusammen mit Experten zu prüfen. Der Beschluss sollte aber sofort gefasst, keine weitere Zeit verschwendet werden. OA gibt einen Überblick über die Positionen:

 

Das sagt der Landrat

 

Landrat Jochen Hagt blickte auf die vergangenen 15 Jahre zurück, seitdem die Gemeindeprüfungsanstalt die Empfehlung gemacht hatte, die Zentralisierung anzustreben. Weg von inzwischen 22 Liegenschaften in Gummersbach unter ein Dach – damit sollen Kosten gespart (für Miete, für hohen Energieverbrauch in unsanierten, ineffizienten Gebäuden, für deren Instandhaltung, und und und), die Arbeitsabläufe optimiert, moderne Arbeitsplätze geschaffen und die Bürgerfreundlichkeit erhöht werden. Hagt erinnerte an Machbarkeitsstudien, die gezeigt hätten: Die Zentralisierung an der Moltkestraße sei billiger als auf der grünen Wiese neu zu bauen oder leere Bestandsimmobilien zu sanieren.

 

 

Er ging auch auf die Kostensteigerungen durch Pandemie und Ukrainekrieg ein. „Und die Baukosten werden weiter steigen.“ Der Nutzen des Anbaus und die Einsparungen wiegten mehr als die Kosten. „Es wird ein Verwaltungsgebäude ohne Schnickschnack“, das die Verwaltungsstruktur zukunftssicher mache. Der Vorwurf der Opposition, der Bau sei das „Abschiedsgeschenk“ an den im Herbst scheidenden Landrat, wies er angefasst von sich. „Ich bin seit über 30 Jahren beim Kreis, ich habe Verantwortung für die Mitarbeiter hier, ich brauche kein Abschiedsgeschenk.“ Die Fürsorgepflicht für die Bediensteten sei ihm wichtig, zumal gerade im Jugendamt die Mitarbeiter in „teils schwierigem Umfeld“ geschützt werden müssen. Diese Sicherheit wird der Anbau bieten.

 

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Kurz vor knapp gibt’s noch neue Zahlen

 

Baudezernent Felix Ammann lieferte zudem neue Zahlen: So habe der Anbau eine Nettogrundfläche von 10.600 Quadratmetern (also inklusive Flure, sanitäre Anlagen, Technikräume etc.), was übertragen auf den Baupreis 8.700 Euro pro Quadratmeter ergebe. Im Vergleich zu anderen Bauvorhaben des Kreises (Agewis III für 15 Millionen Euro, 7.700 Euro pro Quadratmeter, das neue Straßenverkehrsamt, 7.200 Euro pro Quadratmeter) falle die Erweiterung nicht aus dem Rahmen.

 

Mit diesen Vergleichen reagierte der Kreis auf einen Zeitungsbericht, in dem Volker Müller, Geschäftsführer der Gummersbacher Wohnungsbaugesellschaft und mit viel Expertise ausgestattet, auf die bis dahin bekannten Zahlen geschaut hatte und die Auffassung vertrat, dass der Kreis günstiger bauen könnte. Ammann widersprach zudem der kursierenden Information, ein Geschäftsmann habe der Verwaltung in Wiehl ein Bürogebäude als Anbaualternative angeboten – Kostenpunkt: 12,5 Millionen Euro inklusive Sanierung. Dieses Angebot habe es nicht gegeben, so Ammann. Und Immobilien hätten sie sich in Wiehl nur als Erweiterungsoptionen für die Helen-Keller-Schule angeschaut.

 

Das sagt die Opposition

 

Für SPD und Grüne waren diese notwendigen Klarstellungen der Verwaltung Wasser auf die Mühlen, die klar machten: Es fehlt für eine sofortige Entscheidung noch Zeit, es fehlten noch Informationen. Für SPD und Grüne sprachen die beiden Landratskandidaten: Dr. Sven Lichtmann für die Sozialdemokraten und Bernadette Reinery-Hausmann. Beide machten deutlich: Auch sie möchten moderne, attraktive Arbeitsplätze für die Kreisbediensteten. Aber den Anbau schätzten sie trotzdem anders ein als Verwaltung und Mehrheitsparteien. „Überdimensioniert“ sei die Planung immer noch, auch wenn mit der Bedarfsanalyse und der Einbindung der Arbeitsweltentwicklungen „richtige Schritte“ erfolgt seien, so Dr. Sven Lichtmann. Allerdings würde man noch weniger Platz brauchen, wenn die Digitalisierung vollständig umgesetzt worden sei und das Thema Künstliche Intelligenz Arbeitsabläufe weiter vereinfachen werde.

 

 

Vor allem aber ging es um die Kosten. „Die schlimmsten Erwartungen wurden übertroffen“, so Lichtmann weiter. Die Sozialdemokraten hatten von Anfang gewarnt, dass 60 Millionen Euro niemals reichen werden und seien ausgelacht worden. Er warf Verwaltung und CDU, FDP/FWO/DU und UWG vor, taktiert und wichtige Zahlen vorenthalten zu haben. Man habe angesichts der explodierenden Kosten „keinen Gedanken daran verschwendet“, doch nochmal über den Standort nachzudenken. „Wir brauchen keinen Glaspalast an der Moltkestraße!“ In nur einer Sitzungsfolge solch eine gewichtige Entscheidung zu treffen, sei dem Projekt nicht angemessen. Falls die Bauabschnitte zwei und drei nicht realisiert werden sollen, brauche man zudem ein Liegenschaftskonzept für jene Ämter, die nun nicht umziehen werden.

 

Die SPD beantragte daher ein Moratorium, um an dieser Stelle die Pause-Taste zu drücken, ehrlich miteinander zu reden und unabhängige Fachleute und auch Bürgermeister hinzuziehen. Im Antrag sprachen die Sozialdemokraten von einem Jahr. „Vielleicht geht es aber schneller.“ Lichtmann betonte, dass die CDU doch ähnlich denke und verwies auf den Ergänzungsantrag, der nur mündlich eingebracht worden war. Er wiederholte den Vorwurf, dass vor der Kommunalwahl im Herbst der Beschluss durchgedrückt werden solle aus Angst, die Mehrheit zu verlieren. Das Argument, dass der Bau später noch teurer werden würde, ließ Lichtmann nicht gelten: „Dann müssten wir den zweiten und dritten Bauabschnitt ja auch sofort bauen.“

 

Bernadette Reinery-Hausmann und die Grünen wollten ebenfalls per Antrag die Pause-Taste betätigen, um die Kosten von unabhängigen Fachleuten prüfen zu lassen und über Alternativen nachzudenken. „Das ist ein verschwenderischer Umgang mit Steuergeldern! In welcher Welt leben Politik und Verwaltung?“ Viele Menschen hätten aktuell Angst um die Zukunft. Und in dieser Zeit möchte der Kreis einen „pompösen und protzigen Bau“ realisieren? Dies werde nur zu noch mehr Politikverdrossenheit führen und rechten Parteien in die Hände spielen. 

 

„Stattdessen sollten nun vernünftige und pragmatische Lösungen gesucht werden.“ Ein Jugendamt, das gerade auf fünf Standorte verteilt ist, könnte auch an einem anderen Standort vereint werden. Das Geld aus Pensionsrückstellungen sollte besser in „verfallende Schulen“ und „marode Straßen“ im Kreis fließen. „Lassen Sie uns jetzt die Reißleine ziehen!“ Die namentliche Abstimmung beantragen sowohl SPD als auch Grüne.

 

Weder der Antrag der SPD noch der Antrag der Grünen bekam keine Mehrheit.

 

Das sagen CDU, FDP/FWO/DU und UWG

 

Die Mehrheitsparteien ließen sich nicht aus der Reserve locken. Die Opposition habe eine „vorgefertigte Meinung“ und das Ziel, Zweifel zu erwecken, meinte CDU-Fraktionschef Michael Stefer. Wie schon der Landrat ging auch er auf den Auftrag der Gemeindeprüfungsanstalt NRW ein. Man habe bald 15 Jahre geplant und geredet. Das Projektsteuerungsbüro habe eine solide Kalkulation auf die Beine gestellt, die auch schon Risiken mitberücksichtigt. Der Weg der Finanzierung sei gut und wirtschaftlich. „Jetzt muss ein Beschluss für die Zukunft gefasst werden. Je länger wir warten, desto teurer wird es!“

 

Reinhold Müller, FDP/FWO/DU-Fraktionschef, verwies nochmal auf die Zustände, unter denen die Beschäftigten aktuell arbeiten und auch Bürger empfangen müssten. „Es geht darum, dass Abläufe überhaupt wieder funktionieren, es geht um eine Sicherheitszone für Mitarbeiter.“ Dies hab man vor zehn Jahren noch nicht benötigt. Es gehe weiter um einen energetischen Standard. Weitere Ideen auch für Kostenreduzierungen könnten im Prozess bis zur Ausschreibung an einen Generalunternehmer eingebracht werden. Klaus Solbach (UWG) bekräftigte: „Die Zentralisierung ist die einzig richtige Lösung.“ Wenn der Prozess nun gestoppt werde, würde sie dies um Jahre zurückwerfen.  

 

Wie geht es weiter?

 

Mit dem positiven Votum für den Bau des ersten Bauabschnitts und für die Finanzierung können die Planungen für den Anbau nun weitergeführt werden. Wichtige nächste Meilensteine werden eine Bauplanänderung und die Vergabe an einen Generalunternehmer sein. Baustart soll im Oktober 2027 sein. Drei Jahre später soll die Erweiterung fertig sein.

 

+++1. Meldung (Donnerstag, 19 Uhr)+++

 

Der Kreistag hat heute bei seiner Sitzung im Lindlarer Kulturzentrum den Weg freigemacht für die Kreishauserweiterung. Er stimmte mehrheitlich für den Baubeschluss für den ersten Bauabschnitt, mit dem 60 Prozent der benötigten Fläche gedeckt sein soll. Mit der Maßnahme soll die Verwaltung am jetzigen Standort zentralisiert werden. Aktuell arbeiten viele Mitarbeiter in teils veralteten und für den Besucherverkehr ungeeigneten Immobilien - insgesamt 22 dieser Liegenschaften gibt es in Gummersbach.

 

Kosten soll der erste Bauabschnitt 92,8 Millionen Euro (OA berichtete). Finanziert werden soll das, indem fällige Wertpapiere (Gegenwert 19,5 Millionen Euro) kreditweise eingesetzt werden. Zudem möchte der Kreis über zehn Jahre lang insgesamt 77,5 Millionen Euro aus liquiden Mitteln zur Pensionsrücklage entnehmen. Auf große Kredite mit teuren Zinsen soll so verzichtet werden (OA berichtete).

 

Um die Kosten hatte es im Kreistag große Diskussionen gegeben. Die Grünen hatten einen Antrag eingebracht, um die Kosten unabhängig prüfen zu lassen. Die SPD-Fraktion hatte ein Moratorium beantragt, um die Abstimmung über den Baubeschluss um ein Jahr zu schieben, in dem sich nochmals ausgetauscht werden sollte. Beide Anträge bekamen keine Mehrheit. 

 

Letztlich setzten sich die Mehrheitsparteien CDU, FDP/FWO/DU und UWG knapp durch. 33 stimmten für den Verwaltungsvorschlag, 27 waren dagegen. Es gab eine Enthaltung. Ergänzt wurde der Beschlussvorschlag von einem Antrag der CDU, die Kostenschätzung vor der Ausscheibung nochmals gemeinsam mit Experten zu überprüfen.

 

Der zweite und dritte Bauabschnitt soll zunächst noch nicht realisiert werden. Inklusive des ersten Bauabschnitts würde die Maßnahme nach aktuellen Rechnungen 143 Millionen Euro kosten.

KOMMENTARE

1

Das nennt man „Zukunftsentwicklung“!!!
Genau so ist es richtig!
Finde es toll, dass die Politik so entschieden hat.
Die Negativstimmen rechts und links muss man anhören und natürlich auch bewerten.
Es ist aber definitiv eine gut angelegte Investition für den Standort Oberberg und vor allem auch überfällig.
Es stellt neue weichen für die Zukunft.
Ich freue mich sehr darüber und zahle gerne Steuern dafür…:-)

N.B., 27.03.2025, 19:12 Uhr
2

Hamburg hat die Elbphilharmonie, wir haben - dank dem blinden Abnicken - ein Denkmal für Hagt und Ammann. Ich wette schon mal, dass allein die 100 Mio. beim ersten (!) Bauabschnitt locker gerissen werden, wo dann alle Protagonisten Krokodilstränen vergießen und totales Erstaunen heucheln. Zu groß und zu teuer ist das Eine - die katastrophale Finanzierung über die Pensionsrücklagen ist unverantwortlich. Und was passiert, wenn diese Rücklagen für ihren eigentlichen Zweck gebraucht werden? Gerade kein Geld da, egal - da der Kreis umlagefinanziert ist, quetschen wir halt die Kommunen noch etwas mehr aus, die schwimmen ja bekanntlich im Geld.
Aber wie immer, wird das Stimmvieh bis dahin bestimmt wieder vergessen haben, wer ihm das eingebrockt hat...
...meint Hoschi

Hoschi, 28.03.2025, 16:22 Uhr
3

So fördert man Politikverdrossenheit. Statt eines Zweckbaus gehnemigt man sich einen Glaspalast. Unfassbar.

In Engelskirche votierte die Engelskirchner CDU noch vehement gegen das Projekt Alte Bücherei, in Gummersbach wird der Glaspalast ohne Bedenken durchgewunken.

Erstaunlich ist

Oberberger, 28.03.2025, 17:24 Uhr
4

Vielleicht spart man ja auch 10 Mio. an Mieten, Energiekosten, Instandhaltungen usw. Pro Jahr bei den ganzen alten Buden oder angemieteten Objekten.
Dann wäre das ganze in 10 Jahren bezahlt. Na sowas, hört sich nach einer guten Entscheidung an.
Selbst wenn es nur 2 oder 5 Mio sind, wäre es auch top!
Was hat das alles bitte mit „Denkmal“ setzen zu tun. Wenn ich es richtig lese kaspert man an der Entscheidung schon 15 Jahre dran rum.
Gab es da Hr. Hagt oder Amman schon? Nein,…denke nicht.
Dafür ist es aber heute doppelt so teuer, weil so lange gezögert wurde.
Entweder jetzt oder es wird nie was!

N.B., 28.03.2025, 20:30 Uhr
5

Völlig aus der Zeit gefallen. Hier wird fremdes Steuergeld der Kommunen rausgeschmissen.

Frank Marmor, 28.03.2025, 22:36 Uhr
6

Die Verwaltung benötigt Platz, um zu verwalten. Sie benötigt Fachkräfte - die knapp sind - um noch mehr zu verwalten. Zu oft müssen die Defizite verwaltet werden. Eine Diskussion über den Abbau von Bürokratie und Modernisierung der Verwaltungsvorgänge wäre von Nöten. Und wenn dazu Neubauten benötigt werden, gerne zum Nutzen der Bürger. Das die finanzielle Planung am Ende vollständig aus dem Ruder laufen wird, sollte uns nicht überraschen. Es plant ja die Verwaltung.

Firstbase, 29.03.2025, 20:37 Uhr
0 von 800 Zeichen
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