POLITIK

"Ich sehe nicht, dass Dinge versäumt wurden"

bv; 26.11.2020, 16:00 Uhr
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Fotos: Archiv --- Kreisdirektor Klaus Grootens und Kaija Elvermann, Leiterin des Gesundheitsamts im Doppel-Interview.
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"Ich sehe nicht, dass Dinge versäumt wurden"

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bv; 26.11.2020, 16:00 Uhr
Oberberg - Kreisdirektor Klaus Grootens und die Leiterin des Gesundheitsamts, Kaija Elvermann, im OA-Interview über Teststrategien, Schulen und die Kritik an vermeintlich fehlender Kommunikation.

Von Bernd Vorländer

 

OA: Man hat den Eindruck, wirklich alles in dieser Zeit dreht sich um den Begriff Corona. Angesichts der enormen Verantwortung - gehen Sie noch mit einem guten Gefühl zur Arbeit?

Grootens: Wir haben gar nicht die Zeit, um uns über unsere Gefühlslage bewusst zu werden. Es gibt derart viele Herausforderungen, dass wir über persönliche Befindlichkeiten gar nicht nachdenken. Im Übrigen, wenn man über Gefühlslage sprechen will, dann doch eher über die von Ärzten, medizinischem Fachpersonal und vielen anderen. Gerade dort ist der Druck enorm.

Elvermann: Wir wissen derzeit nie, was ein neuer Tag bringt, es ist wirklich enorm anspruchsvoll. Man verliert ein bisschen das Gefühl für Raum und Zeit, auch weil wir ja schon lange in diesem Ausnahmezustand arbeiten.

 

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OA: Der Inzidenzwert im Oberbergischen liegt seit Wochen jenseits der 150.  Haben wir die Dinge noch im Griff?

Elvermann: Ja, wir mussten aber, nachdem das Infektionsgeschehen deutlich an Dynamik zugenommen hatte, uns neu sortieren und aufstellen. Wir sind dabei, das Personal weiter aufzustocken. Im Prinzip erfinden wir das Gesundheitsamt neu, weil wir andere Arbeitsprozesse und Abläufe haben, die wir täglich anpassen.

 

OA: Wie viele Menschen arbeiten gerade im Gesundheitsamt zum Thema Corona und an der Nachverfolgung von Infizierten und kann das überhaupt noch gelingen?

Elvermann: Die 90 Mitarbeiter, die dort im Rahmen der Nachverfolgung tätig sind, setzen alles daran, bei jedem Infizierten die Kontaktpersonen aufzuspüren. Bei 80 Prozent der Fälle gelingt es uns, die Infektionsketten nachzuvollziehen. Allerdings steigt der Anteil derer, die nicht wissen, wo sie sich angesteckt haben. Das ist ein Indiz dafür, dass die Viruslast insgesamt innerhalb der Bevölkerung ansteigt.

Grootens: Die Aufgaben des Gesundheitsamts sind derzeit maximal anspruchsvoll. Etwa bei den Tests: Wir haben im August dieses Jahres 2.093 Tests durchgeführt. Im November werden wir voraussichtlich über 10.000 Menschen getestet haben. Die Anforderungen sind derart gewachsen, dass wir die hohen Standards aus dem Frühjahr nicht halten konnten und etwa eine Verfügung auch schon mal etwas länger dauert. Jeder, der an COVID-19 erkrankt ist, ist jedoch verpflichtet, sich sofort in häusliche Quarantäne zu begeben - unabhängig davon, ob er die entsprechende Verfügung erst später erhält. Dies gilt im Übrigen nun auch für alle, die mit einem Erkrankten in häuslicher Gemeinschaft leben.

 

OA: Beträgt die Quarantäne-Zeit immer noch 14 Tage?

Elvermann: Das Robert-Koch-Institut hat die Empfehlung angepasst. Jetzt wird im Bezug auf die Quarantänezeit stärker differenziert als im Frühjahr.  Ein positiv getesteter Mensch mit Symptomen geht ab Auftreten der Symptome zehn Tage in Quarantäne. Ein positiv getesteter Mensch ohne Symptome geht ab dem Probenentnahmetag zehn Tage in Quarantäne. Die Kontaktpersonen müssen allerdings 14 Tage in Quarantäne bleiben.

 

OA: Gibt es Kommunikationsdefizite, müsste aus dem kommunalen Raum eine größere Ansprache derer erfolgen, die sich Sorgen machen, etwa um die eigene berufliche Existenz?

Grootens: Kommunikation findet ja statt, es gibt zahlreiche Ansprechpartner in den Kommunen oder beim Kreis. Es gibt ein Bürgertelefon, das wir als einer der ersten Kreise in dieser Krise etabliert haben, das rege genutzt wird. Lassen sie mich auch noch etwas zu unseren Schulen sagen. Mancher fragt sich, warum sich Maßnahmen in Schulen unterscheiden. Das ist vor allem darin begründet, dass sich Sachverhalte nicht gleichen. Wir schauen uns jeden Fall individuell an - und entscheiden im Anschluss. Ein Außenstehender mag zu der Bewertung kommen, dass die Dinge ungleich abgehandelt werden. Dem ist aber nicht so. 

Elvermann: Wir sorgen uns um alle Menschen, die erkrankt sind.

 

OA: Haben Kreis und Kommunen im Sommer Lösungen für den Schulbereich verschlafen? Da hätte man doch Wege finden können, um volle Klassenräume und überfüllte Schulbusse zu vermeiden?

Grootens: In Nordrhein-Westfalen gibt es die Vorgabe, dass ein Präsenzunterricht stattzufinden hat. Im Vorfeld konnte doch niemand wissen, ob Hygienebestimmungen, Lüftungsmaßnahmen und Masken reichen. Bei Luftfilteranlagen zum Beispiel sind noch gar keine Standards definiert. Über unterschiedlichen Schulbeginn oder den Einsatz von Reisebussen ist mit den Städten und Gemeinden natürlich gesprochen worden, aber das ist alles sehr schwierig. Reisebusse sind oftmals nicht behindertengerecht ausgelegt und können deshalb nur bedingt im Linienverkehr unterstützen. Ich sehe nicht, dass hier Dinge versäumt wurden.

 

OA: Im Sommer haben doch alle Fachleute schon über die bevorstehende zweite Welle gesprochen. Haben Sie denn Verständnis für den Unmut und die Sorgen von Eltern, die ihre schulpflichtigen Kinder in überfüllten Bussen sehen?

Grootens: Natürlich habe ich dafür Verständnis. Aber es ist eine besondere Herausforderung, die Schulpflicht mit der besonderen derzeitigen Situation in Einklang zu bringen. Wir geben jeden Tag alles, um das Ganze optimal zu gestalten.

KOMMENTARE

1

Wie diese Aussagen bei Menschen ankommen die gerade um Ihre Existenz fürchten? Ich glaube die wären heilfroh mit den Mitarbeitern des Gesundheitsamtes zu tauschen...

Chris, 26.11.2020, 16:38 Uhr
2

Ich möchte nur zu 3 Punkten der Äußerungen von Herrn Grootens und Frau
Elvermann anmerken:
1. Einerseits haben die Gesundheitsämter immer wieder darauf hingewiesen, dass es "eng" wird. Andererseits fehlte die direkte Ansprache an ALLE (Bürger*innen und Geschäftsinhaber*innen aller Branchen) eindringlich auf die Notwendigkeit der Einhaltung der Maßnahmen hinzuweisen - die Vernachlässigung dieser war seit Juni deutlich zu erkennen. Das "diffuse Geschehen" war vorprogrammiert.
2. Dass der MP NRW auf dem Präsenzunterricht beharrt ist unsäglich. Allerdings wird sich ohne Schulschließungen das Infektionsgeschehen wohl kaum signifikant abschwächen - es ist ja nicht nur der Schulunterricht als solcher.

Cornelia Lang, 26.11.2020, 17:12 Uhr
3

Und da sehr viele Kinder und Jugendliche trotz Infektion keine Symptome zeigen, verläuft die Verbreitung dementsprechend.
3. Durch die Versäumnisse der Regierung - eben auch die Missachtung von Warnungen unterschiedlicher medizinischer Experten - werden die Gesundheitsämter in Mitleidenschaft gezogen. Und noch eine Anmerkung: Ich hoffe sehr, der OBK wird bei der Einrichtung des Impfzentrums berücksichtigen, dass dort auch Menschen ohne Auto (ich erinnere an "Drive-In" für Tests - Benutzer*innen des ÖPNV wurden überhaupt nicht angesprochen) die gleiche Sicherheit erfahren wie die Individualfahrer*innen.

Cornelia Lang, 26.11.2020, 17:23 Uhr
4

Sehr geehrte Frau Elvermann, sehr geehrter Herr Grootens,
wären in der Zeit dieses Interviews nicht wichtigerere Dinge zu erledigen gewesen? Ich selbst warte seit einer Woche auf Ihre Nachricht, da meine Frau COVID-19 positiv getestet worden ist. Darüberhinaus ist mir bekannt, das auch andere Personen mit diesem direktem Kontakt von Ihnen bis heute (eine Woche später) nicht kontaktiert wurden. Wenn Sie Ihre Hausaufgaben nicht machen können, dann sollten Sie um Amtshife bitten. Es kann nicht sein, dass gewisse vulnerable Gruppen unter Ihrem Defizit leiden müssen. Für weitere Ausführungen stehe ich gern zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Holger Braun

Holger Braun, 27.11.2020, 12:44 Uhr
5

Bei den Kritiken werde ich immer etwas ärgerlich. Egal ob es die Bundes- oder Landespolitik betrifft oder die kommunalen Verwaltungen. Ich bin 61 Jahre alt und kannte bis Anfang diesen Jahres das Wort Pandemie nur vom Hörensagen. Ich denke, genauso geht es allen Politikern und Verwaltungsmitarbeitern. Jegliche Erfahrung und Routine fehlt allen Betroffenen, egal in welcher Position. Und bei diesen Voraussetzungen sind Fehler unvermeidbar. Ich denke, dass all unsere Entscheidungsträger dennoch seit Monaten einen verdammt guten Job machen. Und sie alle reißen sich den Allerwertesten auf, um uns zu schützen. Die Dauernörgler, ewigen Kritiker und Querdenker sind jedenfalls die, die keinem von uns nützen und helfen.

Thomas Hohleich-Albert, 27.11.2020, 13:34 Uhr
6

zu Pkt 5: Es existiert seit 2012 ein sogenannter Pandemie-Bekämpfungsplan. Der regelmäßig angepasst wurde. Alle heute auftretenden Defizite waren damals schon bekannt und wurden ignoriert, siehe Faxgeräte bei den Ämtern! Wer wird denn geschützt? Meine Familie steht gerade vor dem Verlust unserer Existensgrundlage. Kinder werden gegängelt und als Treiber der Pandemie betitelt. Unsere Wirtschaft steht kurz vor dem Kollaps. Definieren Sie, Wer hier einen guten Job macht und Ihre Rente, als auch die Zukunft unserer Kinder sicherstellt. Wir Opfern eine Generation für eine Andere. Wollen Sie das?

Christian, 27.11.2020, 16:04 Uhr
7

Kommentar 6 von Christian: "....Wir opfern eine Generation für eine andere?" Da Sie bei Ihrer Aufzählung die so genannten Risikogruppen - also Vorerkrankte und Ältere - nicht erwähnen, gehe ich davon aus, dass Sie diese als "Andere" bezeichnen. Wenn ich damit richtig liege, ist Ihre Aussage an
Unmenschlichkeit und Menschenverachtung nicht zu übertreffen.

Cornelia Lang, 28.11.2020, 18:02 Uhr
0 von 800 Zeichen
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