BLAULICHT

Nach Polizeischüssen in Gummersbach: Staatsanwaltschaft fordert Unterbringung in Psychiatrie

pn; 29.10.2024, 22:30 Uhr
Archivfoto: Peter Notbohm ---- Die Staatsanwaltschaft fordert die Unterbringung in einer Forensik für einen 31-jährigen Gummersbacher. Der Mann soll im vergangenen November Polizisten mit einem Teppichmesser attackiert haben und war daraufhin mit mehreren Schüssen außer Gefecht gesetzt worden.
BLAULICHT

Nach Polizeischüssen in Gummersbach: Staatsanwaltschaft fordert Unterbringung in Psychiatrie

pn; 29.10.2024, 22:30 Uhr
Gummersbach - Urteil soll am Donnerstag fallen - Zwei Gutachter bejahen Gefährlichkeitsprognose des Angeklagten - Verteidigung übt scharfe Kritik am Vorgehen der Ermittlungsbehörden.

Von Peter Notbohm

 

In zwei Wochen jähren sich die Schüsse vor dem Gummersbacher Backwerk. Polizisten hatten am 14. November des vergangenen Jahres Alex H. (Anm.d.Red.: Name geändert) mit mehreren Kugeln niedergestreckt, nachdem der 31-jährige Gummersbacher die Beamten nach einem Diebstahl von drei Bierdosen im Gummersbacher Dornseifer mit einem Teppichmesser attackiert hatte. Der Vorfall hatte damals bundesweite Aufmerksamkeit auf sich gezogen, nachdem eine Videoaufnahme der Schüsse binnen Minuten über die sozialen Medien viral gegangen war (OA berichtete). Der Mann verlor durch die Schüsse in Beine, Bauch und Hände mehrere Finger und ist von den Verletzungen gezeichnet.

 

Nun steht auch die juristische Aufarbeitung der Vorwürfe gegen Alex H. vor dem Abschluss. Nachdem das Amtsgericht Gummersbach den Fall im Juni nach vier Verhandlungstagen an das Landgericht Köln verwiesen hatte (OA berichtete), wurden dort am Dienstag am achten Verhandlungstag die Plädoyers gehalten. Das Urteil soll am Donnerstagvormittag fallen. In dem Verfahren ging es vor allem darum, ob der Angeklagte ins Gefängnis oder doch in ein psychiatrisches Krankenhaus gehört.

 

Die Staatsanwaltschaft beantwortete diese Frage geteilt. Ausführlich ging die Staatsanwältin in ihrem rund 30-minütigen Plädoyer auf die vier Vorwürfe gegen Alex H. ein und wie sie aus ihrer Sicht juristisch zu bewerten sind. Für den Angriff auf seinen Vermieter im Oktober 2022 und die Attacke auf zwei Polizisten im Juni 2023 forderte sie eine Haftstrafe von einem Jahr und sieben Monaten ohne Bewährung wegen gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung (jeweils in einem minderschweren Fall) sowie Angriffs und Widerstands auf Vollstreckungsbeamte.

 

Den Diebstahl im Dornseifer, bei dem Alex H. eine Verkäuferin niedergeschlagen haben soll, stufte sie als schweren Raub ein und forderte hierfür eine Strafe von zwei Jahren und zwei Monaten. In allen Fällen ging sie von einer verminderten Schuldfähigkeit, allerdings keiner Schuldunfähigkeit aus. Die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei zwar eingeschränkt gewesen, er habe aber immer noch eine Einsichtsfähigkeit über das Unrecht seiner Taten gehabt. Hierbei stützte sie sich vor allem auf zwei Sachverständigengutachten. Das Handeln des Gummersbachers beschrieb sie als „vollkommen übertrieben“: „Er lebt in seinem eigenen Wertesystem, ist aggressiv, leicht reizbar und skrupellos.“

 

Anders ordnete sie das Geschehen vor dem Backwerk ein. Hier sei nicht auszuschließen, dass Alex H. sich in einer strafbefreienden Schuldunfähigkeit befand. Da der 31-Jährige ab dem Moment, in dem er von den Polizisten mit einem Stuhl vom Backwerk angegriffen wurde, die Situation nicht mehr habe beherrschen können, habe dies zu einem Kontrollverlust geführt: „Dadurch kam es zu einem Aussetzer, sodass er seine letzte Steuerungsfähigkeit verloren hat.“ Da von dem Angeklagten in unbehandeltem Zustand weitere Gefahr für die Allgemeinheit drohe, forderte sie für den Tatkomplex 'Backwerk' zwar einen Freispruch, gleichzeitig aber auch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Die geforderten Haftstrafen müsste Alex H. hierdurch nicht verbüßen.

 

Verteidiger Udo Klemt verzichtete auf einen konkreten Antrag und nutze sein Plädoyer für eine Abrechnung mit der Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft. Den damaligen Polizeieinsatz nannte er „von vorne bis hinten missglückt“. Er vermisse eine Fehlerkultur in Reihen der Ermittlungsbehörden. Das mache sich auch in den Statistiken bemerkbar, wonach es in den vergangenen 20 Jahren eine zunehmende Anzahl an getöteten psychisch Kranken durch Polizisten gebe.

 

Warum werden Polizisten in Einsätze geschickt, ohne zu wissen, wie sie mit psychisch Kranken umgehen müssen? Dass man sie nicht niedersprechen kann, sondern deeskalierend einwirken muss. Die Beamten werden genauso alleingelassen wie mein Mandant mit seiner Krankheit.“ Dass es anders funktionieren kann, würden Einzelbeispiele aus Köln und Aachen zeigen. Zudem regte er an, dass die Polizei in Gummersbach mit Tasern ausgerüstet werden müsse.

 

Kritik übte er auch am Verhalten der Staatsanwaltschaft nach den Vorfällen im November. Die Behörde habe ohne Rücksicht auf Verluste einen Haftbefehl mit einem „abstrusen Murks-Gutachten“ durchboxen wollen: „Obwohl der Haftrichter damals sofort gesagt hat, dass es sich um einen stadtbekannten psychisch Kranken handelt. Aber nein, man hat alles getan, um die Polizei zu schützen, die auf keinen Fall einen Kranken niedergeschossen haben durfte.“

 

Die nicht vorhandene Fehlerkultur bei Polizei und Staatsanwaltschaft sehe man aus seiner Sicht auch daran, dass es keine fünf Minuten gedauert habe, das Verfahren gegen die beteiligten Polizisten einzustellen und dass das Geschehen polizeiintern bis heute nicht aufgearbeitet wurde. Die Beamten hätten den 31-Jährigen damals bis zum Waffeneinsatz provoziert. Die Taten seines Mandanten nannte Klemt „krankheitstypisch“: „Die Frage ist, wie er damit therapeutisch umgehen wird.“ Die Kammer, die er für ihre bisherige Arbeit lobte, müsse hingegen die richtigen Schlüsse aus der Gefährlichkeitsprognose ziehen.

 

Vor den Plädoyers hatten sich noch ein Professor für Neurologie und ein Facharzt für Unfallchirurgie ausführlich mit der Frage beschäftigt, ob von Alex H. angesichts seiner verstümmelten Hände überhaupt noch eine Gefahr ausgehen kann. Ihr Ergebnis: Die rechte Hand, an der zwei Finger fehlen, ist nach den Operationen nahezu funktionslos. Bei Tests habe es keine messbare Kraftausübung gegeben. Der 31-Jährige klagt zudem über starke Schmerzen in der Hand.

 

Die Griffkraft in der linken Hand des Mannes verglichen die Experten mit der linken Hand einer jungen Frau, die Rechtshänderin ist. Feingliedrige Bewegungen seien beeinträchtigt, einfache Bewegungen allerdings weiterhin möglich. „Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass er weiterhin gefährlich sein kann. Er ist immer noch in der Lage, einen gefährlichen Gegenstand aus Schulter und Rumpf zu beschleunigen und gegen andere Personen einzusetzen“, so der Neurologe.

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