LOKALMIX
„Viele haben die Dramatik noch gar nicht erkannt“
Oberberg – Kreisdechant Christoph Bersch über fehlenden Nachwuchs, rückläufige Einnahmen und die Notwendigkeit der intensiven Zusammenarbeit beider christlicher Kirchen.
Von Bernd Vorländer
OA: Die beiden christlichen Kirchen haben mit erheblichem Mitgliederschwund und Bedeutungsverlust zu kämpfen. Wie sehen die Zahlen in Oberberg für die katholische Kirche aus?
Bersch: Die genauen Zahlen kann ich noch nicht benennen, weil das über die einzelnen Gemeinden läuft. Mir ist aber im vergangenen Jahr aufgefallen, dass wir auffallend viele Austritte hatten. Es gibt dabei zwei Tendenzen: Zum einen wird bei einer Hochzeit der Glauben des Partners oder der Partnerin angenommen, zum anderen werden als Begründung bestimmte Missstände innerhalb der Kirche angegeben.
OA: . . . und die finanzielle Komponente?
Bersch: . . . spielt sicherlich auch eine Rolle. Gerade in der Zeit nach Corona werden einige Menschen überlegen, wo sie sparen können – und dann leider unsere Kirche verlassen.
OA: Haben die beiden christlichen Kirchen an gesellschaftlicher Bindekraft verloren? Laut Umfragen sehen immer mehr Bürger die Kirchen nicht mehr als stabilisierendes Element einer Gesellschaft.
Bersch: Das ist sicherlich so – ich sehe das ambivalent und nicht unbedingt als Nachteil. Eine Mehrheitsgesellschaft im Sinne einer christlich geprägten Gesellschaft tut sich oft schwerer, mit Nichtchristen oder der Freiheit der Menschen umzugehen. Uns als Christen tut es auch schon mal ganz gut, uns zurückzunehmen. Wir haben kein Monopol auf irgendetwas, sondern sollten Menschen die Wahl lassen. Natürlich tut es andererseits auch gut, wenn man weiß, dass man viele Menschen an seiner Seite hat, die denselben Glauben haben.
OA: Einer der Vorwürfe an die christlichen Kirchen lautet, dass man nicht mehr zeitgemäß sei. Wie bekommen sie den Spagat hin, Entschleuniger einer immer hektischeren Welt sein zu wollen, andererseits aber mit Menschen zu tun haben, die in dieser Welt täglich gefordert sind?
Bersch: Wir bewegen uns nicht nur heute in einem Spannungsbogen, den gab es schon immer. Und – für mich ganz wichtig – wir dürfen Spaß haben in dieser Welt, dürfen genießen, dürfen uns und andere glücklich machen. Aber sich zeitgemäß zu verhalten, bedeutet nicht Anpassung. Wo Menschen benachteiligt, übersehen oder bedroht werden oder ihnen gar Gewalt angetan wird, müssen wir als Christen die Stimme erheben und uns wehren. Und auch das will ich festhalten: Zum Aufsetzen einer Retro-Brille besteht kein Anlass. Wir leben im Jahr 2020. Frauen haben längst ihre Position in der Gesellschaft und das müssen wir auch in der Kirche leben. Es gibt aus dem Evangelium heraus keinen Grund, Frauen zu diskriminieren oder in die zweite Reihe zu stellen.
OA: Müssten sie dann nicht innerkirchlich handeln – und viele Funktionen bis zum Priesteramt auch für Frauen öffnen?
Bersch: Dafür gibt es den synodalen Weg in der Kirche, der die Frage beantworten muss, wie wir uns künftig aufstellen. Aber wir dürfen die Einheit der Weltkirche auch nicht aufs Spiel setzen. Wir schaffen die Dinge nur gemeinsam. Manchmal ist es sinnvoll, zusammen langsamer zu gehen, um ans Ziel zu kommen. Es ist notwendig, dass Kirche reform- und veränderungsbereit ist. Das gilt heute, wie zu jeder anderen Zeit.
OA: Gerade für Kirchen ist die wichtigste Währung das Vertrauen. Ist das verloren gegangen?
Bersch: Es gab sicherlich früher ein blindes Vertrauen, aber heute sind Menschen zurecht kritischer geworden, schauen auch in unserer Kirche genauer hin. Auch mich macht es nachdenklich, wenn etwa bei einem Bischofstreffen eine riesige Dienstwagenflotte mit Fahrern anrollt. Da denke ich mir dann, ob es nicht eine Spur einfacher geht. Ohne Glaubwürdigkeit können wir die Menschen nicht mitnehmen. Wir dürfen die Nähe zu den Gläubigen nie verlieren.
OA: Die Einnahmesituation der christlichen Kirchen dürfte sich durch die Austritte deutlich verschlechtern. Wie wird man darauf reagieren?
Bersch: Die Finanzen sind das eine, es fehlen aber auch viele, die sich ehrenamtlich vor Ort engagieren und ich glaube, dass dies viel gravierender sein wird. Ich glaube nicht, dass die Zusammenlegung von Gemeinden oder Einheiten das größte Problem ist. Wir haben als Kirche eine tolle Botschaft und in der Corona-Zeit gespürt, wie wichtig Menschen Gottesdienste waren, selbst wenn wir sie digital gefeiert haben.
OA: Wie ist eigentlich das Verhältnis zur evangelischen Kirche in der Region?
Bersch: Wir sind ökumenisch auf einem ganz tollen Weg, das haben die vergangenen Monate deutlich gezeigt. Aber es stimmt auch, dass beide Kirchen noch deutlich Luft nach oben haben. Da wird noch zu sehr auf Konfessionen geschaut. Ich gebe mal ein Beispiel: In Gummersbach-Steinenbrück gibt es eine evangelische und katholische Kirche. Auf Dauer werden beide wohl nicht Bestand haben können. Aber wenn wir uns zusammentäten und einen Standort gemeinsam nutzen würden, um dort unsere Gottesdienste zu feiern, zu überlegen, welche Angebote wir zusammen anbieten könnten, dann wäre das sinnvoll und gut. Diese Situation gibt es an vielen Orten. Und es würde uns auch in Zeiten rückläufiger Einnahmen helfen.
OA: Für manchen wird das wie eine Kirchen-Revolution klingen...
Bersch: Es gibt doch bei den christlichen Kirchen theologisch viel mehr Verbindendes als Trennendes. Das gilt es doch festzuhalten. Niemand müsste etwas aufgeben. Geschwisterlich kann jeder seine Gottesdienste selbst gestalten, gemeinschaftlich wären aber viele weitere Dinge möglich.
OA: Den christlichen Kirchen, vor allem aber den Katholiken geht der Nachwuchs aus. Nur wenige wollen Priester werden. Was bedeutet diese Entwicklung für die Kirche vor Ort?
Bersch: Viele haben die Dramatik noch gar nicht erkannt. Wir werden in zehn Jahren weniger als die Hälfte der Priester und Diakone, aber auch der Laien im pastoralen Dienst haben. Die Zahl von Gottesdiensten wird sich stark reduzieren, die umfassende Arbeit von Priestern in dem gewohnten Maß nicht fortsetzen lassen. Wir denken im Erzbistum Köln intensiv darüber nach, wie wir hier neue Wege gehen können, etwa auch Laien neue Aufgaben und Verantwortung zu übertragen. Eines ist aber klar: Die Gemeinde als Allround-Anbieter werden wir dann nicht mehr haben.
OA: Muss sich Kirche mehr einmischen, sich unmissverständlicher auf die Seite von Benachteiligten stellen?
Bersch: Kirche ohne christliche Nächstenliebe kann keine Kirche sein. Gerechtigkeit zu schaffen ist alternativlos. Darauf werden wir besonders achten – nicht indem wir parteipolitisch sind, sondern allein darauf schauen, was Menschen benötigen. Wenn Menschen, Tiere oder die Umwelt stöhnen unter Ausbeutung und Ungerechtigkeit, wenn die einen immer reicher, die anderen immer ärmer werden, dann muss Kirche klar Position beziehen - nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch. Etwa, wenn man ein Schiff chartert für die Bootsflüchtlinge im Mittelmeer, auch wenn das kritisiert wird. Der Mensch ist der Mittelpunkt der Kirche.
KOMMENTARE
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Ein sehr gutes Interview und erstaunlich offene Worte des Kreisdechants Bersch - vielen Dank Ihnen beiden dafür!
Interessieren würde mich in diesem Zusammenhang, ob bei dem jetzt schon und - wie oben beschrieben sowie überall längst bemerkbar - noch deutlich zu reduzierenden Angebot des "Allround-Anbieters" die verbliebenen "Schäfchen" ebenfalls finanziell entlastet werden oder bleibt die Kirchensteuer in gleicher Höhe erhalten?
Dann braucht sich die Kirche nicht weiter zu wundern ... denn der "blinde Glaube" ist wahrlich vorbei, die Gläubigen haben GOTT-SEI-DANK das Mitdenken gelernt.
2
Werde auch bald aus der Kirche austreten. Sehe es nicht ein weiterhin Kirchensteuer zu zahlen. Glauben kann ich auch an andere Dinge. Ein wahrer Gott braucht man Geld beutel nicht!!
Henrik, 16.07.2020, 16:34 Uhr3
Gott braucht ganz sicher Deinen Geldbeutel nicht, Hendrik.
Aber die Welt ist etwas komplexer. Denn ndere Menschen, die auf die Hilfe und Unterstützung der kirchlichen Gemeinden angewiesen sind, werden es merken, wenn jeder glaubt auf die Zahlung der Kirchensteuer verzichten zu können.
Und:
Ich erkenne zum Beispiel einen großen Unterschied, ob ein Seniorenheim oder Kindergarten in kirchlicher Hand ist oder von profitgierigen Konzernen geführt wird.
Deshalb: Auch (oder gerade) in modernen Zeiten haben Kirchen eine Daseinsberechtigung.
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