POLITIK
Mögliches Bauland: Bürgerwut, Halbwahrheiten und 20 Beschlüsse
Nümbrecht – Verwaltung hatte Potenzialflächen in der Gemeinde ermittelt – Einwohner fühlen sich übergangen – Bürgermeister Redenius gibt Versprechen.
Von Lars Weber
Bis auf den Gang vor dem Sitzungssaal im Rathaus haben gestern bei der Sitzung des Nümbrechter Planungsausschusses die Gäste dicht gedrängt gestanden. Bei den deutlich mehr als 100 Menschen handelte es sich um Bürger aus den Ortschaften Nümbrechts, die gekommen waren, um ihrem Ärger Luft zu machen. Ihre Sorge: Dass an vielen Stellen der Gemeinde neues Bauland entsteht und die Orte massiv erweitert werden – und an den Einwohnern und Besitzern der Grundstücke vorbei entschieden werden soll. Dahinter steckt eine Potenzialflächenanalyse für Bauland, die die Verwaltung angestellt hatte – in diesem Rahmen fanden sich stolze 20 Aufstellungsbeschlüsse für Bebauungspläne auf der Tagesordnung wieder. Nun war die Verwaltungsspitze um Bürgermeister Hilko Redenius darum bemüht, die Stimmung zu beruhigen und über die Entwicklungen aufzuklären.
Was sind die Hintergründe für die Aufstellungsbeschlüsse?
Nach einem Antrag der CDU wurde vom Ausschuss im März mehrheitlich beschlossen, dass aufgrund der hohen Nachfrage nach Baugrundstücken alle Möglichkeiten der Baulandaktivierung in den Ortschaften ausgeschöpft werden sollen. Eine temporäre Änderung des Baugesetzbuchs erlaubt dafür die Aufstellung von Bebauungsplänen für Wohnnutzungen in Außenbereichsflächen in einem beschleunigten Verfahren. Die Änderung läuft Ende des Jahres ab, bis dahin müsse zumindest ein Aufstellungsbeschluss stehen.
Infrage kommende Flächen sollten sich an bebaute Ortsteile anschließen und eine Grundfläche für Wohnbebauung bis maximal 10.000 Quadratmeter ermöglichen. Wichtig sei bei der Analyse zudem unter anderem gewesen, dass ein Erschließungsaufwand gering sei. „Die Verwaltung hat diesen Auftrag ausgeführt und die Potenzialflächen ermittelt“, sagte Bürgermeister Redenius. „Dabei spielten rein städtebauliche Aspekte eine Rolle“, ergänzte Fachbereichsleiter Manfred Schneider, also keine Eigentumsverhältnisse. Die Aufstellungsbeschlüsse seien der Auftrag dafür, die Gespräche mit den Einwohnern und Grundstückseigentümern zu suchen, um überhaupt auszuloten, ob die Gebiete tatsächlich infrage kommen. Das Verfahren Richtung Bebauungsplan inklusive Öffentlichkeitsbeteiligung würde erst danach weitergehen.
Warum sind die Bürger sauer?
Von den Plänen, dass beim Ausschuss 20 Aufstellungsbeschlüsse beschlossen werden sollen, hatten viele von ihnen erst am Wochenende erfahren. Unter den Bürgern waren sowohl Eigentümer infrage kommender Grundstücke, als auch Nachbarn oder Ortsbewohner, die Sorge haben, dass sich das Gesicht ihres Dorfes stark verändert. Die Grünen hatten Flyer in den Ortschaften verteilt, in denen sie über die Entwicklungen informiert hatten. „Wir wehren uns gegen den weiteren Flächenverbrauch!“, hieß es da. Andrea Saynisch kritisierte die Informationspolitik und das „Eilverfahren“, das die Gemeinde anstrebe. Auf den Potenzialflächen hätten locker 400 Einfamilienhäuser Platz. „Wer soll sich das leisten bei den Preisen?“ Es solle sich besser um den Leerstand gekümmert werden.
Ein Geschäftsordnungsantrag Saynischs, dass die anwesenden Bürger zu Wort kommen sollen, wurde mehrheitlich abgelehnt. „Dafür wird im weiteren Verlauf des Prozesses noch genug Zeit sein“, sagte Manfred Henry Daub (CDU). Henrik Köstering (Grüne) nannte das Abstimmungsergebnis „feige“. Der abgelehnte Antrag hielt die Zuschauer aber nicht davon ab, ihre ablehnende Haltung mit vielen Zwischenrufen zu verdeutlichen. Tenor: Wenn der Beschluss kommt, würde im „Eilverfahren“ der Bebauungsplan durchgepeitscht.
Welche Einwände haben die Bürger?
Einige Stellungnahmen gingen bei der Verwaltung schon ein. Einwohner von Altennümbrecht merken darin an, dass bei den Grundstücken wichtige Dorfgemeinschaftsflächen für Treffen, Spiel, Sport und Feste betroffen seien. Außerdem liege in einigen Bereichen kein Abwasserkanal und es existiere keine Stromversorgung. Weiter würden gerade ältere, kranke Menschen „durch eine mehrjährige Großbaustelle auf unzumutbare Weise beeinträchtigt“. Heddinghausener merken Probleme mit der Versickerung bei Starkregenereignissen an, außerdem sei zusätzlicher Verkehr nicht zumutbar und würde die Sicherheit der Kinder im Dorf gefährden. Einwohner Marienberghausens fürchten, durch ein zusätzliches Neubaugebiet den dörflichen Charakter noch weiter zu verlieren.
Wie argumentierten Ausschussmitglieder und Verwaltung?
CDU und Bürgermeister Redenius warfen den Grünen vor, Stimmung zu machen, auch mit Unwahrheiten. „Wenn die Bürger etwas von einem Eilverfahren lesen, regen sie sich zu Recht auf“, so Daub. Mit solchen Begriffen würden die Menschen bewusst "aufgehetzt". Dabei bedeute das Verfahren, dass auf eine Umweltprüfung verzichtet werden kann, nicht aber auf eine Öffentlichkeitsbeteiligung. Den Vorwurf von Saynisch, dass im Beteiligungsverfahren Einwände von Bürgern sowieso nur „zur Kenntnis“ genommen würden, stellte Redenius entgegen, dass der Ausschuss diese Reaktionen der Gemeinde letztlich selbst mitentscheide. Rainer Galunder (WGHL) merkte an, dass die Verwaltung lediglich geltendes Recht korrekt anwende.
Der Rathauschef bekräftigte, dass nichts gegen den Willen der Menschen passieren werde und die Aufstellungsbeschlüsse für die Verwaltung notwendig seien, um überhaupt erst das Gespräch suchen zu können. „Hätten wir vorher mit Eigentümern über die Grundstücke gesprochen, hätten Sie uns Hintertürpolitik vorgeworfen“, sagte Redenius zu den Grünen. Ein Potenzialflächenregister für mehr Wohnungsbau stehe sogar im Koalitionsvertrag der regierenden Ampelkoalition. Die Versuche der Verwaltung und der Ausschussmitglieder, die Stimmung im Saal abzukühlen, funktionierten aber nur bedingt.
Was wurde entschieden?
Sämtliche Aufstellungsbeschlüsse wurden mit zehn Ja-Stimmen bei fünf Gegenstimmen (Grüne und SPD) beschlossen. Ausnahme war Wirtenbach: Dort ging die Abstimmung 10:4 aus. Friedhelm Schmitt, als sachkundiger Bürger für die SPD im Ausschuss, enthielt sich als Anwohner. Die Potenzialflächen befinden sich in den Ortschaften Altennümbrecht, Niederbröl, Bierenbachtal, Auf der Hardt, Bruch, Berkenroth, Breunfeld, Elsenroth, Göpringhausen, Grunewald, Heddinghausen, Huppichteroth, Malzhagen, Marienberghausen, Rommelsdorf, Winterborn, Wirtenbach, Oberbierenbach sowie im Bereich Sohnius Weide und an der Jakob-Engels-Straße im Hauptort. Die genauen Flurstücke sind hier einzusehen.
Wie geht es weiter?
Die Eigentümer der Potenzialflächen werden nun angeschrieben, erklärte Redenius die nächsten Schritte. Wenn eine Entwicklung mehrheitlich abgelehnt werde, so werde das Verfahren eingestellt. Er wiederholte dies nochmal deutlich: „Wenn Eigentümer ‚Nein‘ sagen, ist das Verfahren tot!“ Wo man sich eine Entwicklung aber vorstelle könne, werde der Bürgermeister in jedes Dorf zu Versammlungen kommen. „Das verspreche ich!“ Es hätten ihn auch schon einige Menschen angesprochen, die Interesse angemeldet haben.
KOMMENTARE
1
Vorab behördliche Sachverhalte den Bürgerinnen und Bürgern einfach, unkompliziert u. verständlich zu erklären fällt nicht nur dem "Amtsschimmel" in Nümbrecht schwer, sondern ist immer und überall in der öffentlichen Verwaltung und in der Politik vorzufinden.
Liegt ganz einfach daran das es dort viel zu viele und immer mehr reine Theoretiker gibt die von der vielgepriesenen Bürger- und Praxisnähe soweit entfernt sind, wie die Erde vom Mond!
Das ist leider so und wird auch ewig so bleiben und höchstens noch schlimmer werden.
2
Die zuletzt erschlossenen Bauflächen in der Gemeinde Nümbrecht sollten doch als Mahnmal ausreichen! Bierenbachtal (sowohl Richtung Stockheim als auch der gesamte Bereich der Wiehler Straße) sind Paradebeispiele wie es in einem Dorf nicht aussehen sollte!
Vll sollte man mal über neue Bauflächen rund um die Ortschaft Spreitgen nachdenken. Dort hat direkte Anbindung an das Zentrum von Nümbrecht und Fläche ist auch reichlich vorhanden!
3
Der Ärger bezieht sich auf die nicht vorhandene Informationspolitik der Verwaltung. Eine so wichtige Thematik, die so viele Bürger:innen betrifft, sollte nicht am 1.9.22 auf den Seiten der Verwaltung erscheinen mit einem Abstimmungstermin im Rat am 12.9.22. Eine frühzeitige Ankündigung über das Gemeindeblatt wäre möglich und wünschenswert gewesen.
Außerdem geht es um Umweltprüfungen, die die aktuelle Verwaltung umgehen will, indem sie den Beschluss von gestern noch in die Zeit des temporär geänderten Baugesetzbuches gepresst hat. Die Ausweisung von Potenzial- (und späteren Baulandflächen) immer knapp unter 10.000 qm bedeutet noch weniger Prüfungen. Und diese rechtslastige Verwaltung und Rat wird das nutzen.
Die Sitzung gestern hat für mich offenbart, für wie dumm uns Herr Redenius hält.
4
Ob ein Ortsbild massiv verändert wird, interessiert die Gemeinde überhaupt nicht.
Haben wir in Krahm schon vor Jahren festgestellt.
Hauptsache neue Grundsteuer!
5
Wenn schon neues Bauland entsteht, dann nur noch für Mehrfamilienhäuser. Einfamilienhäuser sind aus ökologischer Sicht nicht mehr zeitgemäß.
TG, 15.09.2022, 12:02 Uhr6
Nr. 5 sicher Mehrfamilienhäuser auf sehr kleinen Grundstücken und möglichst ohne Garagen und Stellplätze für Autos. Wie krank ist das denn ? Krach und Ärger in der Zukunft sind vorprogrammiert. Wir sind hier auf dem Land und wollen das auch bleiben. Viel zu große „Hütten /Schuhkartons“ - man könnte es auch architektonische Notdurft nennen- auf viel zu kleinen Grundstücken - die schlechten Beispiele sind in Wiehl zu bewundern.
Alter Oberberger , 15.09.2022, 16:43 Uhr7
Ein paar der Kritikpunkte waren sicher berechtigt, im großen und ganzen habe ich aber eher das Gefühl gehabt, dass wir es hier mit klassischen Nimbys (Not in my backyard) zu tun haben. Bloß keine neuen Nachbarn, die einem evtl. die schöne Aussicht verbauen könnten. Oder sogar junge Familien mit Kindern, welche vielleicht die Ruhe stören könnten. Es soll am besten alles so bleiben wie es ist, man selbst hat ja schon ein Grundstück. So jedenfalls war mein Eindruck.
André, 16.09.2022, 14:12 Uhr8
Die Informationspolitik kann nur als vollkommen unzureichend bezeichnet werden. Ich habe erst vor zwei Tagen durch andere Dorfbewohner von der Sache "Wind" bekommen. Und der Vorredner, der über Bierenbachtal als Beispiel für eine mißlungene Dorfentwicklung sprach, spricht mir aus dem Herzen. Sowas in Huppichteroth zum Beispiel in einer Maximalausbaustufe: nein danke vielmals! Die ausgewiesenen Flächen haben außerdem eine nicht zu unterschätzende Problematik bei Starkregen: die oberen Häuser kriegen das ganze Wasser von hügelaufwärts in die Keller, und unten sind Schwemmwiesen der Homburger Bröl. Und dann soll eine Umweltprüfung entfallen dürfen? Viel Spaß beim Abpumpen...
Hajo Bäß, 16.09.2022, 19:06 Uhr9
Für den Haushalt der Gemeinde Nümbrecht sind solche Flächen natürlich ein doppelter Mehrwert. Erst werden die Grundstücke durch die BEG den Bürgern "günstig" abgekauft und nach Erschließung mit horrenden Gewinnen an die Bürger verkauft. Zudem fließen natürlich viele weitere Steuergelder in die Gemeindekasse. Wie es nachher in und um die Dörfer aussieht, interessiert anscheinend die wenigsten. Der Vorschlag (2) mit der Ortschaft Spreitgen ist nicht außer Acht zu lassen.
H. Schmitz, 20.09.2022, 14:42 UhrLinks zu fremden Internetseiten werden nicht veröffentlicht. Die Verantwortung für die eingestellten Inhalte sowie mögliche Konsequenzen tragen die User bzw. deren gesetzliche Vertreter selbst. OA kann nicht für den Inhalt der jeweiligen Beiträge verantwortlich gemacht werden. Wir behalten uns vor, Beiträge zu kürzen oder nicht zu veröffentlichen.
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