POLITIK
Windkraft-Zukunft liegt in den Händen der Nümbrechter
Nümbrecht – Gemeinderat stimmt mit breiter Mehrheit für einen Ratsbürgerentscheid – Idee: GWN soll Anlagen bauen und Strom für Versorgung der Bürger einspeisen.
Von Lars Weber
Die Gemeinde Nümbrecht wird ihren ersten Ratsbürgerentscheid in der Geschichte abhalten. „Sind Sie damit einverstanden, dass die Gemeindewerke Nümbrecht GmbH (GWN) Windkraftanlagen auf dem Gebiet der Gemeinde Nümbrecht zur Eigenversorgung der Bürger und Bürgerinnen sowie der Nümbrechter Gewerbebetriebe errichten?“ So wird die Frage lauten, die die wahlberechtigten Nümbrechter ab 16 Jahren beantworten dürfen. Stabile Strompreise, Unabhängigkeit vom Markt, klimafreundliche Energie und bei hoher Stromproduktion sogar Profite für die Nümbrechter durch Bürgerbeteiligungsmodelle, das sollen die Vorteile sein (OA berichtete). Der Nümbrechter Gemeinderat hat sich gestern bei der Sitzung im Rathaus mit einer deutlichen Mehrheit von 33 Ja-Stimmen dafür entschieden, diese Grundsatzfrage in die Hände der Bürger zu geben. Dagegen stimmte die Fraktion der Wählergemeinschaft Homburger Ländchen (WGHL). Sie verließ nach dem Votum den Saal.
Vor der Abstimmung nutzten die WGHL-Vertreter und Windkraft-Kritiker Rainer Galunder und Rüdiger Hagelstein wie schon in den Diskussionen in den Fachausschüssen noch einmal die Gelegenheit, ihre Argumente gegen mögliche Windkraftanlagen auf Nümbrechter Gemarkung auf den Tisch zu packen. So werde beim Bau der Anlagen das Isolationsgas SF6 verwendet, das 23.000 mal schlimmer sei für die Umwelt als CO2. „Ein Klimakiller“, sagte Galunder. Mit jeder Anlage, die gebaut würde, beschleunige man daher den Klimawandel. Erst recht, wenn sie in eine Schwachwindregion gesetzt würden. „Für eine Anlage an der Küste benötigen wir hier sechs, um eine ähnliche Menge Energie zu produzieren!“ Die WGHL kritisierte weiter den mangelnden Artenschutz („Hier ist ein Hotspot für seltene Vogelarten und Fledermäuse“) und die Eingriffe in die Natur für die Erschließung beim Bau der Anlagen. Analog zu den Schottergärten nannte Galunder sie die „Wege des Grauens“.
Dass das Isolationsgas momentan noch das kostengünstigste Isolationsmittel in der Produktion der Anlagen ist, war einigen, aber nicht allen Ratsmitgliedern bekannt. Grünen-Fraktionschefin Andrea Saynisch entgegnete, dass das Gas allerdings ab 2030 nicht mehr verwendet werden darf. Außerdem, ergänzte Marco Schmeis (CDU), gebe es auch jetzt bereits Alternativen. Auf diese verwies auch Bürgermeister Hilko Redenius, der ausgerechnet beim Schreiben der aktuellen Beschlussvorlage auf SF6 aufmerksam gemacht wurde. Falls der Bürgerentscheid mit Ja beantwortet werden sollte und die Voraussetzungen stimmten „liegt es an uns, dann auch diese Alternativen zu nutzen“.
Saynisch warb dafür, dass andere Wege gegangen werden müssten, um Energie vor Ort zu produzieren. „Wasserkraft funktioniert hier in Nümbrecht nicht.“ Christian Häußler (Grüne) ergänzte mit Bezug auf die Eingriffe in die Natur, dass die Verhältnismäßigkeit wichtig sei. „Natürlich ist es nicht möglich, technische Anlagen ohne Emissionen zu bauen, da werden CO2-Rucksäcke geschultert.“ Allerdings sollte immer die Gegenrechnung gemacht werden, in diesem Fall mit der Gewinnung von Strom aus Braunkohle. Manfred Bestgen erzählte von einem Ort in Franken, der sich schon vor Jahren Energie-unabhängig gemacht habe. „Was in Bayern geht, funktioniert erst recht in NRW.“
Frank Schmitz (CDU) warnte davor, dass die Windkraftanlagen für die Bürger „für Jahrzehnte ein Kostenfaktor“ werden könnten. Die Nümbrechter müssen auch über Risiken aufgeklärt werden, schließlich spielt ein Bürgerbeteiligungsmodell bei dem Projekt eine wichtige Rolle. Tatsächlich seien die Fragen nach der Wirtschaftlichkeit, Machbarkeit oder auch Artenschutz aber Dinge, die erst nach einem Bürgerentscheid beantwortet werden. „Dafür sind teure Gutachten notwendig“, sagte Redenius. Bei dem Entscheid geht es deshalb um das Grundsätzliche. „Die Bürger wollen sich nichts überstülpen lassen.“
Informationen soll es vor dem Entscheid aber trotzdem für die Bürger geben, und zwar in einer Veröffentlichung, die einen Monat vor der Wahl erscheinen und die an jeden Wahlberechtigten gehen wird. Zu dieser Broschüre ist die Verwaltung verpflichtet. Sie wird den Ablauf der Wahl genau skizzieren, aber soll auch inhaltlich den Nümbrechtern einige möglichst neutrale Fakten über Windkraft bieten. Dazu haben die Fraktionen Gelegenheit, Stellung zu beziehen. Nach der Veröffentlichung und dem Versenden der Wahlbenachrichtigung ist die Verwaltung raus, betonte Redenius. Er selbst wird Wahlleiter und ist dementsprechend zu Neutralität verpflichtet. Den Wunsch einiger Ratsmitglieder nach einer Bürgerinformationsveranstaltung könne die Verwaltung dementsprechend nicht nachkommen. „Die Parteien können dies aber tun.“
Redenius geht davon aus, dass der Bürgerentscheid Mitte Dezember oder im Januar stattfinden wird. Der Zeitplan werde noch mit den Fraktionen besprochen. Da die Verwaltung rund einen Monat vor der Wahl die Füße stillhalten muss, wird es an den Parteien sein, die Nümbrechter zu mobilisieren. „Ihr müsst Werbung machen“, sagte der Bürgermeister den Ratsmitgliedern am Donnerstagabend. Damit der Ratsbürgerentscheid gültig ist und mit Ja beantwortet gilt, müssen mindestens 20 Prozent der Nümbrechter Wahlberechtigten die Frage positiv beantworten. Ansonsten gilt der Vorschlag als abgelehnt.
Kommentar zum Thema
KOMMENTARE
1
Ein Hoch auf die Windregion Nümbrecht.
Sehe den Bau sehr kritisch. Nicht nur aus Artenschutzgründen sonder auch das Wohnen in der Nähe eines Windrades bringt nicht unbedingt positive Effekte mit sich. Gerne in Elsenroth nachfragen.
2
Artenschutz und SF6 sind aus meiner Sicht vorgeschobene Gründe. Ehrlicher wäre, zu sagen: wir wollen das nicht. Dann muss aber die Frage beantwortet werden, woher denn die Energie der Zukunft kommen soll.
TG, 24.09.2022, 07:53 Uhr3
Keiner will Atomkraft oder Energie aus Kohlekraftwerken. Alles schreit nach alternativen Energien. Nur Windenergie wollen sie auch nicht, sobald die Windräder in der Nähe sind. Hauptsache, der Strom kommt aus der Steckdose.
Achim Schmidt, 24.09.2022, 12:34 Uhr4
Kann mir schon denken wie das ausgeht:
Die breite Mehrheit der Gemeinde wird dafür sein und das Nachsehen haben dann natürlich trotzdem die Einwohner der Orte, die die Anlagen dann letztendlich vor Ihrer Haustüre stehen haben, in den dafür vorgesehenen Flächen.
Vielleicht sollte man besser nur die Bewohner der betroffenen Ortschaften einmal abstimmen lassen und das sage ich nicht weil ich dort wohne, sondern weil ich diese Abstimmung sonst eben für sehr fragwürdig und ungerecht halte.
Wenn ich die Dinger nicht bei mir vorm Haus stehen habe (ich wohne im Hauptort) kann ich hier sehr leicht mit JA dafür sein.
5
Bürgerentscheid ist Klasse!
Dort wo die meisten Befürworter sind kann gebaut werden, da Abstände, Artenschutz und weitere Gesetzgebung nicht mehr gilt.
6
Selbst wenn die breite Mehrheit dagegen wäre reichen 20% damit der Vorschlag durch kommt. Wenn man schon so einen Aufwand betreibt sollten mehr als 50% der Bürger dafür sein, ansonsten kann man sich das sparen.
Leo S., 25.09.2022, 00:02 Uhr7
Alle beschweren sich über steigende Energiepreise, viele über Umweltgefahren durch fossile Energieträger oder Atomenergie. ALLES RICHTIG! Was aber sind die Konsequenzen? Energiesparen will ja auch kaum jemand ernsthaft, kostet ja schließlich Komfort oder ist nur bedingt möglich. Bleibt also nur, die bedingt umweltfreundliche Energie. Auch hier gibt es Probleme, bei Wasserkraft sind es Veränderungen der Gewässer, bei der Windenergie sind es Beeinträchtigungen der Lebewesen im direkten Umfeld und Strom von der Nordsee will auch kaum jemand, da braucht man Hochspannungstrassen. Ergo, es gibt keine gute Lösung, aber eine gut tragbare, WINDENERGIE. Sie ist regional herstellbar, während des Betriebs nahezu CO² neutral und kostengünstig. Für umweltfreundliche weitere Ideen ist jeder dankbar.
Harold Mayer, 25.09.2022, 10:13 Uhr8
Windräder die sich nur bei Wind drehen aber die Landschaft dauerhaft verschandeln! Deutschland schaltet sichere Atomkraftwerke und moderne Kohlekraftwerke-im Gegensatz zur restlichen Welt-ab. Es ist unfassbar und unbezahlbar. Wir sollen mal wieder die Welt retten und für die Kosten -natürlich - aufkommen wenn es nach den Ideologen hier geht, die offensichtlich keine wirtschaftlichen Sorgen haben. Oder die kostbare Lebenszeit nicht mit Arbeit vergeuden. Die deutsche Energiepolitik ist lt. „Wall Street Journal“ die dümmste der Welt. Dem kann man nicht widersprechen. Nur hoffen, dass sich die Nümbrechter dagegen entscheiden. Wer dafür ist, sollte aber dann auch in der Nachbarschaft wohnen. Übrigens, Demokratie ist auch, wenn 2 Wölfe und ein Schaf über die nächste Mahlzeit abstimmen.
77mwir@gmail.com, 26.09.2022, 13:29 UhrLinks zu fremden Internetseiten werden nicht veröffentlicht. Die Verantwortung für die eingestellten Inhalte sowie mögliche Konsequenzen tragen die User bzw. deren gesetzliche Vertreter selbst. OA kann nicht für den Inhalt der jeweiligen Beiträge verantwortlich gemacht werden. Wir behalten uns vor, Beiträge zu kürzen oder nicht zu veröffentlichen.
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