SOZIALES
Wenn die Tafel an der Haustür klingelt
Waldbröl – Die Tafel Oberberg Süd bringt Menschen, die nicht mehr zu den Ausgabestellen kommen können, Lebensmittel – Touren in Morsbach und Waldbröl.
Von Lars Weber
Dankbarkeit ist das Erste, was Volker Jagelki und Gerd Breuninger entgegengebracht wird, sobald sich die Wohnungstür für sie öffnet. Die beiden Rentner sind vollbepackt. Jagelki hat eine bis zum Rand gefüllte schwarze Kiste unter dem Arm, Breuninger steht mit einer Einkaufstasche neben ihm. Geöffnet wird ihnen von Menschen, die nicht nur wenig Geld zum Leben haben, sondern die auch nicht mehr gut zu Fuß sind, ihre Wohnung vielleicht kaum noch verlassen können und denen es noch dazu an Unterstützung fehlt, die nötigsten Einkäufe zu erledigen. Bei ihnen schellen Jagelki und Breuninger alle zwei Wochen. Brot, Joghurt, Wurst, Käse, Obst, Gemüse, Konserven oder auch Nudeln – eben alles, was man so braucht, haben sie dabei. Die beiden sind ehrenamtlich für die Tafel Oberberg Süd unterwegs. Das Projekt „Tafel to go“ gibt es seit dem vergangenen Jahr – und es wird immer wichtiger.
Einmal in der Woche treffen sich Jagelki und Breuninger morgens um 8 Uhr an der Waldbröler Tafel mit Leiterin Liane Althoff. Schon am Abend zuvor fanden die ersten Vorbereitungen statt, damit tags drauf die Verteilung der Lebensmittel auf die Kisten und Taschen in einem Rutsch erledigt werden kann. Das Essen und Trinken kommt von verschiedenen Supermärkten im gesamten Südkreis. Das Team ist eingespielt. „Anfangs haben wir nur mit den Einkaufstaschen gearbeitet, da wurden die Lebensmittel zu sehr zusammengequetscht beim Transport“, sagt Jagelki. Deshalb hat er inzwischen die Kisten angeschafft. Diese sind beschriftet und so geordnet, dass es zur Tour passt. Jeder Kunde bekommt eine Kiste und eine Tasche – 3 Euro gehen dafür an die Tafel.
[Liane Althoff (v.li.), Volker Jagelki und Gerd Breuninger packen mit vereinten Kräften die Lebensmittel in die Kisten.]
Heute geht es gut zwei Stunden in Waldbröl von Tür zu Tür. 18 Menschen steuern die Ehrenamtlichen an. Die Woche drauf werden sie wieder die 13 Kunden in Morsbach besuchen. Dort ist die Tafel to go seit vergangenem Jahr unterwegs. Das erste Mal, dass die Tafel Lebensmittel bis an die Haustür gebracht hat, ist noch länger her, erinnern sich Liane Althoff und Jagelki. „Das war vor vier Jahren“, sagt der 69-Jährige. Er selbst war in Rente und auf der Suche nach einer Beschäftigung bei der Tafel aufgekreuzt. „Liane war gerade am Telefon.“ Am anderen Ende war eine 94-Jährige, an den Rollstuhl gebunden, die nicht mehr zur Essensausgabe kommen konnte. „Volker hat ihr direkt eine volle Tasche gebracht“, sagt Althoff. Und schon gehörte er zur „großen Tafel-Familie“ mit rund 130 Ehrenamtlern.
Jagelki hat es nicht bereut. Auch wenn es für ihn zunächst sehr emotional wurde, als eine Frau starb, zu der er eine persönliche Beziehung aufgebaut hatte. Danach muss er um seiner selbst willen erstmal den Pausenknopf drücken. In dieser Auszeit überlegen sie aber, die Idee auszuweiten. „Es gibt viele Menschen, die nicht mehr zu uns an die Ausgabestellen kommen können“, so Althoff, die deshalb aber nicht weniger bedürftig sind. Im Gegenteil. „Häufig sind es gesundheitliche Gründe, teils kommt das Alter dazu. Manchen fehlt auch Familie, die ihnen helfen könnte.“
Über das Morsbacher Sozialamt werden Kontakte zu jenen Menschen hergestellt, die für den Dienst infrage kommen. „Wir schauen vor Ort immer, ob es nicht auch möglich ist, dass die Lebensmittel hier geholt werden können“, so Althoff. Seit Mai gibt es neben der Morsbacher Tour auch eine Fahrt durch Waldbröl, auch hier wird mit dem Sozialamt zusammengearbeitet.
Der Bedarf für mehr Tafel-to-go-Kunden wäre da, die Leiterin und die Ehrenamtler müssen aber zusehen, dass sie alles geschafft bekommen. „Es ist eine Mammutwoche“, erklärt Althoff. Die Ausgabe der Lebensmittel in Wiehl, in Waldbröl, in Morsbach, in Denklingen und Nümbrecht verteilt sich zusätzlich auf die Tage. Rund 1.000 Haushalte seien inzwischen Kunden, deshalb musste die Ausgabe schon in Gruppen aufgeteilt werden. Hinzu kommen noch die Termine für Menschen mit Beeinträchtigungen. „Dahinter steckt eine riesige Organisation und Logistikarbeit“, erläutert Althoff. Was in der Politik beständiges Thema ist, bekommen die Tafel-Mitarbeiter hautnah mit: Es gibt immer mehr Bedürftige in der Gesellschaft, das Geld zum Leben reicht nicht mehr.
Jagelki kennt seine Kunden. Penibel führt er ein Fahrtenbuch, wo er notiert, wer etwas nicht mag beziehungsweise nicht verträgt. „Das ist zwar aufwendig“, sagt der Wildberger. „Dafür werden die Lebensmittel dann auch wirklich aufgebraucht.“ Kiste um Kiste wird in den Kleintransporter geschoben, der inzwischen extra für diesen Zweck angeschafft wurde. Zuvor waren die Ehrenamtler mit dem Bus der Kirchengemeinde unterwegs. Wenn die 18 Behälter und ebenso viele Einkaufstaschen erstmal im Kofferraum sind, ist das Fahrzeug fast bis obenhin gefüllt.
[Gerd Breuninger stapelt die Kisten im Transporter. Der Waldbröler ist jetzt seit mehr als drei Monaten als Ehrenamtlicher bei der Tafel. "Ich möchte einfach helfen", sagt er.]
Karin Neitzel ist die erste, die Jagelki und Breuninger heute die Tür öffnet. Sie wohnt im Zentrum, gar nicht so weit weg von der Ausgabestelle. Lange ist sie dort auch hingegangen. Inzwischen geht bei der 70-Jährigen ohne Rollator aber nichts mehr. Mit den Taschen hoch zu ihrer Wohnung zu kommen, das wurde für sie zur Herkulesaufgabe. Sie freut sich sehr, dass ihr nun mit der Tafel to go geholfen wird. Den Weg Richtung Tafel macht sie trotzdem ab und an. „Ich möchte den Kontakt nicht verlieren, die Leute dort sind so wertvoll“, sagt sie.
Eine Tür weiter wartet schon Elsbeth Bredenfeld. Die 87-Jährige bittet alle gleich herein. Am liebsten würde sie gleich einen Kaffee anbieten. Das geht zwar nicht, aber ein kleiner Plausch ist allemal drin. Die Seniorin hat zwar eine Familie hinter sich, doch ihre Kinder wohnen nicht in Waldbröl und sind berufstätig. „Die sind so sehr im Stress.“ Durch das Angebot der Tafel werden ihre Kinder sehr entlastet. Und sie selbst freut sich über den Besuch. „Ich bin sehr dankbar.“ Das ist auch Anna Buss, zu der die Ehrenamtler anschließend fahren. „Der Service hilft uns finanziell so sehr“, ist sie froh.
Die Menschen nehmen nicht nur, sie geben auch sehr viel, worüber sich Althoff, Jagelki und Breuninger jedes Mal aufs Neue freuen. Es steckten viele Schicksale hinter den Wohnungstüren. „Und die Menschen lassen sich trotzdem nicht unterkriegen“, meint Althoff.
Wer die Tafel Oberberg Süd tatkräftig oder finanziell unterstützen möchte, findet hier weitere Informationen.
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