POLITIK

Acht Extrarunden Demokratie

lw; 21.06.2024, 18:07 Uhr
Foto: Lars Weber --- Nehmen es mit Humor: Die Kreistagsmitglieder stehen mal wieder Schlange.
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Acht Extrarunden Demokratie

lw; 21.06.2024, 18:07 Uhr
Gummersbach – Wahl der ehrenamtlichen Richter für das Sozialgericht Köln wird per AfD-Antrag zu einer mehr als einstündigen Veranstaltung bei der Sitzung des Kreistags – Bericht über Straftaten von rechts und links vorgestellt.

Von Lars Weber

 

Geheime Wahlen sind in Sitzungen kommunaler Gremien an sich nichts Besonderes, wenn es um personelle Angelegenheiten geht. Im Gegenteil: Das Recht auf anonyme Wahlen gehört hier zur Demokratie dazu. Dass man als Politiker aber gleich achtmal in Folge an die Wahlurne treten darf, das ist dann doch unüblich, aber so bei der Sitzung des Kreistags am Donnerstag in der Gummersbacher Halle 32 geschehen. Zur Wahl standen die Vorschläge als ehrenamtliche Richter für das Sozialgericht Köln. Und die AfD-Fraktion war überhaupt nicht damit einverstanden, von den anderen Fraktionen zum wiederholten Male von den Vorschlagslisten entfernt worden zu sein…

 

Die Vorgeschichte: Bereits im April ging es im Kreistag um die Vorschlagsliste für ehrenamtliche Richter am Verwaltungsgericht Köln. 40 Namen aus allen Fraktionen befanden sich darauf, über die in der Vergangenheit üblicherweise im Block abgestimmt wurde und die Namen ohne Diskussionen abgenickt wurden. Bei der vergangenen Sitzung des Kreistags aber gab es einen überraschenden Antrag der Grünen, die der Liste nicht zustimmen wollten, solange sich vier Namen von AfD-Mitglieder darauf befanden. Da es am Verwaltungsgericht auch um Ausländerangelegenheiten gehen könne, seien AfD-Mitglieder dort fehl am Platz, hieß es in der Begründung unter anderem. Über neue Vorschläge wurde abgestimmt und die AfD-Mitglieder zum Ärger der Fraktion von der Liste verdrängt.

 

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Nichts anderes kündigte sich dann im vergangenen Kreisausschuss an, als es um die Liste der acht Vorschläge für die ehrenamtlichen Richter für das Sozialgericht Köln in den kommenden fünf Jahren ging. Die Namen richteten sich dabei nach Mehrheitsverhältnissen im Kreistag und wurden von der Verwaltung ausgesucht. Erneut gab es den Antrag, in diesem Fall Bernd Rummler, AfD-Fraktionschef und Vorsitzender der AfD Oberberg, von der Liste zu streichen. Ersetzt wurde er von einem UWG-Kandidaten. Die Fraktion wäre sonst unberücksichtigt geblieben.

 

Die von ihm angekündigte Rede zum Thema konnte Rummler bei der Kreistagssitzung gestern in der Halle 32 zwar nicht selbst halten, da er kurzfristig verhindert war. Seinem Fraktionskollegen Udo Schäfer hatte er seine Worte aber zukommen lassen. Für eine funktionierende Demokratie sei es wichtig, Bürger fair zu behandeln. Deshalb sollten die Parteien entsprechend der Wahlergebnisse der Bürger vertreten sein. „Hier wird der Wählerwille mit Füßen getreten.“

 

Die anderen Fraktionen ließen das nicht auf sich sitzen. Kandidaten für das ehrenamtliche Richteramt sollten verfassungstreu sein, sagte Bernadette Reinery-Hausmann (Grüne) und erinnerte an die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz. Friedhelm-Julius Beucher (SPD) sagte, die Streichung der AfD von der Liste sei „die Antwort von Demokraten auf eine Partei, die Hass und Hetze verbreitet und die Gesellschaft spaltet“.  Karin Wroblowski (FDP) sagte: „Ich warne davor, solche Menschen in die Justiz zu lassen“.

 

AfD-Mann Schäfer beantragte anschließend eine geheime Wahl – und zwar zu jedem der acht Namen auf der Liste, worauf er auch auf Nachfrage des Landrats bestand. Da die Wahl als Personenwahl betrachtet werden konnte, reichte laut Geschäftsordnung eine Ja-Stimme, um den Wahlprozess in Gang zu setzen. Dass das Ergebnis – nämlich klare Zwei-Drittel-Mehrheiten für jeden Vorschlag – schon im Vorfeld feststand, war der AfD egal. Weniger egal war ihr vielleicht, dass sie es verpasst hatte, selbst noch einen Kandidaten vor der Abstimmung der Liste hinzuzufügen, weshalb es von den Kreistagskollegen zusätzlich Kritik gab.

 

Ansonsten ertrugen die 60 anwesenden Mitglieder und Landrat Jochen Hagt die folgende, genau eine Stunde dauernde Prozedur nach anfänglichem Ärger mit viel Demokratiebewusstsein und Humor. Achtmal musste Hagt alle Namen in alphabetischer Reihenfolge an die aufgestellte Wahlkabine bitten. Achtmal mussten die Kreistagsmitglieder die Runde durch die Halle 32 machen – „ob wir die 1.000 Schritte auf diese Art zusammenbekommen“, scherzte der Landrat nach Runde 2. Achtmal mussten die Politiker ihr Kreuz machen. Achtmal musste der Wahlzettel eingeworfen und ausgezählt werden. Da Übung den Meister macht, ging das Wählen mit jeder Runde ein wenig schneller …

 

Nach der Verkündung der Ergebnisse richtete Hagt nochmal das Wort an die AfD-Fraktion. Natürlich haben sie das Recht, geheime Wahlen zu beantragen. „Für Verfahren, die erkennbar wenig Chancen haben, die Mehrheitsverhältnisse zu ändern, halte ich eine solche Abstimmung aber nicht für das Mittel der Wahl.“

 

Aus dem Kreistag

 

Landrat Jochen Hagt stellte den Bericht zu rechtsradikalen, rassistischen und fremdenfeindlichen sowie antisemitischen Aktivitäten im Kreis vor. 2023 wurden 52 Straftaten erfasst, was eine deutliche Reduzierung im Vergleich zum Vorjahr bedeutet (2022: 71, 2021: 46, 2020: 58). Die Straftaten von rechts sind von 28 auf 42 angestiegen und befinden sich damit auf dem Niveau vor der Pandemie (2020: 41, 2019: 42). Die Taten verteilen sich im Kreis sehr unterschiedlich. Allein in Lindlar gab es laut Hagt 16, in Bergneustadt oder Morsbach keine einzige. Meistens handelte es sich um Aufkleber oder Graffiti (Verbreitung von Propagandamitteln). Darüber hinaus wurden unter anderem acht Volksverhetzungen verzeichnet. Einen Anstieg der Straftaten habe es vor allem im letzten Quartal des Jahres gegeben. In diesem wurden 16 Straftaten registriert.

 

Linksmotivierte Straftaten gab es keine im vergangenen Jahr (2022: null, 2021: fünf). Die Zahl der statistisch erfassten Strafanzeigen aus den Bereichen „Ausländische Ideologie“ und „Religiöse Ideologie“ beläuft sich wie schon im Jahr 2022 auf drei. Sieben Straftaten waren nicht eindeutig politisch zuzuordnen.

 

Gescheitert ist die SPD-Fraktion mit einem Antrag zur einjährigen Haushaltsführung für das Haushaltsjahr 2025. Damit sollte dem neu gewählten Kreistag die Gelegenheit gegeben werden, im ersten Jahr der neuen Wahlperiode selbst den Haushalt aufzustellen. Unterstützt wurde die SPD von Grünen, Linke und AfD. Anders sahen dies CDU, FDP/FWO/DU und UWG. Sie stimmten mit ihrer Mehrheit dafür, dass es bei der Aufstellung des Doppelhaushalts bleibt. So könnten sich die neu gewählten Kreistagsmitglieder, aber auch viele neu gewählten Bürgermeister zunächst einfinden in die neuen Aufgaben. Zeitgleich hätten sie Sicherheit, mit welchen Zahlen im Kreis zu arbeiten ist.

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