BLAULICHT

Schüsse in Gummersbacher Fußgängerzone: Erschreckende Einblicke in Wohnsituation des Angeklagten

pn; 17.05.2024, 14:20 Uhr
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Foto: Peter Notbohm ---- Seit Ende April läuft die juristische Aufklärung um die Schüsse in der Gummersbacher Innenstadt. Angeklagt ist ein 30-jähriger Gummersbacher (r.), der seitdem im Rollstuhl sitzt.
BLAULICHT

Schüsse in Gummersbacher Fußgängerzone: Erschreckende Einblicke in Wohnsituation des Angeklagten

pn; 17.05.2024, 14:20 Uhr
Gummersbach - Ehemaliger Vermieter sagt gegen 30-jährigen Angeklagten aus - Der soll ihm im Streit einen spitzen Stein an den Kopf geworfen haben - Angeschossener Passant soll nun doch entschädigt werden.

Von Peter Notbohm

 

„Er hatte keinen Rhythmus in seinem Leben und keinen Sinn für Ordnung“, sagte heute der frühere Vermieter über den Angeklagten Alex H. (Anm.d.Red.: Name geändert). Das Schöffengericht am Amtsgericht Gummersbach, das die Vorfälle rund um die Schüsse in der Gummersbacher Fußgängerzone (OA berichtete und OA berichtete) aufarbeitet, kümmerte sich am Freitag erstmals nicht nur um die Vorfälle aus dem vergangenen November, sondern auch um einen der beiden weiteren Anklagepunkte, die dem 30-jährigen Gummersbacher zur Last gelegt werden (OA berichtete).

 

Einer der Vorwürfe: Alex H. soll am 7. Oktober 2022 vor einem Mehrfamilienhaus in Gummersbach-Windhagen randaliert haben, nachdem sein Vermieter ihm den Zugang zu seiner Wohnung verwehrt hat. Dabei soll er mehrere Scheiben mit Pflastersteinen eingeschmissen (Schaden rund 1.300 Euro) und zudem seinen Vermieter mit einem spitzen Stein am Kopf verletzt haben. Der hatte damals laut eigener Aussage noch Glück, dass er sich rechtzeitig weggeduckt und zudem ein Handy am Ohr hatte. Den Stein habe der Angeklagte aus anderthalb Meter Entfernung frontal mit voller Wucht in Richtung seines Gesichts geworfen.

 

Angeklagter war zwei Jahr lang Mieter

 

„Der Stein muss an mein Handy geknallt sein, ansonsten hätte ich viel stärker verletzt sein müssen“, berichtete der 46-Jährige. Die Wunde am Ohr habe nur geklebt werden müssen und sei auch schnell wieder verheilt. Nach dem Steinwurf habe er sich relativ schnell wieder berappeln können und habe mit seiner Schreckschusspistole mehrfach auf Alex H. geschossen, da dieser wieder zu seinem zuvor weggesteckten Schweizer Taschenmesser habe greifen wollen. Im anschließenden Handgemenge sei es ihm und einem hinzugestoßenen Nachbarn aber gelungen, den 30-Jährigen bis zum Eintreffen der Polizei zu fixieren.

 

Es sei der erste tätliche Angriff von Alex H. gewesen, der zuvor zwei Jahre in einer Einliegerwohnung unter ihm gelebt habe. Von einem ruhigen Mieter habe man aber nicht sprechen können. Der Vermieter berichtete von einem „destruktiven und selbstzerstörenden Verhalten“ des Angeklagten, den er in der Marienheider Klinik kennengelernt und dem er aus Hilfsbereitschaft habe helfen wollen.

 

„Das ganze Haus stank nach Aas“

 

Anfangs habe man sich sogar gut verstanden und gute Gespräche geführt, sagte der 46-Jährige. Doch mit zunehmender Dauer und zunehmendem Konsum von Alkohol und Drogen hätten sich die Vorfälle gehäuft. Der Zeuge berichtete von Fäkalien in den Räumen, Gefäßen voller Urin, Zigarettenresten in Waschmaschine und Trockner, verdorbenen Essensresten im Garten, Heizen mit dem Backofen, ausgedrückten Kippen auf dem Vinylboden und Fleischresten in der Mikrowelle, „sodass das ganze Haus nach Aas stank“.

 

Bei Aufräumaktionen habe er 120 leere Flaschen Korn und unzählige Haarspraydosen, die der Angeklagte immer wieder inhaliert haben soll, aus der Wohnung entfernt. Gewundert habe ihn, dass der frühere Mitbewohner des 30-Jährigen, ein ehemaliger Akademiespieler des VfL Gummersbach, bis zu seinem Auszug nicht einmal etwas über die Zustände gesagt habe.

 

Warum er all das zugelassen habe, wunderte sich der Richter. Er habe eine soziale Ader und Alex H. habe ihm aufgrund seiner psychischen Behinderung leidgetan, erwiderte der Vermieter. „Einmal hat er mir gesagt, dass er eigentlich gar nicht alleine wohnen könne. Ich hatte den Eindruck, er versucht Anschluss zu finden.“ Als der 30-Jährige dann aber auch noch eine Kunststoffdecke angezündet habe, habe er ihm gekündigt. Das Mietverhältnis war damit aber längst nicht beendet. Der gesetzliche Vertreter des Angeklagten habe trotz zahlreicher Anzeigen über Monate dafür gesorgt, dass Alex H. in der Wohnung bleiben konnte. Auch von der Justiz habe es keine Hilfe gegeben. Sämtliche Anzeigen seien immer wieder eingestellt worden.

 

Näherungsverbot nach Wohnungseinbruch

 

Das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht habe erst ein Einbruch in seine Wohnung im ersten Obergeschoss, als er im Urlaub gewesen sei. Eine weitere Zeugin, die Freundin des Vermieters, berichtete, dass das Schlafzimmer total verwüstet und vollgequalmt gewesen sei. Die gesamte Wohnung sei durchwühlt gewesen und zudem sei ihre Spardose von ihm aufgebrochen worden. Gegenüber der Polizei soll Alex H. damals gesagt haben, dass die Wohnung seines Vermieters ja viel gemütlicher als seine eigene sei. Der 46-Jährige erwirkte anschließend ein Näherungsverbot und hörte bis zur Schießerei in der Fußgängerzone nichts mehr von seinem ehemaligen Mieter.

 

Angeschossener Passant wird nun doch entschädigt

 

Ebenfalls in das Verfahren eingeführt wurden die Verfügungen der Staatsanwaltschaft, wonach das Handeln der beteiligten Beamten im Rahmen der Schussabgabe in der Fußgängerzone gerechtfertigt war. „Die Polizei hat nicht objektiv pflichtwidrig gehandelt“, hieß es mehrfach. Die fehlgegangenen Schüsse seien dem sich bewegenden Ziel geschuldet gewesen. Zudem würden Streifenpolizisten längst kein so engmaschiges Schießtraining wie Spezialkräfte erhalten. Es sei in Deutschland eine Besonderheit, wenn Streifenpolizisten von der Waffe Gebrauch machen müssen. Daher wurden mehrere – teils anonyme - Anzeigen gegen die Beamten u.a. wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt eingestellt.

 

Wie eine Polizeisprecherin am Rande des Prozesses gegenüber Oberberg-Aktuell sagte, soll der 43-jährige Gummersbacher, der bei den Schüssen in der Fußgängerzone angeschossen wurde, nun aber doch entschädigt werden. Ein entsprechendes Verfahren laufe seit Anfang des Jahres. Am zweiten Prozesstag (OA berichtete) hatte der Mann noch ausgesagt, dass die Staatsanwaltschaft seinem Anwalt mitgeteilt habe, dass er kein Schmerzensgeld bekommen könne, da das Handeln der Polizei verhältnismäßig gewesen sei.

 

Der Prozess wird fortgesetzt

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