POLITIK
250 Meter hohe Windräder? – Befürworter und Gegner halten sich die Waage
Bergneustadt – Rund 300 Bürger kamen am Donnerstagabend in den Krawinkelsaal, um sich von Bürgermeister Thul über geplante Windkraftanlagen und die Tücken der Grundsteuerreform informieren zu lassen.
Von Peter Notbohm
Die Modelle, die Bergneustadts Bürgermeister Matthias Thul gleich zu Beginn der Bürgerinformationsveranstaltung im Krawinkelsaal am Donnerstagabend hinter dem Vorhang hervorholte, hinterließen Eindruck bei Bergneustadts Bürgern. Klimamanager Carsten Eschenhorn hatte im Maßstab 1:250 vier kleine Holzmodelle gebaut. Eins der etwa 48 Meter hohen Kirche in der Altstadt, eins des 65 Meter hohen Windrads bei der Ortschaft Wörde, ein weiteres der beiden etwa 135 Meter großen Windkraftanlagen bei Gummersbach-Piene und eben das Modell, das jenes 249 Meter hohe Windrad der dänischen Firma Vestas mit einer Nennleistung von 7,2 Megawatt darstellte, von denen in den nächsten Jahren auf der Sülemicke und am Beulberg gleich sechs Stück gebaut werden könnten.
Bereits diese vier Modelle zeigten eindrucksvoll die Dimensionen, mit denen es Bergneustadts Bürger bald zu tun haben könnten. Bundes- und Landesgesetze sehen vor, dass die Kommunen beim Bau solcher Anlagen keinerlei Mitspracherecht haben, Windkraft soll gezielt gefördert werden. Die beiden Berghänge sind laut dem neuen Regionalplan, der noch nicht endgültig verabschiedet wurde, die optimalen Stellen im Stadtgebiet. Auch Thul bekannte, dass man im Rathaus eher zufällig von den Plänen eines Projektierers mitbekommen habe, weil einer der angesprochenen Grundstückseigentümer mit der Bitte um eine Stellungnahme auf ihn zugekommen war.
Dadurch habe die Stadt nun plötzlich doch ein kleines Mitspracherecht. Auch das geplante Wohngebiet Wiedenst-Süd könnte neue Abstandsflächen auslösen, die gegebenenfalls neuberechnet werden müssen. „Auf einmal haben wir Einfluss, den das Gesetz nicht vorsieht“, erklärte der Bürgermeister.
Das Ziel für Donnerstagabend: Thul wollte seine Bürger nicht nur direkt informieren, sondern auch ein Stimmungsbild einfangen, nachdem er am Mittwoch bereits den Stadtrat informiert hatte und auch über die Presse an die Öffentlichkeit gegangen war (OA berichtete). Um die Diskussion zu versachlichen, hatte er mit Prof. Dr. Peter Heck (Foto), Direktor des Instituts für angewandtes Stoffstrommangement (IfaS) an der Hochschule Trier, einen unabhängigen Experten eingeladen, der die rund 300 Anwesenden zunächst vor allem mit technischen Daten fütterte, aber auch ausführlich auf die Vor- und Nachteile solcher Anlagen und der Windkraft im Allgemeinen einging.
Seine klare Message: Deutschland wird durch elektrisches Heizen und Fahren zunehmend mehr Strom benötigen und Windkraft bietet runtergerechnet auf die benötigte Fläche die meiste elektrische Arbeit an. Eine Anlage auf einem Hektar Fläche liefere die gleiche Menge Energie wie Photovoltaikanlagen auf einer 5,6 Hektar großen Fläche. „Das führt dazu, dass man solche Monster bauen muss, kann oder soll“, so Heck.
Der Geräuschpegel einer solchen Anlage betrage 106,9 dB(A). Zum Vergleich: Eine Kettensäge in einem Meter Abstand verursacht 110 dB(A). „Ein solches Windrad ist also quasi eine Kettensäge, die in 700 Meter Entfernung (Anm.d.Red.: So groß muss der Abstand zu Wohngebieten sein) Lärm verursacht“, erklärte Heck, gab aber auch zu: „Natürlich gibt es Menschen mit feinem Gehör, die diese Emissionen wahrnehmen. Windanlagen sind nicht leise.“
[Rund 300 Bürger waren zum Informationsabend der Stadt gekommen und stellten ihre Fragen.]
Auch auf die Themen Artenschutz (Vogel- bzw. Fledermausschlag), Infraschall, Schattenwurf, Baukosten und Erträge ging der Experte ausführlich ein. „Als Spätzünder in der Windkraft haben sie den Vorteil, die modernsten Anlagen zu kriegen“, sagte er, gab gleichzeitig aber auch zu, dass es Klimaschutz ohne Belastungen für den Bürger vor Ort nicht gebe. Zudem riet er dazu, als Kommune lieber selbst zu investieren als es privaten Investoren zu überlassen, da die Gewinnbeteiligung für die Kommunen (ca. 20.000 Euro pro Jahr bei 0,2 Cent je erzeugter Kilowattstunde) lächerlich niedrig sei.
Als Beispiel nannte er den Rhein-Hunsrück-Kreis, der sich von einer der höchstverschuldeten Kommunen zum Kreis mit der niedrigsten Verschuldung entwickelt und dabei parallel auch noch seine Bürger mitgenommen habe, indem die Gewinne in soziale Bereiche investiert wurden. Eine weitere Möglichkeit sei es überschüssigen Strom in Wärmeenergie umzuwandeln. Dies geschehe sehr erfolgreich u.a. in einer Gemeinde in Bayern.
Aus der Bürgerschaft gab es in der anschließenden Fragerunde für den Vortrag selbst von den Kritikern Lob, der Widerstand war trotzdem zu spüren. Das Fazit von Bürgermeister Thul (Foto) fiel anschließend zweigeteilt aus: „Die Stimmung hatte eine Bandbreite von totaler Ablehnung bis hin zur Befürwortung oder einem ‚Es kommt drauf an‘.“ Eine spontane Meinungsabfrage durch Beifall fiel nahezu identisch aus.
Trotzdem sprach Thul von einem für ihn wertvollen Stimmungsbild: „Aus den Windrädern, die wir als Kommune nicht verhindern können, sollten wir zumindest versuchen, einen effektiven Nutzen zu ziehen.“ In einem nächsten Schritt will das Stadtoberhaupt den Projektierer zu einem weiteren Informationsabend einladen, damit dieser den Bürgern seine Ideen vorstellt. Die Windräder am Beulberg bezeichnete Thul als „vermeidbar“, auf der Sülemicke sei der Bau von mindestens drei Anlagen allerdings „eher wahrscheinlich“.
Grundsteuerreform
Ausführlich ging Bürgermeister Matthias Thul im Anschluss auch auf die Auswirkungen der Grundsteuerreform ein (OA berichtete). Ein hochkomplexes und emotional aufgeladenes Thema, das er versuchte, möglichst bürgernah zu erklären, um für Transparenz zu sorgen. Der Tenor: Der Stadt bleibt nichts anderes übrig, als auf die veränderten Voraussetzungen mit einem neuen Grundsteuer B-Hebesatz von 1.248 Prozentpunkten zu reagieren. Er könne die vielen Negativbeispiele nicht schönreden, sagte er. Allerdings spiele die Musik bei den vom Finanzamt veränderten Messbeträgen und weniger beim Hebesatz der Stadt: „Wir vergleichen hier Äpfel mit Birnen. Das sind zwei völlig unterschiedliche Berechnungssysteme.“ Daher komme es aus seiner Sicht auch darauf an, aus welcher Perspektive man über Steuererhöhungen spreche.
Den Bürgern gab er direkte Tipps, wie sie Widerspruch gegen den Grundsteuermessbetrag einlegen können. Zudem hat die Stadt auf ihrer Homepage ein Portal zur Verfügung gestellt, das fortlaufend aktualisiert wird und über das Fragen gestellt werden können. Ausführlich ging Thul auch auf eine mögliche Differenzierung der Hebesätze für Wohngrundstücke und Nicht-Wohngrundstücke ein. Er erneuerte seine Aussage, dass er allein aus Fairnessgründen sofort differenzieren würde, wenn dies rechtssicher und verfassungsgemäß sei. Auch aus dem Stadtrat habe er ähnliche Tendenzen vernommen, sagte das Stadtoberhaupt.
Gleichzeitig kritisierte er das von der Landesregierung vorgegebene Verfahren: „Gegenüber dem NRW-Finanzminister habe ich mich für ein Modell wie in Sachsen oder dem Saarland ausgesprochen, wo die Finanzämter dies direkt in ihrer Bewertung einbezogen haben und die Kommune es nicht ausbaden muss.“ Ein Bürger zog zum Schluss ein kurzes, aber prägnantes Fazit: „Die Stadt befindet sich also in einer Zwangslage zu erhöhen.“
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