Oberberg – Die Entscheidung über den Haushalt spaltete den Kreistag gestern bei der Sitzung in Lindlar - Bürgermeister sind enttäuscht über Entwicklung.
Von Lars Weber
Es muss etwas Besonderes passiert sein, wenn die Arme von fast der Hälfte der Mitglieder eines politischen Gremiums zeitgleich in die Höhe schnellen und sie eine Wortmeldung einfordern. So ist es gestern bei einer weiteren denkwürdigen Sitzung des Kreistags im Lindlarer Kulturzentrum geschehen, bei der nicht nur der Haushalt verabschiedet worden ist (OA berichtete). Es wurde auch der in der vergangenen Sitzung im März bei einer geheimen Abstimmung angenomme Antrag der Grünen, die Ausgleichsrücklage zum Haushaltsausgleich einzusetzen und die kommunalen Haushalte während der Pandemie finanziell zu entlasten, wieder rückgängig gemacht.
Warum waren also all die Hände in der Luft? Der Antrag der SPD, Grünen und von Die Linke war zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschmettert. Bei der geheimen Abstimmung blieben dieses Mal alle auf Linie. Vermittlungsgespräche zwischen Kreis, Kreistag, Bürgermeistern und Ratsmitgliedern, das war also klar, würde es nicht mehr geben. Stattdessen war es an der Zeit, über den Antrag der CDU/FDP/FWO/DU/UWG zu entscheiden. Der beinhaltete: Den Haushalt so verabschieden, wie es im März angedacht war. Sprich: Kein Einsatz der Ausgleichsrücklage, keine weitere finanzielle Entlastung der Kommunen.
Einige der Fraktionsvorsitzenden hatten das Wort bereits ergriffen. Michael Stefer (CDU) verteidigte das Vorgehen und verwies gar auf die Sozialdemokraten in Marienheide, die bei der jüngsten Gemeinderatssitzung für Pandemiezeiten ungewöhnlich viele Anträge eingereicht hatten, dieses Vorgehen aber dann doch selbst kritisch sahen. Den in Marienheide geäußerten Satz „Fehler müssen korrigiert werden“ übernahm Stefer. „Der im März gefällte Beschluss ist falsch“, sagte Stefer und könnte mittelfristig die Pflichterfüllung des Kreises gefährden, wenn für unvorhergesehene Entwicklung keine Ausgleichsrücklage mehr zur Verfügung stehe. FDP/FWO/DU-Fraktionschef Reinhold Müller ergänzte, dass dadurch entstehende Verluste auf Kommunen umgelegt werden müssten, die Umlage also stärker steigen werde. „Das wäre der Super-GAU für Kämmerer.“ Die Korrektur jetzt sei der bessere Weg.
Zuvor hatten bereits SPD-Fraktionsvorsitzende Ralf Wurth und Grünen-Fraktionschefin Andrea Saynisch das Vorgehen der Mehrheitsfraktionen infrage gestellt. Rechtlich ist es zwar möglich, Anträge immer wieder zur Abstimmung zu stellen. „Aber das Vorgehen ist stark zweifelhaft.“ Ende März habe es einen eindeutigen Mehrheitsbeschluss gegeben. Dass das abgesprochene Vorgehen im Ältestenrat aus Sicht der Oppositionsparteien nicht eingehalten wurde, stieß auf Unverständnis bei Saynisch. Die Pflichten des Kreises hätte sie auch bei einem Einsatz der Ausgleichsrücklage nicht gefährdet gesehen. „Gefährdet sind eher die Vorhaben in den Kommunen.“
[Grafik: OBK.]
Die Frage des Landrats Jochen Hagt nach weiteren Wortmeldungen vor der Abstimmung beantworteten dann nahezu alle Kreistagsmitglieder von SPD, Grüne, Die Linke und der AfD. Ina Albowitz (FDP) gelang es gerade noch, die Redezeit per Antrag auf zwei Minuten zu begrenzen. Dann ging es los. Bernd Rummler (AfD-Fraktionschef) spricht von der unnötigen Spaltung des Kreistags, die Marienheiderin Birgit Meckel (SPD) rückt gerade, dass die Heier Sozialdemokraten zwar Fehler eingesehen, aber keinen Beschluss rückgängig gemacht hätten. Dr. Ralph Krolewski (Grüne) warf den Antragstellern vor, nur sich selbst zu beschädigen. „Die Demokratie können Sie nicht beschädigen!“ Jan Köstering (Die Linke) stellte die Frage, ob jetzt immer solange angestimmt werde, „bis es passt“? „Eiskalte Machtspielchen“ nannte Sven Lichtmann (SPD) das Vorgehen. „Größe zeigt“, so SPD-Abgeordneter Thorsten Konzelmann, „wer demokratisch gefasste Beschlüsse akzeptiert“.
Mehr als 20 Mal wurde das Demokratieverständnis mindestens infrage gestellt, viele Abgeordnete führten Projekte in „ihren“ Gemeinden an, die bei einem Beschluss des Antrags gefährdet seien. Die Sanierung der Straßen in der Gemeinde Reichshof, das Klimaschutz-Förderprogramm in Nümbrecht, der Bau eines integrativen Spielplatzes in Wiehl. Die Vertreter von CDU, FDP/FWO/DU und die UWG – viele von ihnen selbst in Gemeinderäten vertreten - hörten sich alle Ausführungen stoisch an, blieben aber bis auf einen kurzen, weiteren Erklärungsversuch Jürgen Poschners (UWG) stumm.
Sie antworteten erst bei der folgenden – namentlichen - Abstimmung. 34 Mal stimmten sie mit einem deutlichen „Ja“ dem Antrag zu, auch Landrat Jochen Hagt. Zwei weiteren Anträgen der SPD, unter anderem neue Stellen auf jene zu beschränken, die aufgrund der Pandemie benötigt werden, wurde noch eine Absage erteilt. Das war es dann.
Ganz am Anfang der Sitzung, als es um den Antrag der SPD, Grünen und von Die Linke ging, appellierte Ralf Wurth noch, sich zusammenzusetzen und aus dieser Situation herauszukommen. „Lassen Sie uns keine Linie durchziehen durch den Kreistag, im Sinne der kommunalen Familie.“ Dieser Appell wurde nicht erhört.
Kommentar zum Thema:
Das sagen die Bürgermeister
Die Bürgermeisterkonferenz, der Zusammenschluss der Oberhäupter der 13 Städte und Gemeinden im Oberbergischen Kreis, hatte lange für eine finanzielle Entlastung gekämpft. Nach der Vorstellung des ersten Haushaltsentwurfs durch den Kreis traten sie mit einer Reihe an Forderungen an die Verwaltung heran (OA berichtete). „Natürlich hatten wir uns zwischendurch sehr gefreut, dass mit dem mehrheitlich gefallenen Beschluss Ende März wichtigen Forderungen gefolgt wurde“, sagt Dr. Gero Karthaus (SPD), Bürgermeister in Engelskirchen und Vorsitzender der Bürgermeisterkonferenz, auf OA-Nachfrage.
Dass jener Beschluss nur „aus Versehen“ zustande gekommen sein soll und er jetzt deshalb „einkassiert“ wurde, sei „mehr als enttäuschend“. Damit spreche er für alle seiner Kolleginnen und Kollegen. Die Vorgänge im Kreistag beäugt Dr. Karthaus kritisch. „Es verbietet niemand, unter den gegebenen Umständen so oft abzustimmen, wie man will. Aber es ist schon ein ungewöhnliches Vorgehen.“
Dr. Karthaus ist überzeugt, dass der nun beschlossene Haushalt gerade im kommenden Jahr eine große Belastung für die Kommunen bedeutet, die bei vielen Kämmerern so nicht einkalkuliert gewesen sei. „Generell entwickeln sich die Finanzen in den Kommunen eher negativ.“ Er führt – auch bedingt durch die Pandemie - sinkende Gewerbesteuereinnahmen und einen geringeren Einkommensteueranteil an. „Das wird dazu führen, dass die Kommunen über Steuererhöhungen nachdenken müssen.“
KOMMENTARE
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So entsteht Politikverdrossenheit - immer schön so lange abstimmen bis das Ergebnis passt, traurig. Traurig auch, dass die Kreistagsmitglieder mit Doppemandat (Kommune + Kreis) ihren Kommunen aus purer Parteitaktik derart in den Rücken fallen und ihre eigenen Städte und Gemeinden so ausbluten lassen um ihre CDU Verwaltungsspitze und ihre CDU Mehrheit des Kreises von jeglicher unbequemen Einsparmöglichkeit fern zu halten. Ihr wundert Euch warum ihr Umfragen immer weiter abraucht? Wer aus purer Machtpolitik ohne Sinn und Verstand das (Wahl)Volk dermaßen ver....., der darf sich auch nicht darüber wundern, dass er die politischen Ränder stärkt - echt schwache Leistung!!
Hoschi, 07.05.2021, 23:36 Uhr2
Schon schräg, wie sehr CDU & Co. hier Prügel unter offensichtlicher Verkennung der Tatsachen einstecken müssen. Es ist doch vielmehr so, dass die Oppositionsparteien (SPD & Co.) hier in der Sitzung vom März einen Beschluss herbeiführten, der ausschließlich vom Willen geprägt war, den stärkeren Parteien zu schaden und grundsätzlichen und unfokussierten Widerstand aufzubauen.
Einer Kreisverwaltung, die auch Gesundheitsbehörde ist, während einer historischen Naturkatastrophe die letzten Cent der Rücklagen aus dem Kreuz zu leiern, hat jedenfalls nicht viel mit sachlich begründeten Handeln zu tun.
CDU & Co. haben also dankenswerterweise die Möglichkeiten einer Demokratie genutzt, um einen haarsträubenden Beschluss im Sinne der Bürger zu korrigieren. Und ich hab die nicht mal gewählt…
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Empfehle dazu auch 'die Anstalt' von dieser Woche... CDU und FDP halt immer wieder...
Name, 08.05.2021, 21:25 UhrLinks zu fremden Internetseiten werden nicht veröffentlicht. Die Verantwortung für die eingestellten Inhalte sowie mögliche Konsequenzen tragen die User bzw. deren gesetzliche Vertreter selbst. OA kann nicht für den Inhalt der jeweiligen Beiträge verantwortlich gemacht werden. Wir behalten uns vor, Beiträge zu kürzen oder nicht zu veröffentlichen.
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