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Trotz Kreistags-Abfuhr: Verein Lebensfarben macht weiter, braucht aber Hilfe

lw; 15.12.2022, 14:02 Uhr
Foto: Lars Weber.
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Trotz Kreistags-Abfuhr: Verein Lebensfarben macht weiter, braucht aber Hilfe

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lw; 15.12.2022, 14:02 Uhr
Oberberg – Keine Mehrheit für Möglichkeiten der Unterstützung – Appelle an Bund und Land – Kinder von psychisch erkrankten Eltern werden zunächst weiter betreut.

Von Lars Weber

 

Es wurde viel geredet, gerechnet und diskutiert in den vergangenen Monaten. Es wurde in der Kreispolitik gesprochen, mit dem LVR, mit dem Land und mit dem Bund. Die Fragen: Wie ist es möglich, Kinder und Jugendliche, deren Eltern sich in existenziellen Belastungssituationen wie psychische Erkrankungen und Suchterkrankungen befinden, weiter zu betreuen und aufzufangen? Und kann dieses Angebot der Verein Lebensfarben weiterhin stemmen, obwohl zum Ende des Jahres die Anschubförderungen von LVR und Stiftungen auslaufen? Der Kreistag hat diese Fragen bei seiner Sitzung vor einer Woche nicht abschließend beantworten können. Nachdem bereits im Finanzausschuss gegen eine laut Kreis notwendige Projekt-Ausschreibung und die Einstellung von 680.000 Euro für die kommenden beiden Haushaltsjahre votiert wurde, hat auch eine Mehrheit im Kreistag sich gegen diese Option entschieden. Auch ein Zuschuss an den Verein wurde abgeblockt. Der Vorstand des Vereins Lebensfarben hat „bis zum Abpfiff gekämpft“, wie Geschäftsführerin Sandra Karsten mit ein paar Tagen Abstand zu der Entscheidung sagt. Die gute Nachricht: Nun geht es in die Verlängerung. Der Verein wird sein Angebot fortsetzen. Die nächste Frage ist nur: Wie lange wird dies in der jetzigen Form möglich sein?

 

Rückblick auf die Kreistagssitzung in der vergangenen Woche in Lindlar. Es war das vorerst letzte Kapitel einer Serie an Diskussionen im Kreis um das Thema, wie das Angebot gerettet werden kann. Dieses wirkt präventiv. Kindern und Jugendlichen von psychisch erkrankten oder suchtkranken Eltern wird geholfen, bevor sie selbst krank werden. Bevor das Jugendamt einschreiten, und gegebenenfalls Familien auseinanderreißen muss, was natürlich nicht nur soziale Konsequenzen für die Menschen, sondern auch finanzielle Auswirkungen für die Kommunen und den Kreis hat.

 

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Die Positionen waren schon länger klar verteilt. Vor allem die SPD setzte sich ein, um das Angebot zu erhalten, aber auch den Verein zu unterstützen. Dafür hatten die Sozialdemokraten anstatt des Ausschreibungsverfahrens einen Zuschuss für die kommenden beiden Jahre über 340.000 Euro pro Jahr beantragt. Eine Möglichkeit, die vom Kreis aufgrund von Problemen beim Beihilferecht als problematisch gesehen wurde. Christoph Hastenrath (SPD) erhob schwere Vorwürfe. Er hatte den Eindruck, dass der Kreis eine Nebelkerze nach der anderen zünde. Hastenrath meinte, dass eine Ausschreibung gar nicht notwendig sei. Und falls die Bundes- und Landes-Regierungen endlich in ihre Koalitionsverträge schauten, um wie angekündigt das Thema zu regeln, am Ende sowieso die Kommunen zuständig sein würden. Da wäre es fahrlässig, das bestehende Angebot nun auslaufen zu lassen. Den Verein unterstützen? „Sie wollen es einfach nicht“, sagte Hastenrath Richtung Landrat Jochen Hagt, während die Verwaltungsspitze auf die großen Bemühungen hinwies, die Unterstützung eben doch möglich zu machen. Die Grünen plädierten dafür, eine Ausschreibung zu initiieren. „Wir müssen Verantwortung für die Kinder übernehmen“, sagte Dr. Ralph Krolewski.

 

CDU und auch FDP/FWO/DU versicherten wiederholt, die Leistungen von Lebensfarben anzuerkennen. In dem Sachverhalt gebe es aber keine neuen Erkenntnisse, sagte Ina Albowitz-Freytag: „Für die Jugendhilfe sind LVR und Land verantwortlich“. Die Kosten für das Angebot hätten über die Kreisumlage verteilt werden müssen. „Nur Wiehl wollte sich beteiligen. Alle anderen Kommunen haben einen Rückzieher gemacht.“ Auch gegenüber anderen Vereinen wäre die riesige finanzielle Hilfe unseriös. CDU-Fraktionschef Michael Stefer ergänzte, dass die Absichten von Land und Bund in keine Gesetzesinitiative gemündet seien. „Es fehlt nun schlicht eine rechtliche Grundlage.“ Und in der momentanen Krisenlage gebe es auch keine Signale von Bund und Land, dass sich daran so schnell etwas ändern wird. Außerdem meinte Stefer: „Es gibt Alternativen zu dem Angebot.“ Der SPD-Antrag wurde vom Kreistag deutlich abgelehnt. Und auch die Möglichkeit zur Projektausschreibung fand keine Mehrheit.

 

[Foto: Lebensfarben --- Der Vorstand des Vereins (v.l.): Michaela Döhl-Becker, Sandra Karsten und Hubertus Vierschilling.]

 

Ein paar Tage nach der Entscheidung des Kreistags sitzen die Verantwortlichen von Lebensfarben am Besprechungstisch im Wiehler Büro. Für den Verein bedeutet das Votum: Er muss seine Arbeit auf der Basis von Spenden, Sponsoren-Geldern und Stiftungsmitteln fortführen. Gespräche dazu sollen bald stattfinden, sagt Geschäftsführerin Karsten. Immerhin hat die Stadt Wiehl bereits 40.000 Euro in den Haushalt eingestellt, zusätzlich wurde die Wiehler Verwaltung in der vergangenen Ratssitzung damit beauftragt, einen Vertrag mit dem Verein zu schließen. „Wir wollen Schritt für Schritt planen, um die Zukunft abzusichern“, sagt Karsten und meint vor allem auch die Zukunft der betreuten Kinder und Jugendlichen. Noch muss der Verein sein kreisweites Angebot nicht beschneiden. Ob es so bleibt, hänge auch am Erfolg der Gespräche mit Stiftungen und Sponsoren.

 

Von der Entscheidung des Kreises zeigen sich die Vorsitzende Karsten, Hubertus Vierschilling und Michaela Döhl-Becker (beide stellvertretende Vorsitzende) enttäuscht. Auch vor dem Hintergrund der Kooperation beim Projekt „Lückenlos“ mit Kreisgesundheitsamt und den Jugendämtern der Region zum flächendeckenden Ausbau zur Hilfe für Kinder und Jugendliche psychisch und suchterkrankter Eltern im Oberbergischen Kreis. „Ich kann nicht so ganz nachvollziehen, dass es so gekommen ist“, sagt Vierschilling. Zumal: Ihre Arbeit würde im Kreis niemand sonst so anbieten.

 

Ganz deutlich darauf hinweisen wollen sie, warum sie das Angebot des Kreises ausgeschlagen haben, mit den hauptamtlichen Kräften unter das Dach des Kreisgesundheitsamts zu schlüpfen. „Wir kennen die Familien. Für sie ist es eine immense Hürde, eine Behörde aufzusuchen, auch wenn diese nur im Hintergrund steht“, sagt Döhl-Becker. Ihre eigenen Erfahrungen und auch fachliche Einschätzungen zeigten, dass das niederschwellige Angebot dann nicht mehr angenommen werden würde. Beim Verein meldeten sich 70 Prozent der Klienten selbst. Es laufe also nur wenig über die Jugendämter, wobei die Kooperation mit diesen und auch dem Kreis enorm wichtig sei in dem großen Netzwerk, das im Laufe der Betreuung vonnöten sei.

 

Fünf Angestellte (teils Teilzeit, teils auch geringfügig) arbeiten bei Lebensfarben. Aktuell unterstützt der Verein kreisweit 56 Kinder und Jugendliche durch eine Patenschaft. Weitere elf Patenschaften sollen Anfang des Jahres starten. Der Verein sorgt für die Ausbildung und fachkompetente Unterstützung der Paten. 86 Ehrenamtliche sind aktuell aktiv, mit der Ausbildung weiterer Paten möchte der Verein aber erstmal warten, bis die Zukunft klarer wird. Dabei stehen laut Karsten 52 Kinder und Jugendliche auf der Warteliste. „Und jede Woche gibt es neue Anfragen.“ Im Durchschnitt vier Jahre lang werden die Klienten eng betreut, eine hohe Fluktuation besteht also nicht. Wer jetzt auf der Warteliste steht, muss Geduld haben – schwer angesichts der Situation, in der sich die Kinder, Jugendlichen und auch ihre Eltern befinden.

 

Auch wenn der Vorstand nicht alle Argumente gegen eine Regelfinanzierung durch den Kreis nachvollziehen kann: Einig ist er sich mit dem Kreistag, dass Land und Bund gesetzliche Voraussetzungen dafür schaffen müssen. „Bund, Land und Kommunen sind angesichts von Krieg, Energiekrise und Inflation im Krisenmodus, das ist uns klar“, sagt Sandra Karsten. „Die Nöte von Kindern, deren Eltern aufgrund ihrer Erkrankung nicht die Kraft haben, sich wie gesunde Väter und Mütter um ihre Familie zu kümmern, dürfen gerade in diesen Krisen nicht vergessen werden.“ Denn es sei statistisch belegt, dass jedes dritte bis vierte Kind dieser Eltern ohne Unterstützung im Laufe des Lebens selbst psychisch krank wird. „Die präventiven Maßnahmen von Lebensfarben reduzieren und verhindern sehr hohe Folgekosten, die sich in der Gesundheit- und Jugendhilfe abbilden werden.“

 

Weitere Informationen zu dem Verein gibt es hier. Dort finden sich auch Details zum Thema Spenden.

 

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KOMMENTARE

1

In wirtschaftlich nicht eben unproblematischen Zeiten wäre es allmählich besser, zu der Einsicht gelangen zu können, dass egal ob Kreis-, Landes-, kommunale Gelder oder Bundesgelder am Ende doch Eines sind: gemeinschaftlich organisierte Gelder einer sozialen Marktwirtschaft.
Selbst die Anhänger einer sehr stark gewinnorientierten Wirtschaft mit kürzesten Gewinnerwartungs-Horizonten könnten letztlich davon zu
überzeugen sein, dass Vereine wie "Lebensfarben" kurze Wege, persönlichere
Betreuung und effektive Hilfe möglich machen - die mit der Zwischenschaltung von vielleicht sogar der EU nicht eben unkomplizierter, geschweige den preiswerter wären.
Den "Lebensfarben" sollte die eine oder andere öffentliche Veranstaltung in den Kommunen gewidmet werden, zwecks Verbreiterung der Spendenbasis.

D. Rademske, 21.12.2022, 13:11 Uhr
2

Es ist eine Schande wie Mehrheiten absolut notwendige soziale Arbeit / Projekte ablehnen. JedeR dieser Ablehner weiß, dass die Folgekosten dieser ignoranten und unsozialen Politik sehr viel höher sein werden, als die Bereitstellung der Gelder. "...die Leistungen von Lebensfarben anerkennen..." aber andere sind verantwortlich! Wie einfach! Und dann noch das Argument (?): Auch anderen Vereinen gegenüber wäre die riesige (?) Hilfe unseriös! Wirklich unseriös ist, - ein offenbar bewährtes Mittel - die einen gegen die anderen auszuspielen. Das ist billig und am billigsten: Besser keinem als einem zu helfen. So manchem wünsche ich ganz besonders Besinnlichkeit zum Fest der Liebe!

Cornelia Lang, 22.12.2022, 13:02 Uhr
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