POLITIK

Kinderschutzambulanz für den Kreis soll kommen – aber wann?

lw; 02.02.2024, 16:18 Uhr
Archivfoto: OA.
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Kinderschutzambulanz für den Kreis soll kommen – aber wann?

lw; 02.02.2024, 16:18 Uhr
Oberberg – Einrichtung hilft bei der Abklärung bei Verdacht auf Vernachlässigung, Misshandlung und sexualisierter Gewalt bei Kindern – Noch gibt es solch eine Ambulanz nicht im Kreis - Nun soll eine Anlaufstelle direkt am Klinikum Oberberg eingerichtet werden – Personal wird schon gesucht.

Von Lars Weber

 

Immer häufiger werden Kinder im Kreis Opfer psychischer oder physischer Gewalt. Die Zahl der  Verfahren zur Einschätzung von Kindeswohlgefährdungen hat sich NRW-weit in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt – der Trend wird auch im Oberbergischen Kreis bestätigt (siehe Kasten). Für diese Kinder und Jugendlichen und die beteiligte Familie sind Kinderschutzambulanzen eine wichtige Anlaufstelle. Dort bietet das Team Ersteinschätzungen und die Abklärung von Verdacht auf Vernachlässigung, Misshandlung und sexualisierter Gewalt an. Es geht um Diagnose, Dokumentation und Beratung. Noch müssen Betroffene nach Remscheid, Köln, Bonn oder Siegen, um die dortigen Angebote der Kliniken in Anspruch zu nehmen. Vorgesehen ist eine Kinderschutzklinik aber auch in Gummersbach am Klinikum Oberberg. Die Frage ist momentan nur: Wann wird sie eingerichtet?

 

Denn das Thema an sich wird auch zwischen der Kreisverwaltung und dem Klinikum schon länger diskutiert. „Aktuell sind die Wege zur nächsten Ambulanz zu weit“, wie Gesundheitsdezernent Ralf Schmallenbach auf OA-Nachfrage sagt. „Es gibt schlicht eine Versorgungslücke.“ Aus Sicht des Kreises werde dadurch die Zusammenarbeit von Jugendhilfe und dem öffentlichen Gesundheitsdienst erschwert. Denn die Kinderschutzambulanz funktioniert wie ein Bindeglied zwischen Opfern und weiteren wichtigen Anlaufstellen wie eben Beratungsstellen, aber auch niedergelassenen Kinderärzten oder auch dem Kreisjugendamt. Eine Therapie findet in einer Kinderschutzambulanz nicht statt.

 

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Schmallenbach: „Eine Kinderschutzambulanz hilft allen Kinderschutz-Netzwerkpartnern als Anlaufstelle bei vermuteter psychischer oder physischer Gewalt gegen Kinder. Sie hilft auch den niedergelassenen Kinder- und Jugendmedizinern, weil sie sich hier eines Spezialdienstes bedienen können, um abzuklären, ob es eine Gewaltanwendung gegeben hat und wie damit umgegangen werden kann.“ Nicht zuletzt leide auch das Vertrauensverhältnis zwischen niedergelassenem Kinder- und Jugendmedizinern weniger, wenn die Familien in der Kinderschutzambulanz untersucht werden.

 

Hoffnung hat der Gesundheitsdezernent, dass bald Nägel mit Köpfen gemacht werden. „Grundsätzlich sei das Klinikum bereit, eine Kinderschutzambulanz einzurichten“, so Schmallenbach, allerdings mache die Refinanzierung der Leistungen sorgen. „Etwas Hoffnung haben wir durch die Neubesetzung der Kinder- und Jugendpsychiatrie, die zusammen mit der Kinderklinik hier eine Kinderschutzambulanz betreiben könnte. 2024 wäre ein gutes Jahr für eine Umsetzung. Der Vorlauf war lang genug.“

 

Ganz so optimistisch hört sich das beim Klinikum Oberberg zunächst nicht an. Demnach haben aktuell die Umstrukturierungspläne, die im Sommer 2022 präsentiert worden waren – allen voran der Aufbau eines Zentrums für Herz- und Gefäßerkrankungen in der Kreismitte samt großem Anbau am Kreiskrankenhaus in Gummersbach (siehe Kasten) – Priorität. Parallel dazu solle laut Klinikum die Schaffung der Voraussetzungen einer Kinderschutzambulanz aber nicht aus den Augen verloren und weiterverfolgt werden.

 

Immer mehr Kindeswohlgefährdungen

 

56.914-mal haben Jugendämter im Jahr 2022 in Nordrhein-Westfalen im Rahmen ihres Schutzauftrags eine Einschätzung bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung vorgenommen. Das waren 2,8 Prozent mehr als 2021. Die Zahl der Verfahren von Gefährdungseinschätzungen ist damit mehr als doppelt so hoch (+102,7 Prozent) wie 2012, dem Jahr, in dem die Aufzeichnungen zu dieser Statistik begannen. Dies geht aus einer vom Land NRW veröffentlichten Statistik aus dem Sommer vergangenen Jahres hervor.

 

Insgesamt 694 Verfahren zur Einschätzung von Kindeswohlgefährdung gab es demnach 2022 im Oberbergischen Kreis: der Höchstwert der vergangenen acht Jahre. 2016 waren es 285 gewesen. Bei den fast 700 Verfahren wurde 100-mal eine akute Kindeswohlgefährdung festgestellt: auch dies ein Höchstwert. 2016 beispielsweise waren es 28. 121-mal lautete 2022 das Ergebnis latente Kindeswohlgefährdung, in 244 Fällen wurde keine Kindeswohlgefährdung festgestellt, dafür aber ein Hilfsbedarf. Wie hoch die Dunkelziffer ist, ist unklar.

 

Das Großprojekt ist aber nicht die einzige Hürde bei der Einrichtung einer Kinderschutzambulanz. Auch das Personal dafür müsse erstmal gefunden werden, teilt Klinikum-Sprecherin Angela Altz mit: Um eine Kinderschutzambulanz betreiben zu dürfen, benötige man eine Kinderkrankenschwester, einen Psychologen, einen Radiologen und einen Kinderarzt, alle Beschäftigten einer Kinderschutzambulanz müssten außerdem eine entsprechende Fortbildung absolvieren. „Wir haben zwar alle diese Professionen im Krankenhaus, aber diese Kolleginnen und Kollegen sind bereits voll ausgelastet.“ Trotzdem suche man bereits Personal für die Kinderschutzambulanz.

 

Von der Personalfrage abgesehen könne man aber schnell starten, denn räumlich wären Ressourcen da: Eine Kinderschutzambulanz braucht ein Büro als feste Anlaufstelle und nutzt darüber hinaus die bestehenden Strukturen in den beiden Kliniken Kinder- und Jugendmedizin und Kinder- und Jugendpsychiatrie, erklärt Altz.

 

Bei einem Umsetzungstermin bleibt das Klinikum vorsichtig, spricht von „mittelfristig“. Für Geld aus einem Fördermitteltopf des Landes extra für Kinderschutzambulanzen für dieses und das kommende Jahr habe sich das Klinikum nicht beworben. „Sollten zum Zeitpunkt der Beantragung überhaupt noch Fördermöglichkeiten bestehen und die Kriterien erfüllt werden, würden wir entsprechende Mittel beantragen“, heißt es Nachfrage weiter.

 

In der Medizinstrategie des Klinikums und im Zukunftsvertrag der Landesregierung spielt jedoch nicht nur eine Kinderschutzambulanz eine Rolle, sondern auch ein Sozialpädiatrisches Zentrum (SPZ). Ein SPZ ist eine Einrichtung der ambulanten Krankenversorgung, das auf Kinder und Jugendliche spezialisiert ist und unterschiedliche Schwerpunkte haben kann. Der Aufbau eines SPZ gehe jedoch mit weit mehr Aufwand einher als die Einrichtung einer Kinderschutzambulanz, sowohl personell als auch räumlich. Eine getrennte Umsetzung ist also wahrscheinlich.

 

Perspektivisch, so verrät Schmallenbach, gehört auch ein Ausbildungsverbund für Kinder- und Jugendmediziner sowie ein Kinderarztsitz am Klinikum Oberberg zur Strategie dazu. „Wir bleiben am Ball“, so der Gesundheitsdezernent.

 

Umstrukturierung

 

Im Sommer 2022 wurden vom Klinikum Oberberg und Kreis die Umstrukturierungspläne für die Krankenhäuser in Gummersbach und Waldbröl vorgestellt (OA berichtete). Ab März finden die Patienten nun die Klinik für Gefäßchirurgie in Gummersbach und die Versorgung von Knie- und Hüftgelenksersatz (Endoprothetik) in Waldbröl. „Mit dem Umzug der Gefäßchirurgie nach Gummersbach vollziehen wir den ersten Schritt zum Aufbau eines Zentrums für Herz- und Gefäßerkrankungen in der Kreismitte.“ In zwei bis drei Jahren soll die invasive Kardiologie dann auch in Gummersbach sein. Die dafür notwenigen baulichen Maßnahmen befinden sich in der Bearbeitung. Zu den damals genannten möglichen Baukosten von 40 Millionen Euro gebe es keine neuen Erkenntnisse.

 

Aktuell werden die Anträge bearbeitet, die fristgerecht bis zum 2. April dem Land NRW vorgelegt werden. Das Klinikum möchte von den 2,51 Milliarden Euro profitieren, die vom Land im Rahmen des Entfesselungspakets I für erforderliche Baumaßnahmen zur Gestaltung einer zukunftsfähigen Krankenhauslandschaft zur Verfügung gestellt werden. „Eine Förderzusage ist für das Klinikum Oberberg eine wichtige Voraussetzung zur Realisierung der dringend erforderlichen Umstrukturierung.“ Die Umsetzung der Baumaßnahmen wird nach Beauftragung mehrere Jahre beanspruchen.

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