SPORTMIX

„Nach Olympia kommen die Paralympics“

pn; 20.08.2021, 11:00 Uhr
Fotos: Team Deutschland Paralympics ---- Die deutsche Delegation wurde von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verabschiedet. "Denken Sie daran, wie viele Deutsche zu Hause mit Ihnen mitfiebern", gab das Staatsoberhaupt den Sportlern mit auf den Weg.
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„Nach Olympia kommen die Paralympics“

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pn; 20.08.2021, 11:00 Uhr
Oberberg - DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher spricht im OA-Interview über die anstehenden Paralympics in Tokyo.

Von Peter Notbohm

 

Vom 24. August bis zum 5. September finden in Tokyo die Paralympischen Spiele statt. 4.400 Athleten aus 160 Nationen werden in dieser Zeit um die Medaillen kämpfen. Am gestrigen Donnerstag verabschiedete Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Team Deutschland am Frankfurter Flughafen. Mit an Bord auch Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes. Einen Tag vor dem Abflug nahm sich der Bergneustädter Zeit für ein Interview mit Oberberg-Aktuell.

 

OA: Herr Beucher, für Sie sind es die zwölften Paralympics, die sechsten als Präsident des Deutschen Behindertenverbandes, was treibt sie immer weiter an?

Beucher: Es ist noch so viel zu tun, was noch nicht erledigt ist. Ich weiß aufgrund meines Alters zwar, dass jeder ersetzbar ist, aber momentan bin ich gewählter Präsident und damit als Delegationsleiter für 272 Menschen verantwortlich. Das ist eine riesige Herausforderung.  Der Antrieb ist, dieses Projekt verantwortbar – ohne Gesundheitsgefährdung - über die Bühne zu bringen. Natürlich muss man für solch ein Amt brennen, sonst kann man nicht erfolgreich sein. 1992 bei meinen ersten Paralympics in Barcelona kam neben den Siegern in der Tagesschau etwa eine halbe Stunde Paralympics in der Gesundheitssendung des ZDF. Heute haben wir über 60 Stunden Berichterstattung bei ARD, ZDF und den Privaten. Das Interesse ist geweckt. Nach Olympia kommen die Paralympics.

 

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OA: Woher kommt Ihre Leidenschaft für den paralympischen Sport?

Beucher: Da komme ich immer wieder auf Rainer Schmidt (Anm.d.Red.: paralympischer Tischtennisspieler aus dem Oberbergischen) zurück. Über Gewerkschaftskreise bekam ich zur Familie damals Kontakt. Sie haben mir von ihrem Spießrutenlauf erzählt, eine behindertengerechte Beschulung für ihr Kind zu ermöglichen. Ich war immer schon sportlich interessiert und das Thema hat mich fasziniert. Daraufhin habe ich als Bundestagsmitglied den Antrag gestellt, das Turnier in Barcelona besuchen zu dürfen. Die Kontakte sind dann über die Jahre gewachsen, genauso wie das Feuer für den Sport und seine Athleten.

 

Ich kokettiere immer damit, dass ich mehr Athleten und ihre Geschichten kenne als alle meine Vorgänger zusammen. Das sind tolle Typen und Menschen. Deshalb sage ich auch immer, das sind Vorbilder für uns in der Gesellschaft, ob mit oder ohne Behinderung. Wie diese Menschen mit einer besonderen Situation umgehen, die sie manchmal riesig einschränkt, oder sich aus einem tiefen Loch eines Schicksals herausziehen und mittels des Sports nicht nur gesellschaftliche Anerkennung, sondern auch ein Selbstwertgefühl erlangen.

 

[Quelle: YouTube --- Der offizielle Trailer des Team Deutschland Paralympics.]

 

OA: Mit Rammstein-Sound nach Tokyo hieß in der Mitteilung zum offiziellen Trailer des Teams Deutschland Paralympics. Inwieweit helfen solche Kampagnen, den Behindertensport noch mehr in der Mitte der Gesellschaft zu verankern? Medial genießt er ja meist nur bei Großveranstaltungen diese Aufmerksamkeit.

Beucher: Wir brauchen das förmlich - diese Hilfe und Unterstützung von bekannten Menschen aus Kunst, Musik, wie auch Sport. Inzwischen haben wir auch ein Botschafter-System. Prominente wie Matthias Schweighöfer werden von Agenturen angesprochen und sagen sofort ‚ja‘. Auch ein Peter Maffay ist damals ohne Honorar aufgetreten, daraus resultieren auch Freundschaften. Das geht unheimlich breit und wir haben inzwischen auch eine respektable Sponsorenschaft, aber um Sport zu finanzieren, braucht man auch sehr viel Geld.

 

OA: Die Austragung der Spiele in Tokyo war aufgrund der Corona-Pandemie sehr umstritten. Auch Sie befürworteten zwischenzeitlich mehrfach eine Verschiebung, wenn sich die weltweite Gesundheitssituation nicht verändert. Wie ist Ihr Standpunkt heute?

Beucher: Ich habe natürlich während der Olympischen Spiele mit der Mannschaftsleitung des DOSB viel Kontakt gehabt. Das war eine Blaupause für uns. Man kann sagen, kein Kontakt bis Minimalkontakt sichert, dass man keinen Japaner ansteckt und auch andersrum. Zudem sind alle unsere Ärzte, Betreuer und Physiotherapeuten und Presseleute zu 100 Prozent geimpft. Damit haben wir ein Alleinstellungsmerkmal. Zudem werden wir uns streng an den genehmigten Activity Plan halten.

 

 

OA: Was erwartet die Sportler vor Ort? Bei Olympia wurde immer wieder über die enormen Belastungen durch das Klima berichtet.

Beucher: Die große Hitzewelle ist vorbei. Gestern hatten wir regnerische 21 Grad. Ein paar Athleten haben mir sogar geschrieben, Friedhelm bring einen Schirm mit. Es wird zwar wieder etwas wärmer, aber es wird keine größere Hitzewelle mehr erwartet. Die Bedingungen waren auch ein Grund, warum ich dafür war, die Paralympics in den Herbst zu verschieben, weil es nur bedingt verantwortbar ist, bei Luftfeuchtigkeit von 80 oder 90 Prozent an den Start zu gehen.

 

OA: Was dürfen wir von Team D Paralympics sportlich in Tokyo erwarten?

Beucher: Wir zählen zu den leistungsstärken Parasport-Nationen der Welt, aber andere Väter haben auch schöne Töchter. Die Leistungsbreite ist größer geworden, andere Länder investieren enorm. Wir haben mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, dass die ehemaligen GUS-Staaten immer stärker werden und auch Länder in den Leistungssport der Behinderten investiert haben, wo Behinderte früher noch der Ächtung unterlagen. Wir streben einen Platz unter den besten Acht an, aber erst einmal kommt der Sport mit seinen Besonderheiten. Deshalb sage ich immer, wenn unsere Athleten in ihrem Wettkampf ihre Leistung der letzten Jahre abrufen können, dann werde ich stolz und zufrieden über sie berichten können. Aber natürlich haben wir Ausnahmeathleten und auch Nachwuchstalente, die nur sehr schwer zu schlagen sein werden. Ich zähle am Ende aber keine Medaillen, sondern setze die sportliche Leistung in Relation.

 

 

OA: Sie sprachen gerade die ehemaligen GUS-Staaten an: Ist das Thema Doping immer noch ein großes?

Beucher: Ja natürlich. Ich bin sehr skeptisch, ob nur ungedopte Sportler starten werden. Wir wissen alle, dass pandemiebedingt die Kontrolldichte aufgerissen worden ist und Appelle an Fairness meistens nicht reichen. Auch bei den Paralympics tritt Russland nur als Organisation der russischen Sportler an. Das ist nach wie vor die Spitze eines unfairen Eisberges, den wir in der Weltsportgeschichte haben. In manchen Gegenden der Welt hängt so viel Geld am Sport, auch am paralympischen. Das rechtfertigt es nicht, erklärt es aber. Bei uns im deutschen Team gibt es keine Toleranzschwelle.

 

OA: Wie sehen ihre Aufgaben vor Ort konkret aus?

Beucher: Ich bin der Verantwortliche für alle Athleten und Athletinnen und Betreuer vor Ort. Die Verantwortung des sportlichen Teils ist auf den Chef de Mission übertragen. Bei Extremvorgängen berät man sich natürlich. Ich bin in diesem ständigen Kreis von fünf Städten der Austragungsorte unterwegs und überzeuge mich, ob alles läuft und gucke mir natürlich auch die Situation in den Wettkampfstätten an. Ich werde nicht nur Zuschauer sein, sondern spreche auch mit Betreuern und gucke mir andere Nationen an. Die lernen von uns, wir lernen von ihnen. Ich gehe davon aus, jeden Tag 12 Stunden auf den Beinen zu sein. Leider wird es coronabedingt in diesem Jahr kein deutsches Haus im Dorf geben, wo es sonst viele Zusammentreffen und Kontakte gegeben hätte.

 

 

OA: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird die Athleten verabschieden. Hatten Sie schon im Vorfeld zu ihm Kontakt oder sind Sie selbst gespannt, was er Ihnen und den Athleten mit auf den Weg geben wird?

Beucher: Ich sehe ihn bei unterschiedlichen Anlässen im Jahr. Wir haben regelmäßigen Kontakt und er rief mich im Mai an und teilte mir mit, dass es mit reine Reise nach Japan schwierig aussehe. Das Gespräch mit den Athleten vor Ort, was ihm sehr wichtig ist, muss damit ausfallen. Das hat er sehr bedauert. Gemeinsam haben wir nach einer Alternative gesucht und er wollte uns - wie seine Vorgänger auch - unbedingt am Flughafen verabschieden. Ich betrachte Frank Walter Steinmeier als einen großen interessierten Unterstützer des Behindertensportes in Deutschland, einschließlich Elke Büdenbender. Das war aber in all den Jahren bei jedem seiner Amtsvorgänger so.

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