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Vorwürfe, Streit und ein Finanzproblem: Eine Sitzung in fünf Akten

lw; 16.06.2023, 15:14 Uhr
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Vorwürfe, Streit und ein Finanzproblem: Eine Sitzung in fünf Akten

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lw; 16.06.2023, 15:14 Uhr
Nümbrecht – Opposition fühlt sich bei Wahl der Bürgermeisterstellvertreterin im Rat übergangen – Wirrwarr um die Auflösung der Ausschüsse - Haushalt muss aufgrund einer finanziellen Schieflage neu beschlossen werden (AKTUALISIERT).

Von Lars Weber

 

In Nümbrecht gibt es jetzt die Technik, um Sitzungen künftig theoretisch auch ins Netz streamen oder Ausschusssitzungen in Hybridform (sprich: ein Teil ist im Rathaus anwesend, der Rest sitzt am Rechner) durchführen zu können. Bürgermeister Hilko Redenius hat die Anschaffungen zu Beginn des gestrigen Treffens des Rates vorgeführt. Falls es die Übertragung ins Internet bereits geben würde: Die Zuschauer am Computer hätten eine denkwürdige Sitzung zu Gesicht bekommen. Vorwürfe und Streit durchzogen die Sitzung, an deren Ende drei Erkenntnisse standen: Erstens hat Nümbrecht mit Gisa Hauschildt eine neue zweite stellvertretende Bürgermeisterin. Zweitens bringen Gewerbesteuerentwicklungen den Haushalt der Gemeinde ordentlich ins Wanken. Und drittens zeigt sich ein deutlicher Riss zwischen den Mehrheitsfraktionen (CDU, FDP und GUD) und der Opposition (SPD, Grüne und Linke). Eine Zusammenfassung in fünf Akten.

 

Erster Akt: Die Wahl

 

Seit Beginn der Legislaturperiode war Ursula Witten (FPD) zweite stellvertretende Bürgermeisterin. Nun hatte sie Ende Mai ihren Rücktritt zum 30. Juni von dem Amt angekündigt. Die CDU schlug daraufhin Gisa Hauschildt per Antrag als Nachfolgerin vor. Damit war die Opposition aber nicht einverstanden. Die Probleme aus Sicht der Grünen: Zum einen hätten sie – aufgrund eines technischen Fehlers im digitalen Ratssystem, wie Henrik Köstering heute auf Nachfrage sagte – erst sehr spät von der Entwicklung erfahren. Zum anderen störe man sich daran, dass die CDU das Vorgehen nicht gemeinsam abgestimmt habe, wie das auch nach der Kommunalwahl der Fall war, als man sich bei Posten und Ausschüssen absprach. Die Zusammensetzung des Rats wäre so nicht mehr ausreichend repräsentiert.

 

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Die Opposition wollte, dass der Tagesordnungspunkt von der Tagesordnung genommen wird, was Bürgermeister und die Antragstellerin, die CDU, hätten vornehmen müssen. Im Hinterzimmergespräch während der unterbrochenen Sitzung habe die Opposition diese Forderung als Voraussetzung für die spätere Zustimmung zur notwendigen Umsetzung der Ausschüsse und Gremien gemacht.  Was zu diesem Zeitpunkt alle Beteiligten glaubten: Dass diese Umbesetzung wie schon zu Beginn der Legislaturperiode einstimmig erfolgen muss. Auch nur eine Gegenstimme hätte also die Auflösung sämtlicher Gremien und Ausschüsse zur Folge gehabt. "Erpressung", nannte dies der Bürgermeister. "Wir sehen das nicht so", sagte heute Köstering und nannte ungenügende Vorinformationen als Grund.

 

Die Fronten blieben aber verhärtet. Bürgermeister Redenius wollte der CDU keinen Antrag streichen. Die Informationen zur Wahl seien zudem fristgerecht nachzulesen gewesen. Und die CDU sah laut Fraktionschef Manfred Henry Daub nicht die Pflicht, sich im Vorfeld mit der Opposition abzusprechen, auch weil die Position des zweiten Bürgermeisterstellvertreters nach dem herangezogenen Wahlverfahren den Christdemokraten zustünde, wie er auf Nachfrage heute erklärte. Die Einigung auf die von allen respektierte Ursula Witten war damals ein Zugeständnis gewesen und ein Zeichen dafür, dass man gut fraktionsübergreifend zusammenarbeiten möchte. „Nun haben wir keinen Anlass gesehen, die Opposition zu informieren oder zu fragen“, erklärte Daub heute vielsagend.

 

Das Ergebnis: Die Opposition stellte noch Henrik Köstering als Gegenkandidaten auf. In geheimer Wahl wurde Gisa Hauschildt dann mit 21 Stimmen und einfacher Mehrheit gewählt. Köstering bekam 13 Stimmen.

 

[Foto: Lars Weber --- Gisa Hauschildt, die neue zweite stellvertretende Bürgermeisterin (li.), gemeinsam mit Bürgermeister Hilko Redenius und ihrer Vorgängerin Ursula Witten.]

 

Zweiter Akt: Die vermeintliche Konsequenz

 

Als die Abstimmung zur Umbesetzung der Ausschüsse und Gremien ansteht, stimmte die Opposition gegen den Antrag der CDU. Wie Bürgermeister Redenius bei der Sitzung erklärte, bedeute dies: Sämtliche Ausschüsse und Gremien seien aufgelöst und müssen neu gebildet werden. Entweder erneut in einheitlicher Form, indem sich die Fraktionen im Vorfeld auf alle Modalitäten einigen. Oder es wird einzeln in Verhältniswahl abgestimmt. Das Abstimmungsverhalten sorgte für Unruhe und einige Kommentare aus den Reihen der anderen Ratsmitglieder. Dass in dieser Formalie ein Irrtum des Bürgermeisters vorlag, sollte erst am heutigen Freitag allen bewusst werden.

 

Dritter Akt: Die finanzielle Schieflage

 

Schon der Haushaltsbeschluss im Februar ging nicht leise über die Bühne (OA berichtete), auch aufgrund eines Defizits von knapp drei Millionen Euro im Zahlenwerk für das aktuelle Jahr. Nun informierte Kämmerer Rainer Mast, dass die Kommunalaufsicht nicht nur weitere Unterlagen angefordert habe, sondern dass momentan ein Gesamtdefizit von rund zehn Millionen Euro unter dem Strich stünde. Gründe dafür seien ausschließlich im Bereich der Gewerbesteuern zu suchen. Zum einen geht es um geringere Vorauszahlungen, um ausstehende Rückzahlungen und der aktuellen Entwicklung, nach der man nun zum Ende des ersten Halbjahres bereits zwei Millionen Euro unter dem Gewerbesteueransatz liege.

 

Auch wenn das Instrument sonst ungern genutzt wird: Es werde nun geprüft, ob Teile des Defizits im Rahmen des Isolierungsgesetzes für den Moment herausgerechnet werden dürfen. Denn: „Die Gewerbesteuerherabsetzung basiert auf den gestiegenen Energiekosten und den veränderten Rohstoffpreisen“, so Mast. Und Folgen des Ukrainekrieges sind zumindest theoretisch isolierfähig, wenn auch mit dem Nachteil, dass die Kosten über 50 Jahre lang an der Gemeinde und nachfolgende Generationen hängen. Bürgermeister Redenius betonte, dass die Firmen nicht im Bestand gefährdet seien und sogar Umsatzsteigerungsziele erreicht worden seien. „Aber die erhöhten Kosten haben alles aufgefressen.“

 

Der Haushalt wird jedenfalls aufgrund der starken Abweichung vom Beschluss im Februar ein zweites Mal beschlossen werden müssen. Das Problem: Das Zahlenwerk muss im Haupt- und Finanzausschuss vorbereitet werden. Und diesen gibt es zu diesem Zeitpunkt am Donnerstagabend gar nicht mehr, wie gestern Abend alle dachten.

 

Vierter Akt: Der Streit

 

Als Lösung schlug Bürgermeister Redenius vor, in den Sommerferien zusammenzukommen, um die Ausschussbesetzung vorzunehmen. Nun platzte Rainer Galunder (WGHL) der Kragen und er machte – an diesem Abend zum wiederholten Mal – lautstark seiner Verärgerung über die Opposition Luft, was ihm später eine Ermahnung des Bürgermeisters einbrachte. Es entwickelte sich ein kurzes, aber emotionales Redegefecht zwischen Grünen und dem WGHL-Chef, bei dem sie sich gegenseitig vorwarfen, welche Beleidigungen in der Vergangenheit gefallen seien.

 

Fünfter Akt: Eine Entschuldigung und eine offene Mail

 

Seit heute ist klar: Einige Diskussionen am gestrigen Abend hätte man sich sparen können. Grund dafür ist ein Fehler des Bürgermeisters. Die Annahme, dass auch bei einer Umbesetzung der Ausschüsse Einstimmigkeit herrschen muss, wenn die ursprüngliche Zusammensetzung derart erfolgt ist, war falsch, wie eine Nachfrage beim Städte- und Gemeindebund ergeben habe. Solange das Stimmverhältnis durch die Umbesetzung nicht verändert wird, reiche demnach die einfache Mehrheit – wie sie am gestrigen Abend auch vorlag. Dementsprechend bleiben alle Ausschüsse bestehen und müssen nicht neu gebildet werden.

 

Redenius entschuldigte sich heute per E-Mail bei den Ratsmitgliedern. „Irren ist menschlich! Mit meiner Aussage gestern im Rat habe ich falsch gelegen. Das bedaure ich! Aber außer Aufregung ist kein Schaden entstanden“, so der Bürgermeister.

 

Das Gemeindeoberhaupt verschickte wenige Stunden später noch eine offene Mail an die Mitglieder des Gemeinderats, in der Redenius sich ausführlich zu den Vorwürfen im Rahmen der Wahl der stellvertretenden Bürgermeisterin seitens der Grünen und SPD äußert. Die Mail kann hier gelesen werden. 

 

Aus dem Rat

Einstimmig beauftragte der Rat die Verwaltung,  die Gründung eines Kommunalen Medizinischen Versorgungszentrums weiter zu verfolgen und das Verfahren zur Gründung der notwendigen GmbH einzuleiten (OA berichtete). Auch die Businesspläne sollen erstellt und die Wirtschaftlichkeit geprüft werden. Nur  Ursula Witten (FDP) enthielt sich ihrer Stimme. Sie äußerte Bedenken hinsichtlich eines KMVZ und der Notwendigkeit in der Nümbrechter Ärztelandschaft. Sie ist nicht davon überzeugt, dass diese Option tatsächlich junge Ärzte nach Nümbrecht locken wird.

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