POLITIK

Ärztemangel: Wird der Kreis zum Problemlöser?

lw; 20.07.2024, 09:00 Uhr
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Symbolfoto: cottonbro studio auf Pexels
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Ärztemangel: Wird der Kreis zum Problemlöser?

lw; 20.07.2024, 09:00 Uhr
Oberberg – OBK wird mit 49 Prozent Mitgesellschafter an der seit 17 Jahren bestehenden MVZ Oberberg GmbH – Neue Standorte in der Fläche sind das Ziel.

Von Lars Weber

 

Es ist ein wiederkehrendes Thema in den politischen Gremien des Kreises: Der zunehmende Ärztemangel im Oberbergischen. Niedergelassene Hausärzte im Kreis werden immer älter. Gleichzeitig kommen kaum Jüngere in die ländliche Region nach. Und jene, die nachkommen, scheuen das finanzielle Risiko einer eigenen Praxis – und solange arbeiten wie der klassische Landarzt wollen sie auch nicht mehr. Den Mund fusselig geredet haben sich die Kreispolitiker über viele Jahre hinweg, Referenten einbestellt, Resolutionen ans Land verabschiedet (OA berichtete unter anderem hier). Das Problem verschärft sich indes immer weiter, ohne dass viel passiert wäre. Nun möchte der Kreis selbst Problemlöser werden. Er wird mit 49 Prozent Mitgesellschafter an der seit 17 Jahren bestehenden MVZ Oberberg GmbH, an der der Kreis schon jetzt mittelbar über das Klinikum Oberberg sowie über die Kreiskliniken Gummersbach-Waldbröl beteiligt ist. Das Ziel ist klar: Zu den bestehenden zwei Standorten am Gummersbacher Krankenhaus beziehungsweise am RPP sollen weitere dazukommen - ein Interesse der Kommunen vorausgesetzt.

 

„Das MVZ versteht sich als medizinischer Dienstleister für die Region und möchte insbesondere in der Fläche die notwendige ambulante ärztliche Versorgung der Bevölkerung des Oberbergischen Kreises sicherstellen.“ So beschreibt der Kreis selbst die Funktion des medizinischen Versorgungszentrums auf eine Anfrage von OA. An den derzeit bestehenden zwei MVZ sind derzeit viereinhalb Vertragsarztsitze der Fachrichtungen Rehabilitative Medizin, Chirurgie sowie Orthopädie, Innere Medizin/Rheumatologie und Frauenheilkunde versammelt.

 

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Doch: Die medizinische Versorgung, insbesondere in ländlichen Regionen, gestaltet sich immer schwieriger, so der Kreis. Sowohl Haus- als auch Fachärzte ziehen sich altersbedingt beziehungsweise entsprechend der demographischen Entwicklung aus dem aktiven Praxisdienst zurück; interessierte Nachfolgerinnen und Nachfolger für bestehende Praxen zu finden, werde zu einer zunehmend größeren Herausforderung (siehe Kasten "Hier fehlen die Ärzte").  

 

Für Patienten bedeute diese Entwicklung entweder weite Anfahrten für eine medizinische Behandlung oder auch das lange Warten auf freie Termine. Teilweise gestalte es sich für Patienten nach Aufgabe einer Praxis als schwer, in einer anderen Praxis aufgenommen zu werden.

 

Hier fehlen die Ärzte

 

Allein 19 freie Sitze gibt es im Planungsbereich Gummersbach, zu dem neben der Kreisstadt Bergneustadt, Marienheide, Reichshof und Wiehl gehören. Die Versorgung liegt dabei bei 85 Prozent, ab 75 Prozent spricht man von einer Unterversorgung. Vor einem Jahr waren es übrigens noch 14 freie Sitze. Die Tendenz ist also steigend, was auch mit der Zahl an Medizinern zusammenhängt, die nun ins Rentenalter kommen. Noch schlechter als der Planungsbereich Gummersbach steht der Planungsbereich Waldbröl da. In Morsbach, Nümbrecht und Waldbröl gibt es aktuell 9,5 freie Sitze, der Versorgungsgrad liegt bei sogar nur bei 75,9.

 

Überblick der freien Hausarzt-Sitze in den Planungsbereichen (in Klammern der Versorgungsgrad):

 

Engelskirchen (zugehörig: Engelskirchen und Lindlar): 1 (107,8 Prozent)

Gummersbach (zugehörig: Bergneustadt, Gummersbach, Marienheide, Reichshof, Wiehl): 19 (85,8 Prozent)

Radevormwald: 0,5 (107,2)

Waldbröl (zugehörig: Morsbach, Nümbrecht, Waldbröl): 9,5 (75,9 Prozent)

Wipperfürth (zugehörig: Hückeswagen, Wipperfürth): 4 (94,3)

 

Freie Sitze Fachärzte im Kreis:

 

Kinder- und Jugendärzte: 3; Hautärzte: 0,5; Nervenärzte: 1,5


[Quelle: KVNO, Stand: April 2024]

 

Einen Teil der Lösung – abseits der Landarztprogramme an den Universitäten und eigentlich nötigen anderen Studienzugängen abseits des Numerus Clausus – sieht der Kreis nun darin, sich stärker als bisher an der bestehenden Gesellschaft MVZ Oberberg zu beteiligen. Das bestehende MVZ, das schon jetzt eine Schlüsselrolle einnehme - soll ausgebaut werden. „Dieser Ausbau versteht sich sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Form, da die Einrichtung von weiteren Standorten, die sich im Oberbergischen Kreis verteilen und nicht ausschließlich auf die Kreisstadt konzentrieren werden, ebenfalls ein breites Angebot an Fachärztinnen und Fachärzten mitbringen soll“, so der Kreis in einer schriftlichen Stellungnahme. Der Kreis sieht darin zudem eine Unterstützung, die auch in solchen Kommunen geleistet werden kann, deren finanzielle Möglichkeiten begrenzt sind.

 

Die erste Möglichkeit, einen weiteren Standort für das MVZ Oberberg zu schaffen, ist nicht realisiert worden. So gab es zwischen der Gemeinde Nümbrecht und dem Kreis Gespräche darüber, ob das von Nümbrecht geplante kommunale MVZ nicht unter das Dach der MVZ Oberberg GmbH schlüpfen könnte (OA berichtete). Letztlich scheiterten die Gespräche aber. Die Nümbrechter wollten vor allem die Kontrolle über die Arztsitze bei sich behalten. Die Gründung des KMVZ wurde von der Nümbrechter Politik gerade erst beschlossen (OA berichtete). Das Ziel ist letztlich dasselbe wie beim Kreis: Die medizinische Versorgung der Bevölkerung verbessern.

 

Doch Nümbrecht ist nicht die einzige Kommune, die MVZ-Gedanken mit sich herumträgt. Zuletzt wurde in Bergneustadt auf SPD-Initiative darüber debattiert, ein KMVZ zu gründen. Mit der Entscheidung, sich zunächst mit dem Kreis und dem Klinikum über deren Erweiterungspläne unterhalten zu wollen (OA berichtete).

 

Warum ein MVZ?

 

Ärzte teilen sich die Arbeitsbelastung, gehen geregelteren Arbeitszeiten nach und tragen zudem kein finanzielles Risiko. Durch die zweigeteilte Leitungsfunktion in einen Ärztlichen Leiter und einen Kaufmännischen Leiter werde der Arzt massiv entlastet: So werden von Befürwortern die Vorteile umschrieben. Im Falle einer Einbindung neuer Standorte an das MVZ Oberberg sieht der Kreis die Vorteile eines bereits funktionierenden Systems. Man könne auf bestehende Strukturen und existierende Kooperationen mit dem Klinikum Oberberg zurückgreifen.

 

Auch wenn viele Oberberger die MVZ-Pleite in Derschlag noch gut in Erinnerung haben (OA berichtete) – eigentlich sind MVZ betriebswirtschaftlich sicher, solange keine massiven Fehler bei den Abrechnungen passieren, wie das in Derschlag der Fall war. Bundesweit liege die MVZ-Insolvenzquote nur bei 0,03 Prozent, referierte zuletzt Unternehmensberaterin Gabriele Dostal bei einer Informationsveranstaltung.

 

Laut Kreis gebe es aktuell noch keine konkreten Pläne oder Gespräche mit Kommunen. „Der Oberbergische Kreis nimmt entsprechende Anfragen auf, die an ihn herangetragen werden“, antwortet die Verwaltung lediglich. Spannend wird sein, wie Modelle für etwaige MVZ-Expansionspläne aussehen könnten. Anhand der Versorgungsgrade (siehe Kasten) ist zwar deutlich, wo gerade Hausärzte besonders fehlen. Aber wie wird entschieden, wo ein Standort Sinn macht? Sind Neubauten denkbar oder nur existierende Praxisräume? Und damit einhergehend: Wie viel Geld würde die GmbH in die Hand nehmen, um die Ärztesituation im Oberbergischen zu verbessern? Der Kreis verweist auf unterschiedliche Voraussetzungen in den Kommunen. „Wir sind offen für Anfragen. Wenn eine Kommune auf uns zukommt, werden wir gemeinsam nach der bestmöglichen Lösung suchen“, so ein Kreissprecher. „Eine Pauschallösung, die man kreisweit verwenden kann, gibt es nicht.“

 

Außerdem muss natürlich das Wichtigste gelingen: Ärzte und Fachkräfte mithilfe idealer Bedingungen ins Oberbergische zu locken. Dies wird über den Erfolg der MVZ-Offensive entscheiden.

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