POLITIK
„Das war der Pflock ins Herz der Ampel“
Oberberg – Nach dem Aus der Koalition aus SPD, Grünen und FDP in Berlin blicken die oberbergischen Bundestagsabgeordneten und Vertreter der Parteien aus Oberberg auf die hektische Situation in der Hauptstadt.
Von Lars Weber
Mit einen ordentlichen Rumms hat die Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP gestern Abend in Berlin ein denkwürdiges Ende gefunden. Gegenseitige Vorwürfe, vor allem zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und dem entlassenen Finanzminister Christian Lindlar, wurden danach vor der Hauptstadtpresse ausgebreitet – und läuteten sozusagen sogleich den Wahlkampf ein, der so oder so ein kurzer werden wird. Olaf Scholz möchte am liebsten im Januar die Vertrauensfrage stellen mit Neuwahlen im März, CDU-Chef Friedrich Merz geht das nicht schnell genug. Er fordert schnellstmöglich die Vertrauensfrage, die Auflösung des Bundestags und Neuwahlen noch im Januar. Mittendrin in Berlin sind die oberbergischen Bundestagsabgeordneten Sabine Grützmacher (Grüne) und Dr. Carsten Brodesser (CDU). OA sprach mit ihnen am Morgen nach dem Ampel-Aus, und fragte auch im Oberbergischen bei SPD und FDP nach.
Für Sabine Grützmacher (Grüne) kam die Entscheidung, die Koalition nicht weiterzuführen, nach den Entwicklungen der vergangenen Tage und Wochen nicht überraschend, erst recht nicht, nachdem Lindner sein Konzept für eine Wirtschaftswende quasi an der Regierung vorbei nach außen gegeben hatte. „Der Zeitpunkt des Endes der Koalition hat mich aber doch überrascht“, so Grützmacher. Gerade, als die ganze Welt in die USA schaut und angesichts des Wahlergebnisses dort ein „geschlossenes Europa“ wichtiger denn je sei. Grützmacher betont, dass die Grünen im Laufe der Haushaltsdiskussionen zu Zugeständnissen bereit waren. Sie erinnert an das Angebot Habecks, die Fördermilliarden für Intel im Haushalt zu nutzen.
Sie glaubt aber, dass die Schuldenbremse zwingend reformiert werden müsse, um Deutschland wieder auf Kurs zu bringen – ein Thema, bei dem Lindner andere Vorstellungen hat. „Wir brauchen eine klimafreundliche und verlässliche Wirtschaftspolitik, die auch soziale Fragen mitdenkt“, so Grützmacher. „Wir müssen unsere Infrastruktur so hinbekommen, dass niemand Angst vor der Zukunft hat.“ Sie hofft, dass man sich in der Übergangszeit auch mit der CDU konstruktiv an einen Tisch setzen kann – auch wenn dies bislang nicht danach aussehe. Auch an einer Erneuerung der Schuldenbremse, die viele in der CDU ebenfalls als nötig erachteten, könnte noch jetzt gearbeitet werden.
Die Forderung nach Neuwahlen bereits im Januar kann Grützmacher nicht nachvollziehen. Den von der Regierung ausgegebenen Zeitplan findet sie indes vernünftig. „Wollen die Menschen wirklich Wahlkampf an Weihnachten und Silvester?“ Nichtsdestotrotz: Wenn es zu frühen Neuwahlen im Januar komme, wären die Grünen vorbereitet. „Dann machen wir Wahlkampf mit Glühwein und Kinderpunsch!“ (Auch Marc Zimmermann, Landtagsabgeordneter der Grünen, hat ein Statement veröffentlicht.)
Vom Ampel-Aus selbst nicht überrascht war auch Dr. Carsten Brodesser (CDU). „Von der Choreografie aber schon.“ Damit meint der langjährige Bundestagsabgeordnete unter anderem die Tage vor dem Split, die Veröffentlichung des Lindner-Papiers („Das war der Pflock ins Herz der Ampel“) und die offenen Vorwürfe gestern und heute zwischen den Ampel-Verantwortlichen. Für ihn sei klar, dass Kanzler Scholz die Entlassung Lindners vorbereitet habe, um der FDP die Schuld an dem Aus in die Schuhe zu schieben - und um selbst Pluspunkte zu sammeln. Für Brodesser gibt es jetzt keine andere Option als schnellstmögliche Neuwahlen. „Wir können uns keine Hängepartie bis Januar und März erlauben.“
Er appelliert an Scholz, nun staatspolitische Verantwortung zu übernehmen, so wie der Kanzler dies auch immer gerne von der Opposition gefordert habe. Rezession, eine ächzende Wirtschaft, eine unklare weltpolitische Lage, erst recht nach der Wahl Donald Trumps – „Wir brauchen schnell eine handlungsfähige Regierung mit klarer Mehrheit“, so Dr. Brodesser. „In handelspolitische Fragen mit den USA kann Scholz jedenfalls nicht eintreten“, ihm fehle die Legitimation.
Ein Neustart bedeute nun viele Chancen für Deutschland, für die Wirtschaft, die Innenpolitik, die Migrationspolitik. „Die Ampel hat die falsche Politik gemacht.“ Die CDU sehe sich vorbereitet für schnelle Wahlen.
Vorbereitet sieht sich auch Pascal Reinhardt (SPD), der Bundestagskandidat für die Sozialdemokraten Oberbergs. Schon im September vor einem Jahr wurde er als designierter Kandidat öffentlich vorgestellt, seit August ist er auch offiziell gewählt. „Das gab mir Zeit, um mich einzuarbeiten und mich auch den Bürgern schon zu zeigen.“ Für ihn – und das wird bei allen Kandidaten, die nicht im Bundestag sitzen, ähnlich sein - würde eine frühe Wahl schon im Januar bedeuten, sein Kollegium an einer Schule in Bensberg Hals über Kopf für unbezahlten Urlaub verlassen zu müssen. Bei Wahlen im März könnte er zumindest das Halbjahr noch zu Ende bringen vor der heißen Wahlkampfphase.
Überraschend kam das Ampel-Aus auch für Reinhardt nicht. „Der Tag gestern war aber doch wie ein Fiebertraum. Man wacht auf mit einem gewählten Donald Trump und geht ohne Regierung ins Bett.“ Er hätte sich gewünscht, dass die SPD schon früher konfrontativer mit Lindner umgegangen wäre. Lange habe man vorgegeben, dass es doch irgendwie ginge. „Bei den Provokationen taten sich alle drei Parteien nicht viel.“ Reinhardt hofft nun, dass sich der Bundestag in der noch verbleibenden Zeit zusammenrauft, um in der Sache zusammenzuarbeiten. Dies könne auch eine Erneuerung der Schuldenbremse sein – „ein wichtiger Schritt für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands“. Und für verfassungsändernde Gesetze werde eine Zweidrittel-Mehrheit benötigt. Reinhardt erinnert daran, dass nach Neuwahlen mehr Populisten ins Parlament kommen werden. Die CDU solle schnelle Neuwahlen nicht aus reinem Kalkül verfolgen, das könne ihnen auf die Füße fallen.
„Seit gestern geht es sehr hektisch zu, es ist noch alles sehr emotional aufgeladen“, sagt Dominik Trautmann, Vorsitzender der FDP Oberberg. Wie die anderen Politiker war auch er auf das Ende der Ampel gefasst. Die Art und Weise, wie es schließlich gekommen ist, bezeichnet er als „vorbereitetes Szenario“ seitens der SPD, die kein anderes Aus zugelassen hat. Das Wichtigste für Trautmann: „Wir brauchen jetzt schnelle Klarheit und einen strukturierten Ablauf.“ Eine Zeitachse für Neuwahlen müsse auch realistisch sein. Ein Hauruck-Wahlkampf werde auch dem Wähler nicht gerecht. Am Ende müsse Stabilität für Deutschland herauskommen, ein „Ende des Schlingerkurses“. Die oberbergische FDP sieht er vorbereitet, auch wenn noch keine Kandidatin oder Kandidat aufgestellt wurde. Parteiintern wisse man natürlich mehr. Die Aufstellung wird nun nach vorne gezogen.
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