RECHTECK

Der Unfall an Wieverfastelovend

Red; 22.02.2020, 09:30 Uhr
RECHTECK

Der Unfall an Wieverfastelovend

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Red; 22.02.2020, 09:30 Uhr
Oberberg - Oberberg-Aktuell informiert in dieser Rubrik über Rechtsfragen - Der Service wird präsentiert von Fincke Rechtsanwälte Bergneustadt - Diesmal geht es um das Thema Wahrheitsgehalt von Zeugenaussagen vor Gericht.

Von Rechtsanwalt Andreas Günther

 

Das Landgericht Köln hatte anlässlich eines Prozesses um einen Autounfall die Gelegenheit, sich mit dem Wahrheitsgehalt von Zeugenaussagen vor Gericht zu befassen.

 

Der Sachverhalt ist schnell erzählt: An Weiberfastnacht – es war schon 14:05 Uhr – fuhr die Zeugin S. mit  einem  Kleinbus  voller „Treuer Husaren“ in ganzer Montur auf der linken Spur der Apostelnstraße in Köln, und wollte nach rechts in die St. Apern-Straße einbiegen. Es kam dabei leider zum Zusammenstoß mit dem schwarzen Auto der Beklagten B. Der Kläger verlangte als Eigentümer des Busses mit der Klage Schadensersatz in Höhe von 1.900 DM. Ein Unfall mitten im Herzen von Köln zu einer tollen Zeit.

 

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, da der Kläger trotz einer Menge Zeugen das Verschulden der Beklagten nicht nachweisen konnte. Hiergegen ging er in Berufung. Die Richter des Landgerichtes Köln bewiesen Sachverstand, Humor und klassische Bildung. Sie hielten dabei auch fest, dass der Karneval in Köln eine todernste Sache ist:

 

„Die Berufungsangriffe gehen fehl. Nach dem Ergebnis der - recht gewürdigten - Beweisaufnahme erster Instanz muss die Kammer davon ausgehen, dass die Zeugin S mit dem Kleinbus des Kl. gegen das stehende Fahrzeug der Bekl. zu 1 gefahren ist. Das ergibt sich eindeutig aus den Bekundungen der Zeugen M und insbesondere H. Soweit diese Aussagen darin differieren, dass sie unterschiedliche Vermutungen darüber angestellt haben, ob es der Bekl. zu 1 überhaupt möglich gewesen wäre weiterzufahren, handelt es sich eben nur um Annahmen der Zeugen, jedoch keine verifizierbaren Feststellungen. Mithin können die Aussagen beider Zeugen auf den übereinstimmenden Kern zurückgeführt werden, dass der Wagen der Bekl. zu 1 gestanden hatte und der Bus des Kl. dagegen gefahren ist. Diese Übereinstimmung entspricht der alten Volksweisheit: “Durch zweier Zeugen Mund wird allerwärts die Wahrheit kund”, die auch der gelernte Jurist Goethe seinem Mephistopheles Frau Marthe Schwerdtlein gegenüber in den Mund legt (vgl. Goethe, Faust I, Verse 3013, 3014).

 

Daraus lässt sich durch Umkehrschluss ableiten, dass den Aussagen von mehr als zwei Zeugen nicht notwendigerweise ein gleicher oder gar größerer Wahrheitsgehalt zukommt. So liegt auch hier die Annahme nahe: “Viele gaben falsch Zeugnis, aber ihr Zeugnis stimmte nicht überein (Markus 14, 56)“, wobei sich die Kammer vor der Annahme hütet, die übrigen Zeugen hätten bewusst falsch ausgesagt, denn es heißt in 2. Mose 20, 16 (beifällig wiederholt in 5. Mose 5, 20). “Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten”, und außer einander dürfte den Zeugen die Bekl. zu 1 örtlich am nächsten gewesen sein.

 

Die Tatsache, dass die Zeugen kein bewusst falsches Zeugnis geredet haben, schließt aber die Möglichkeiten nicht aus, dass sie als Insassen des unfallbeteiligten Busses das Geschehen unmittelbar vor dem Zusammenstoß nicht genau genug beobachtet oder sich ein falsches Bild davon gemacht oder insgesamt eine etwas getrübte Erinnerung an das Unfallgeschehen gehabt hatten.

 

Die Kammer hütet sich indes vor der Annahme, dass allein die Tatsache die Unglaubwürdigkeit der Zeugen indiziert, dass sie als Mitglieder der Karnevalsgesellschaft “Treuer Husar" an Wieverfastelovend im Bus waren. Es ist nämlich gerichtsbekannt, dass - abweichend von den Überzeugungen mancher Nicht-Rheinländer - Karneval in Köln eine todernste Sache ist, die keineswegs leicht genommen werden darf,[…]..Für diese Ungenauigkeiten der Wahrnehmung des Unfallhergangs und der Wiedergabefähigkeit sprechen hingegen manche Argumente, die zu leugnen wiederum mit dem Charakter einer fröhlichen Busfahrt zu Wieverfastelovend nicht recht in Einklang zu bringen wären. Bei derlei Gelegenheiten nämlich pflegt man - das ist einer der Zwecke der Fahrt - Alkohol zu sich zu nehmen und sich munter zu unterhalten und zu verlustieren. Die Aufmerksamkeit ist dann zwangsläufig nicht mehr so recht auf das Verkehrsgeschehen gerichtet, das vorn und seitlich eher wie eine Art Panorama abrollt, ohne tiefer ins Bewusstsein zu dringen. So nimmt es nicht wunder, das, wie es schon bei Markus (14, 56) zutreffend heißt, manche der Aussagen der Businsassen nicht übereinstimmen, im übrigen aber auch inhaltlich unzutreffend oder wenig wahrscheinlich sind.“

 

So kommt das Gericht zu dem Ergebnis, die Klage auch in 2. Instanz abzuweisen. Denn nicht die Menge der Zeugen gibt den Ausschlag, sondern die Qualität der Aussagen. Auch wenn das Kölner Urteil aus einer andern Zeit stammt: dieser Grundsatz hat auch heute noch Geltung. Hier noch für alles Interessierten die Fundstelle des Urteils: LG Köln, Urteil vom 22. 01. 1986 - 19 S 138/85 - NJW 1987, 1421.

 

Kommen Sie noch unfallfrei durch den Karneval!

 

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