POLITIK
Gegen den Ärztemangel: Nümbrecht möchte eigenes MVZ gründen
Nümbrecht – Für das kommunale medizinische Versorgungszentrum soll eine GmbH gegründet werden – Räume im neuen Medicenter am Kurpark – Attraktive Arbeitsbedingungen schaffen - Arztsitze sollen in der Kommune gehalten werden.
Von Lars Weber
Den Breitbandausbau hat die Gemeinde Nümbrecht über die eigenen Gemeindewerke (GWN) gestemmt. Die Prüfung, ob die GWN für die Kommune auch Windräder bauen wird, die Bürger und Betriebe mit Strom versorgen sollen, läuft. Und nun versucht sich die Gemeinde an der Lösung eines weiteren strukturellen Problems: dem Ärztemangel im ländlichen Raum. Mit der Gründung eines kommunalen medizinischen Versorgungszentrums (KMVZ) sollen bei einer GmbH angestellten Haus- und Fachärzten im neuen Medicenter ideale Arbeitsbedingungen geschaffen werden. Zugleich behält die Kommune die Kontrolle über die Arztsitze. Bürgermeister Hilko Redenius hat gestern über das Modell zusammen mit Gabriele Dostal von der Managementberatungsgesellschaft dostal & partner informiert. Anschließend hat der Zukunftsausschuss die nächsten Schritte für die Gründung einstimmig befürwortet. Thema natürlich auch gestern: die Schieflage des MVZ in Gummersbach-Derschlag.
Es ist nicht der erste Versuch der Gemeinde, Antworten auf den Ärztemangel zu finden. „Wir versuchen schon seit zehn Jahren Abhilfe zu schaffen“, so Redenius. So habe man schon mit einem Institut in Bonn zusammengearbeitet, um Ärzte aus dem osteuropäischen Ausland hier anzusiedeln. Außerdem suche die Verwaltung schnell das Gespräch und nach Lösungen, wenn es bei den Ärzten in Nümbrecht Probleme gibt oder Praxen womöglich aufgegeben werden sollen. Manchmal kann die Verwaltung Lösungen finden, wie als die Räume des Frauenarztes nach einem Hochwasser unbenutzbar wurden. Andere Male ist sie aber machtlos. Im vergangenen April erst wurden zwei weitere Hausarztpraxen aufgegeben. Innerhalb des gemeinsamen hausärztlichen Planungsbereichs der Kassenärztlichen Vereinigung für die Kommunen Nümbrecht, Morsbach und Waldbröl ist der Versorgungsgrad innerhalb nur weniger Monate von 92,6 auf 79,9 Prozent eingebrochen. 8,5 Hausarztsitze sind nicht besetzt. Dazu kommt unter anderem, dass Kinderärzte im Süden Oberbergs fehlten. Der Kinderarzt in Nümbrecht gehe bereits auf die 70 zu.
Zur rechten Zeit für die Kommune kommt nun der Neubau des Medicenters am Lindchenweg am Kurpark (OA berichtete). Der Bauantrag ist inzwischen genehmigt, die Bagger sind angerückt. Im dritten Quartal 2024 soll der Bau des Investors Michael Pfeiffer stehen. Mindestens für zwei Praxen wird der Geschäftsmann selbst Ärzte mitbringen. Damit wird aber noch viel vorhandene Fläche übrig sein, da sich auch bei dem Unternehmer einige ursprüngliche Planungen verschoben haben. Die Verwaltung rannte mit der Idee, ein KMVZ dort unterzubringen, bei Pfeiffer also offene Türen ein. KMVZ gebe es in Deutschland bislang nur etwa 30. „Das wird ein echter Gewinn“, ist der Wiehler überzeugt.
Für die Gemeinde indes sei es ein absoluter Glücksfall, dass Pfeiffer das moderne Gebäude plant und baut und eine zu gründende Gesellschaft anschließend als Mieterin auftreten kann, sagt Redenius. Andere Kommunen, die ein KMVZ in Erwägung ziehen, scheiterten schon an der Frage des geeigneten Raums.
Warum aber verschärft sich die Lage bei den Ärzten immer weiter und was macht ein KMVZ anders? Bei den aktuellen und nachfolgenden Ärztegenerationen habe ein Umdenken stattgefunden, sagen Gabriele Dostal und Redenius. „Sie wollen nicht mehr 70 Stunden in der Woche arbeiten.“ Viele scheuten die Selbstständigkeit, wollen lieber einen geregelten Vertrag als angestellte Ärzte. Vielen sei die richtige Work-Life-Balance inzwischen wichtiger als die Höhe des Einkommens. Auch in Teilzeit wollen immer mehr Frauen und Männer ihrer Tätigkeit als Arzt nachgehen. Hinzu komme die „überbordende Bürokratie“, die rechtlichen, gesetzlichen und steuerlichen Anforderungen, die viel Zeit kosteten – Zeit, die man nicht mehr für das Behandeln hat.
„Da übernimmt niemand eine Praxis und geht ins Risiko“, sagt Redenius. Zumal neue Ausstattung viel Geld kostet. Für ältere Ärzte lohnt sich die Investition meist nicht. Wer eine neue Praxis aufmacht oder eine übernehmen möchte und neue Ausstattung benötigt, macht viele Schulden zum Start. Bei der GmbH soll Fremdkapital eingebracht werden, um die moderne Ausstattung sicherzustellen. Zudem könnte es noch Fördermittel von der KV geben. Die Kommune ist da raus: Sie zahlt 25.000 Euro für die Gründung der Gesellschaft.
Geregelte Arbeitszeiten, eine moderne Ausstattung, ein professionelles Team: „Mit dem kommunalen medizinischen Versorgungszentrum möchten wir Ärzten ein attraktives Angebot machen“, so Redenius weiter. An der Spitze des KMVZ sollen zwei Leitungen stehen – eine ärztliche und eine kaufmännische. Sprich: Bei der Abrechnung, den Finanzen, dem Einstellen von Personal wird den Ärzten viel abgenommen. Sie sollen sich auf ihr "Kerngeschäft" konzentrieren können. Im Gegensatz zu Investoren-geführten MVZ soll das KMVZ nicht profitorientiert geführt werden. „Wir sind nicht auf Gewinnmaximierung aus, sondern wollen eine langlebige, seriöse und wohnortnahe Ärzteversorgung.“
Auch die Resonanz der vorhandenen Ärzte in Nümbrecht sei positiv. „Die Praxen sind an ihren Kapazitätsgrenzen“, so Dostal. Jeder vierte Hausarzt-Patient komme dabei bereits aus anderen Kommunen. „Es lastet ein enormer Druck auf den Ärzten.“ Gleichzeitig sagten Dostal und Redenius deutlich Richtung Waldbröl und Morsbach, dass jetzt nicht alle vorhandenen Hausarztsitze im Planungsbereich in Nümbrecht angesiedelt werden sollen. Der Mix soll es im KMVZ und im Medicenter machen und eine adäquate Versorgung bieten.
Mindestens zwei Ärzte (zwei Sitze) sind für den Start eines MVZ zwingend erforderlich. An diesen Starterplätzen seien zwei Ärzte „sehr interessiert“, auch ein Dritter habe Interesse signalisiert, so Dostal im Zukunftsausschuss. Wie viele Ärzte im KMVZ tätig werden könnten, steht noch nicht fest. Für die Kommune das große Plus: Wenn die Kassenärztliche Vereinigung den Arztsitz genehmigt hat, ist dieser in Nümbrecht verhaftet. Hört also der Arzt auf oder zieht um, zieht nicht automatisch sein Sitz mit ihm, sondern verbleibt im Kurort.
Der Rat soll nun bei seiner nächsten Sitzung am 15. Juni beschließen, die Gründung eines KMVZ weiter zu verfolgen und die Verwaltung beauftragen, die notwendige Gesellschaft zu realisieren. Die Mitglieder des Zukunftsausschusses gaben schon einmal eine einstimmige Empfehlung ab bei einer Enthaltung von Dominik Trautmann (FDP). Zu den nächsten Schritten gehört darüber hinaus die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung. Ist die GmbH gegründet, kann sie Sitze bei der KV beantragen. Anfang 2025, wenn das Medicenter fertig ist, soll das KMVZ den Betrieb aufnehmen. „Ich hoffe auf das nächste Nümbrechter Erfolgsmodell“, so Redenius.
Risiken und Nebenwirkungen
Vor kurzem wurde die finanzielle Schieflage des „MVZ DerArzt Hausarztzentrum Gummersbach“ in Derschlag bekannt (OA berichtete hier und hier). Das Insolvenzverfahren ist inzwischen eröffnet worden. Dies hat natürlich auch bei den Ausschussmitgliedern zu kritischen Nachfragen geführt. „Was ist dort schiefgelaufen und wie können wir diese Fehler vermeiden?“, wollte Thomas Hellbusch (CDU) wissen. Dostal beruhigte mit Verweis auf die Erklärungen der KV Nordrhein. Demnach sei in Derschlag - vereinfacht gesagt - nicht ordentlich abgerechnet worden. Tatsächlich gebe es bei insgesamt rund 4.200 Versorgungszentren aktuell fünf Insolvenzen, die Mehrheit davon seien einer Gruppe zuzuordnen. „Dies deutet auf systematische Fehler hin“, so Dostal weiter. „Es ist nicht üblich, dass ein MVZ ins Minus geht.“ Dass diesbezüglich beim KMVZ etwas schiefgehen könnte, schloss Dostal aus. Abrechnungen würden in professionelle Hände gelegt, das Personal dahingehend geschult. „Wenn die Abrechnung beherrscht wird, sind Praxen und MVZ Positivbetriebe“, machte Dostal deutlich.
KOMMENTARE
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Hoffentlich geht des dem Nümbrechter Zentrum dann nicht über Kurz, oder Lang genauso: https://www.oberberg-aktuell.de/gummersbach/hausarztzentrum-in-not--erste-ma--nahmen-beraten-a-92370
Eduard Pohlke, 08.06.2023, 09:54 Uhr2
Wiehl zeigt, wohin der Weg mit einem Investor für ein MVZ gehen kann. Nicht ein Arzt wurde angezogen. Man hat aus Bielstein und auch aus Wiehl Ärzte nur abgeworben. Fachärzte und Allgemeinmediziner fehlen hier immer noch. Trotz - oder gerade wegen einem Ärztezentrum.
Hugo Willy, 19.06.2023, 15:23 UhrLinks zu fremden Internetseiten werden nicht veröffentlicht. Die Verantwortung für die eingestellten Inhalte sowie mögliche Konsequenzen tragen die User bzw. deren gesetzliche Vertreter selbst. OA kann nicht für den Inhalt der jeweiligen Beiträge verantwortlich gemacht werden. Wir behalten uns vor, Beiträge zu kürzen oder nicht zu veröffentlichen.
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