POLITIK
Trotz Abweichlern: Gummersbach bekommt keine Steuer auf Einwegverpackungen
Gummersbach – In geheimer Wahl stimmte der Stadtrat mehrheitlich gegen die Sondersteuer und ließ sich dabei auch nicht von der Projektleiterin der Stadt Tübingen Claudia Patzwahl überzeugen.
Von Peter Notbohm
Auch wenn es am Ende in geheimer Abstimmung mindestens drei Abweichler gab, hat Gummersbachs Stadtrat die vom Rathaus vorgeschlagene Einführung einer Sondersteuer auf Einwegverpackungen (OA berichtete) in seiner letzten Sitzung des Jahres mehrheitlich abgelehnt. 24 Ratsmitglieder stimmten gegen das Herzensprojekt von Bürgermeister Frank Helmenstein, mit dem er einen entscheidenden Anteil zur Reduzierung der Müllmengen in Gummersbach erreichen wollte. 19 Ratsmitglieder stimmten für die Steuer. Die breite Front der Ablehnung von CDU, FDP AfD und der Linken hätte eigentlich eine Mehrheit von 27 Stimmen haben müssen, nachdem drei CDU-Ratsmitglieder nicht anwesend waren.
Ganz überraschend kam das Ergebnis nicht: Die Politik hatte ihre ablehnende Haltung mehrfach dokumentiert. Helmensteins Pläne waren zuvor schon im Ausschuss für Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Mobilität, im Hauptausschuss und Ausschuss für öffentliche Ordnung (OA berichtete) sowie im Finanz- und Wirtschaftsförderungsausschuss (OA berichtete) nicht an den Stadtrat empfohlen worden.
Sehr zum Unverständnis von Bürgermeister Helmenstein. Er könne sich an keine einzige Satzung in seiner langen verwaltungsrechtlichen Karriere erinnern, „die so vorzüglich vorbereitet worden ist“. Das gelte für den rechtlichen Bereich, den organisatorischen aber auch die Kommunikation mit dem Bürger, sagte das Stadtoberhaupt und sprach von einer „überaus sozialen“ Steuer, „weil man sie vermeiden kann, indem man sein Verbraucherverhalten verändert“.
Bevor die Poltitik entschied, hatte der Bürgermeister noch einen letzten Joker aus dem Ärmel gezogen. Claudia Patzwahl war extra aus Tübingen angereist. Die städtische Angestellte in der Fachabteilung Steuern ist die Projektleiterin der Einwegverpackungssteuer in der Pilotstadt in Baden-Württemberg und warb bei Gummersbachs Politik intensiv darum, es ihrer Stadt gleichzutun. Dabei räumte sie auch mit einigen aus ihrer Sicht Mythen auf.
So höre sie das Wort der Überbürokratisierung im Zusammenhang mit der Steuer, überhaupt nicht gerne. Zwar habe man in Tübingen hohe Startkosten mit 550.000 Euro gehabt, diese hätte sich in der Stadt, die etwa doppelt so groß wie Gummersbach ist, aber bereits in den Steuerveranlagungen für 2022 amortisiert. Bislang hätten sich in Tübingen 260 der 421 angeschriebenen betroffenen Betriebe zurückgemeldet. Obwohl die Prüfung noch laufe, habe man bereits Einnahmen in Höhe von 590.000 Euro verzeichnet. Sie hoffe sogar, dass die Einnahmen in den Folgejahren weniger werden, da sich damit auch Müllberge reduzieren würden: „Auch wenn wir so ehrlich sein müssen, dass es nie gegen Null tendieren wird.“
Auch Widerstand aus der Gastronomie und der Bürgerschaft habe es in Tübingen fast überhaupt nicht gegeben, weil man die Betriebe frühzeitig in der Thematik mitgenommen habe. Mehr als das Ausfüllen eines schlanken Fragebogens, das einmalige Umprogrammieren der Kassen und das Schulen der Mitarbeiter sei nicht notwendig gewesen.
Dass McDonalds nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht wegen einer vermeintlichen Doppelbesteuerung klagt, sieht sie aufgrund eines Rechtsgutachtens der Deutschen Umwelthilfe ebenfalls entspannt. Patzwahl war sich sehr sicher, dass der Klage nicht stattgegeben wird, da die EU Müllvermeidung vorgebe. Dass eine bundeseinheitliche Regelung in den nächsten Jahren kommt, glaubt sie dagegen nicht: „Die Kommunen werden Vorreiter bleiben müssen. Diese Regierung hat andere Probleme und wird sich bis 2025 nicht an ein neues Wagnis trauen.“
Auch die Studie eines Studenten der Uni Tübingen, wonach die Verpackungssteuer nicht messbar zu weniger Müll geführt habe, sieht Patzwahl widerlegt. Die Stadt Tübingen habe die entsprechenden Daten zur Verfügung gestellt. Das Problem an den Ergebnissen der studentischen Studie sei, dass sie nur auf das Müllgewicht abstelle, der von Einwegverpackungssteuer betroffene Müll gewichtsmäßig aber nur einen sehr geringen Anteil in den öffentlichen Mülleimern ausmache. „Der Effekt in unserem Stadtbild ist aber wirklich da und wir werden ihn auch irgendwann statistisch nachweisen können.“
[Foto: Peter Notbohm --- Vertreter aller Parteien zählten die Stimmzettel der geheimen Abstimmung aus. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Jörg Jansen schloss aus, dass einer drei Abweichler aus Reihen der Union stammte.]
SPD und Grüne hatten noch die Hoffnung, dass der Vortrag Patzwahls zu einem Umdenken bei der Union geführt haben könnte und beantragten geheime Wahl. Die CDU lehnte dies ab. „Der Bürger hat das Recht zu wissen, wer wie abstimmt“, meinte der Fraktionsvorsitzende Jörg Jansen. Mit 16 Stimmen bekam der Antrag aber die nötige 1/5-Mehrheit des Rates. Helmenstein gestand seine Niederlage am Tag nach der Abstimmung über die Steuer ein: „Das ist eine demokratische Entscheidung, die ich voll und ganz akzeptiere.“ Das einzige, was er sich vorwerfen könne, sei, dass er die Ratsmitglieder nicht zu einem Besuch der Stadt Tübingen überzeugt habe.
Für den Bürger hat das Veto der Politik ebenfalls Folgen. Die für die beiden kommenden Jahre eingeplanten Einnahmen im Haushalt in Höhe von 470.000 Euro werden durch die Ausgleichsrücklage aufgefangen werden müssen. Spätestens 2026 werden nach aktuellen Planungen aber beide Grundsteuern aufgrund der Fehlbeträge jeweils um 20 Punkte angehoben werden müssen, sagte Kämmerer Raoul Halding-Hoppenheit.
KOMMENTARE
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Diese eindeutige Klientelpolitik kurzsichtiger.Politiker von CDU und FDP schadet det Stadt enorm. Es verärgert viele Bürger*innen nachhaltig. Der vermeidbare Müll fliegt weiter herum, das Aufräumen wird von den Menschen hier bezahlt. Käme die Steuer, die Stadt wäre bundesweites Vorbild. Eine Marketingkampagne mit diesem Ergebnis ist unbezahlbar..Ein paar wenige Unternehmen -darunter internationale Großkonzerene- werden bevorzugt, aus rein ideologischen Gründen. Die Stadt verzichtet auf Einnahmen und die Bürger*innen zahlen weiter das Aufräumen. Das ist Verantwortungslosigkeit pur und keineswegs Politik für die Allgemeinheit, ausschließlich zugunsten einiger weniger Unternehmen.
F Lothar Winkelhoch, 05.12.2023, 15:14 UhrLinks zu fremden Internetseiten werden nicht veröffentlicht. Die Verantwortung für die eingestellten Inhalte sowie mögliche Konsequenzen tragen die User bzw. deren gesetzliche Vertreter selbst. OA kann nicht für den Inhalt der jeweiligen Beiträge verantwortlich gemacht werden. Wir behalten uns vor, Beiträge zu kürzen oder nicht zu veröffentlichen.
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