SOZIALES
Gefährdetenhilfe: In 50 Jahren hat sich vieles verändert
Hückeswagen - Am 29. Juni feiern Haupt- und Ehrenamtler in Scheideweg Jubiläum - OA blickt mit Geschäftsführer Achim Halfmann zurück und nach vorne.
Von Leif Schmittgen
Im Jahr 1971 suchten die Seelsorger im damaligen Jugendgefängnis Siegburg nach Freizeitbeschäftigungsmöglichkeiten für die damals rund 1.000 inhaftierten jungen Männer und stießen auf die Jugendgruppe EC (Entscheiden für Christus) Hückeswagen-Scheideweg, die dort eine Predigt veranstaltete. Daraufhin war die Idee, Gespräche mit den Gefangenen zu führen, geboren und erste sogenannte Kontaktgruppen entstanden.
[Erstes Haus für eine Wohngruppe im Jahr 1979, Innenansicht von 1986 und 2024.]
„Bei den regelmäßigen Gesprächen geht es um Gott und die Welt, Glaube und Hoffnung“, weiß Achim Halfmann, heutiger Geschäftsführer des Vereins Gefährdetenhilfe SCHEIDEWEG. Dieser ist dann 1975 aus dem zunächst losen Gesprächsangebot hervorgegangen und die Offerte wurde deutlich erweitert. Inzwischen betreuen die 50 Haupt- und 190 Ehrenamtler junge Männer im Alter von bis zu 35 Jahren in 16 Justizvollzugsanstalten im Rheinland und Westfalen mit alle zwei Wochen standfindenden Gesprächsangeboten. „Zunächst finden Gruppentreffen statt, die dann in Einzelwertungen münden, je nachdem über welche Themen sich ausgetauscht werden möchte“, beschreibt Halfmann das Prozedere vor Ort.
Dieses hat sich im Kern auch nicht geändert, anders als die Klientel selbst. „Die psychischen Probleme haben sich enorm verstärkt“, weiß der Geschäftsführer (Foto rechts) aus Erfahrung. Die Gründe dafür seien vielfältig, u. a. gebe es in der Gesellschaft mehr Leistungsdruck, Gewalt steigt oder der Familienzusammenhalt ist rückläufig. Diese und weitere Umstände mündeten dann oft in einer Sucht. Um Drogen oder Alkohol zu finanzieren, endet die Spirale oftmals in Beschaffungskriminalität, dann vor Gericht und schließlich im Knast. Ist ein Ende der Haftzeit absehbar, hat man bei der Gefährdetenhilfe ein weiteres Angebot etabliert. In Wohngemeinschaften werden die Ex-Knackis engmaschig betreut. In den meist vereinseigenen Immobilien werden die Klienten auf ein Leben nach dem Gefängnis durch geschultes Personal vorbereitet.
Drogen und Alkoholkonsum sind dabei absolut tabu. Ist dieser Schritt erfolgt, besteht die Möglichkeit, in eine sogenannte Trainingswohnung zu ziehen, in der die jungen Menschen allein leben und nach eigenem Ermessen auf die SCHEIDEWEG-Beratung zurückgreifen. Ergänzt wird das Hilfsangebot durch verschiedene Handwerksbetriebe, in den sich die ehemaligen Gefangenen auf die Arbeitswelt vorbereiten können. Unter anderem gibt es eine Teestube, Café oder einen Garten- und Landschaftsbaubetrieb (Fotos oben, 1989/2024). Die Abbrecherquote ist zur Freude des Geschäftsführers sehr niedrig. Viele der ehemaligen Betreuten engagieren sich heute selber als Mitarbeiter und ermöglichen somit auch Gespräche auf „Augenhöhe“. Das Personal setzt sich aus Sozialarbeitern und Pädagogen zusammen.
[Frauen im Jahr 1997.]
„Sechs Prozent der Gefangenen sind Frauen“, berichtet Halfmann. In den 90er-Jahren hatte man in Scheideweg bereits eine Frauenwohngruppe
etabliert, die mangels Bewerbungen nach einiger Zeit aber wieder eingestellt wurde. Im Jubiläumsjahr starten die Helfer nun einen neuen Anlauf und werden Frauen in einer dritten Wohngruppe etablieren. „Hier gibt es keine Altersobergrenze“, gibt der Geschäftsführer einen Ausblick.
[1998: Eine Kontaktgruppe.]
Die Zeichen stehen wegen offensichtlich steigendem Gesprächsbedarfs der Häftlinge auf Expansion. Alleine seit Jahresbeginn hat die Gefährdetenhilfe drei weitere Kontaktgruppen in den JVAs Wuppertal-Ronsdorf, Duisburg-Hamborn und Essen gestartet und auch das Angebot der Trainingswohnungen soll noch im Geburtstagsjahr steigen. Außerdem wünscht sich der Geschäftsführer für die Zukunft, auch personell noch breiter aufgestellt zu sein. Er freut sich auf weitere ehrenamtliche Unterstützung. Niemand wird bei der Gefährdetenhilfe übrigens ins kalte Wasser geschmissen, denn alle Mitarbeiter werden für ihre jeweilige Tätigkeit geschult.
Jubiläumsfeier am 29. Juni
[Gefährdetenhilfe SCHEIDEWEG 2024.]
Gefeiert wird das große Jubiläum mit einem Festgottesdienst am Sonntag, 29. Juni, ab 14 Uhr. Die Predigt hält Frank Heinrich, Vorstand der Deutschen Evangelischen Allianz. Am Nachmittag wird es auf dem Vereinsgelände Gelegenheit zur Begegnung und zum Kennenlernen der unterschiedlichen Arbeitsbereiche geben. Es gibt Spiel- und Eventstationen. Am Abend gibt es ab 19 Uhr Musik mit Hauke Hartmann und „Just Gospel“.