POLITIK
Im Minutentakt: Probleme wälzen, Lösungen suchen
Oberberg – Die Direktkandidaten für die im aktuellen Bundestag vertretenden Parteien stellten sich bei der IHK Köln Wirtschaft und Politik sowie in Bergneustadt den Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums und der Realschule vor.
Von Lars Weber
Noch zweieinhalb Wochen, dann ist der entscheidende Wahlsonntag gekommen. Am 23. Februar wird ein neuer Bundestag gewählt. Die Direktkandidaten in der Region nutzen die verbleibende Zeit, um Werbung in eigener Sache zu machen. Am Dienstagabend und am Mittwochmittag haben dafür gleich zwei Podiumsdiskussionen auf dem Programm gestanden. Dienstag waren Carsten Brodesser (CDU), Pascal Reinhardt (SPD), Sabine Grützmacher (Grüne), Sebastian Diener (FDP), Bernd Rummler (AfD) und Jan Köstering (Die Linke) bei der IHK Oberberg in Gummersbach zu Gast. Vor rund 80 Gästen aus Wirtschaft und Politik ging es dabei um zu hohe Energiekosten, den Fachkräftemangel und das deutsche Bürokratieproblem. Im Zentrum stand die Frage: „Wer rettet die Wirtschaft?“. Neben der IHK eingeladen hatten Kreishandwerkerschaft und der Arbeitgeberverband.
Nur einen halben Tag später ging es dann in den Bergneustädter Krawinkelsaal, wo insgesamt rund 400 Schülerinnen und Schüler des Wüllenweber-Gymnasiums und der Städtischen Realschule auf sie warteten. Sabine Grützmacher, die nach Brüssel musste, wo es am Mittwoch um die Mittel des europäischen Sozialfonds ging, ließ sich von Bernadette Reinery-Hausmann vertreten. Diese wird sich im Herbst um das Landratsamt im Oberbergischen bewerben. OA gibt einen Überblick über Fragen und Antworten aus beiden Diskussionen.
Um das Land wieder fit zu machen: Reform der Schuldenbremse, ja oder nein?
Klar zweigeteilt sind sich die politischen Lager bei dieser Frage. Reinery-Hausmann sagte, dass die Schuldenbremse reformiert werden müsse, um in die Infrastruktur Deutschlands zu investieren. „Eine Investition in eure Zukunft“, sagte sie den Schülern. Aus einem Deutschlandfonds müssten Straßen, Brücken oder Bildungseinrichtungen auf Vordermann gebracht werden. Pascal Reinhardt stimmte dem zu. „Es gibt europäisches Recht zur Schuldenvermeidung, wir brauchen keine deutschen Sonderregeln.“ Wenn Deutschland keine Schulden macht, müsste das Geld über Steuern kommen, was die Wirtschaft weiter abwürge. „Die Schuldenbremse ist eine Investitionsbremse“, sagte Köstering. Eine Vermögenssteuer müsse her. Das Geld sei da, es sei nur falsch verteilt. Die Schuldenbremse muss bleiben, sagten die anderen Kandidaten. „Die Schuldenbremse ist eine Inflationsbremse“, sagte Sebastian Diener. Die Kredite zurückzahlen und dazu noch die steigenden Zinsen, die Rechnung geht nicht auf. Daran erinnerte auch Carsten Brodesser. Dieses Geld für Zinsaufwand und Schuldentilgung fehle zudem anderswo im Haushalt. Er plädiert für einen Kassensturz: „Wir müssen für die richtigen Dinge Geld ausgeben“, es sei genug da. Dem stimmte Bernd Rummler zu. „Aktuell wird das Geld an den falschen Stellen ausgegeben, es müssen Freiräume geschaffen werden.“
Rund um die Diskussion
Bei der IHK Oberberg moderierte Willi Haentjes die Veranstaltung, seines Zeichens Chefredeakteur der Medien der IHK Köln. Das Plenum hatte digital die Möglichkeit, Fragen an die Kandidaten zu übermitteln, indem sich die Gäste via QR-Code einwählten und Fragen in einem Chat hinterlassen konnten. Interaktiv war die Veranstaltung im Krawinkelsaal in Bergneustadt ebenso. Hier durften sich die Schülerinnen und Schüler melden und Fragen an einzelne Kandidaten stellen, als die Themenblöcke abgearbeitet waren. Von dieser Möglichkeit wurde auch rege Gebrauch gemacht. Tatsächlich hätte die Veranstaltung noch lange weitergehen können, viele Fragen konnten aus Zeitgründen nicht gestellt werden. Souverän durch die Diskussion führten die Realschüler Enis-Cem Cetin und Erik Pfeifer sowie die Gymnasiasten Marie Zwinge und Louis Mendel.
Wer rettet die Wirtschaft?
Nur die Politik gemeinsam mit der Wirtschaft könne das Problem lösen, sagte unter anderem Sabine Grützmacher. Praxischecks könnten ein Beispiel für eine solche Zusammenarbeit sein, wo direkt geschaut wird: Wo hakt es, was muss schneller laufen. Bei den Verordnungen – das diskutierte Beispiel war das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, welches den Unternehmen viel Bürokratie verursacht – müsse einmal mit dem Besen durchgegangen werden. Brodesser: „Wir müssen die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft setzen und ihr wieder Freiheiten geben“. Beispiel Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz: Dieses gehöre abgeschafft, schließlich arbeite die EU an einem einheitlichen Standard. Pascal Reinhardt sagte, die deutsche Wirtschaft sei zu exportabhängig. „Da müssen wir weg von, aber langsam, um die Balance nicht zu verlieren.“ Sebastian Diener sagte aufgrund der Bürokratie: „Wir verwalten uns zu Tode“. Deutschland setze auf EU-Standards häufig noch eins drauf und beschneide die eigene Wettbewerbsfähigkeit so selbst. Bernd Rummler rechnete vor, dass die Bürokratie allein 146 Milliarden Euro koste. „Deutschland meint immer, vorangehen zu müssen, dabei kostet das Land den Unternehmen Geld.“
Wie können wieder planbare Energiepreise erreicht werden?
Beim Thema Netz-Infrastruktur habe Deutschland zu lange gespart, sagte Sabine Grützmacher. Es brauche zudem kluge Strategien für bessere Kreisläufe in der Industrie, um mit den Ressourcen besser umzugehen – auch das spare Energie. Bernd Rummler sagte, „die Energiewende ist gescheitert“. Es brauche grundlastfähige Kraftwerke, auch wieder das Gas aus Russland zu beziehen sei ein Mittel – eine Meinung, die durch die Bank von den anderen scharf kritisiert wurde. „So würden wir nur die Kriegskasse Russlands füllen“, so zum Beispiel Jan Köstering, der bei der besseren Verteilung erneuerbarer Energien auf Investitionen in die Nord-Süd-Trasse setzt. „Da brauchen wir gemeinsame Lösungen.“ Pascal Reinhardt betonte, dass Deutschland niemals ganz unabhängig sein werde von anderen Energiezulieferern. Er setzt auch auf einen europäischen Netzmarkt. „Da müssen wir im großen Stil investieren.“ An die Steuern und Abgaben auf die Strompreise möchten Brodesser und Diener ran, diese machten allein 47 Prozent des Preises aus. „Die Netzentgelte müssen reformiert werden“, so Diener. Eine Rückkehr zur Kernenergie, so wie es Rummler forderte, sehen die anderen Kandidaten aufgrund des Risikos und der hohen Kosten als Irrweg – zumindest aktuell, wie Brodesser anfügte, der auf fortschreitende Technologien verwies und nichts ausschließen wollte.
[Die Kandidaten bei der Diskussion in den Räumen der IHK Köln, Geschäftsstelle Oberberg.]
Wie werden Wohnungen wieder bezahlbar?
Jan Köstering sagte, mit einem Mietendeckel würden „von jetzt auf gleich“ Wohnungen verfügbar, die gerade leer stehen aufgrund der astronomischen Mieten. „Es gibt freie Wohnungen, sie sind bloß nicht bezahlbar.“ Bernadette Reinery-Hausmann sagte, dass die Regierung Mittel für die Kommunen auflegen müsste, damit diese in den sozialen Wohnungsbau investieren können. Dem stimmte Pascal Reinhardt zu: Wenn Kommunen bauen, müssen sie nicht so auf Gewinne gucken wie Investoren. Deshalb müssten Kommunen mit entsprechenden finanziellen Mitteln ausgestattet werden. Sebastian Diener sagte, dass Bauen wieder attraktiver werden müsse für Investoren und Privatleute. Auch hier könne Entbürokratisierung helfen. „Gerade braucht die Baugenehmigung länger als das Bauen selbst.“ Carsten Brodesser stimmte zu: „Bauen muss einfacher werden“. Ein Mietendeckel helfe wenig: „Dann bleiben die Investoren ganz weg“. Bernd Rummler sagte ebenfalls, dass Verordnungen zurückgefahren werden müssten. „Diese verteuern das Bauen.“
Was muss Deutschland gegen den Klimawandel tun?
Laut Pascal Reinhardt muss ein klimaneutraler Pfad eingeschlagen werden, dies gehe nicht ohne Investitionen in Infrastruktur, Stromnetz oder ein Wasserstoffkernnetz. Sebastian Diener mahnte, dass auch die großen Player USA, China oder Indien mitmachen müssten. „Denen ist das Klima aber egal.“ Diener setzt stark auf den Emissionshandel, der auch ins Private ausgeweitet werden müsse. Carsten Brodesser sieht im Klimawandel die zentrale Aufgabe für die kommenden Jahrzehnte. Umweltverschmutzung müsse einen Preis bekommen. Wichtig: „Klimapolitik muss gemeinsam mit den Bürgern gemacht werden“. Deutschland opfert für die CO2-Reduktion die Wirtschaft, sagte Bernd Rummler. Die Abschaltung der Kernenergie sei ein Fehler gewesen. „Wir müssen den Mut haben, Schritte zurückzugehen.“ Jan Köstering rief den „Kampf gegen die Superreichen“ aus, da Zweidrittel des CO2-Ausstoßes auf der Welt von nur wenigen Konzernen verursacht würden. Bernadette Reinery-Hausmann sagte, dass im regenerativen Energiemarkt noch sehr viel ungenutztes Potenzial steckt. Andere Länder seien schon weiter. An dem Ziel, 2045 klimaneutral zu sein, sollte festgehalten werden.
[Per Handy konnten die Gäste Fragen an die Kandidaten stellen.]
Wann sollten Migranten abgeschoben werden?
Deutschland ist ein Einwanderungsland, stellte Brodesser fest. Es benötige Migration, um die demografischen Probleme lösen zu können. Zugleich „muss das Recht auf Asyl“ erhalten bleiben. Ein Großteil der Menschen, um die es gerade gehe, seien aber keine Asylsuchende, sondern subsidiär Schutzsuchende oder Wirtschaftsmigranten. Da heiße es laut Brodesser: Wenn Verbrechen verübt werden, sollte eine Abschiebung erfolgen. Bernd Rummler meinte ebenso, dass in solchen Fällen „das Gastrecht“ verwirkt sei. Die Zahlen der Abschiebungen müsse steigen, zu groß sei der Einfluss ausreisepflichtiger Asylbewerber auf den Wohnungsmarkt. Jan Köstering stellte klar: Wer nach deutschem Recht Asyl bekommt, kann dies nicht verlieren. Bei „den wenigen“ schweren Straftätern sei vielleicht eine Abschiebung berechtigt, aber aufgrund der Verhandlungen mit den Herkunftsländern längst nicht einfach umzusetzen. Bernadette Reinery-Hausmann stimmte dem zu und meinte, die Debatte um Ausweisungen sei eine Schattendebatte, die von anderen Problemen ablenke, wie zum Beispiel den 360 Femiziden im Jahr. Pascal Reinhardt warnte davor, Begrifflichkeiten von Asyl bis zu Migrant durcheinander zu werfen. Bei der Abschiebung bedürfe es klaren Regeln, bei Straftaten spielten die Hintergründe eine wichtige Rolle. Sebastian Diener machte klar, dass Migration Deutschland schon immer bereichert habe. Wiederholungstäter, Schwerkriminelle, die den Ruf anderer Menschen zerstören, sollten ausgewiesen werden.
Für die Podiumsdiskussionen - am gestrigen Abend fand auch noch eine weitere in Hückeswagen statt, organisiert von der Kolping-Familie - waren nur jene Direktkandidaten der bereits im Bundestag vertretenen Parteien eingeladen. Dies bedauert Tobias Vormstein, Direktkandidat der Freien Wähler, in einer Mitteilung. "Wir Freie Wähler möchten betonen, dass wir es bedauern, dass nicht gewährleistet ist, dass alle Direktkandidaten vollständig vertreten sind. In einer funktionierenden Demokratie sollte das Ziel einer solchen Podiumsdiskussion sein, ein umfassendes Bild zu präsentieren, das die Vielfalt der Meinungen und Ansichten widerspiegelt." Für die Zukunft wünscht er sich ein anderes Vorgehen der Veranstalter. "Nur so ist eine umfassende und gerechte Debatte möglich, die dem demokratischen Prozess dient."
[Für jede Antwort hatten die Kandidaten 1,5 Minuten Zeit.]
Und wie kommen mehr Fachkräfte ins Land?
Carsten Brodesser sagte, dass es für Fachkräfte wie Ingenieure nicht nur zu unattraktiv sei aufgrund von Löhnen oder Besteuerung, sondern auch viel zu kompliziert. Ein Immigrationhub – eine Stelle, die tatsächlich für alle Fragen und Antworten rund um Einwanderung zuständig ist, wäre ein „Gamechanger“. Jan Köstering erinnerte an das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Pascal Reinhardt daran, auch hier die Bürokratie zu reduzieren. „Da laufen Genehmigungen ab, bevor woanders der Antrag überhaupt bearbeitet wurde.“ Sabine Grützmacher mahnte, jedem Menschen, der nach Deutschland möchte, freundlich zu begegnen: egal ob Geflüchteter oder potenzielle Fachkraft. „Sonst möchte hier niemand hin, so, wie die Atmosphäre gerade ist.“ Wichtig sei weiter, die Anerkennung von Abschlüssen zu beschleunigen und die Teilanerkennung zu reformieren. In eine ähnliche Richtung wie Brodesser und Grützmacher ging Diener, der von einem Welcome-Desk sprach für Fachkräfte. Bernd Rummler sagte, dass die Fachkräfte im Ausland noch bessere Bedingungen vorfinden. Zuwanderung hier sei nötig, aber die Regeln, wer nach Deutschland kommt, müssten klar umrissen sein.
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