LOKALMIX
Auf Spurensuche in der oberbergischen NS-Vergangenheit
Lindlar - Im Rahmen der Vortragsreihe „Aktuelle Forschungen über die Zeit des Nationalsozialismus im Oberbergischen“ referierte Manfred Huppertz gestern über den „Medinzinverbrecher Karl Brandt und die Krankenhaus-Sonderanlage Marienheide“.
Von Ute Sommer
Als Leiter des LVR-Freilichtmuseums Lindlar und Mitautor des 2021 erschienenen Buchs „Indoktrination- Unterwerfung-Verfolgung“ konstatiert Michael Kamp im ländlichen Raum bis heute Defizite in der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Grund genug zur Fortsetzung einer 2023 vom LVR gestarteten Vortragsreihe, die sich mit der Zeit der NS-Gewaltherrschaft auseinandersetzt und im vergangenen Jahr bereits 200 Besucher anlockte.
Auch die fünf Vorträge in dieser Woche stoßen mit 350 Anmeldungen auf großes Interesse, wobei gestern der Hitler-Scherge Karl Brandt und seine Rolle in der „Krankenhaus-Sonderanlage Marienheide“ im Mittelpunkt standen. Vor rund vier Jahren gelangte ein Schreiben mit dem Briefkopf „Krankenhaus Sonderanlage Aktion Brandt-Marienheide“ in die Hände des Gummersbacher Stadt- und OBK-Kreisarchivars Manfred Huppertz.
Durch berufliche Verknüpfungen seiner Familie zum sogenannten „Lazarett“ wurde Huppertz´ privates Interesse an weiteren Nachforschungen zur „Einrichtung der letzten Phase der Euthanasie“ und der Person des Karl Brandt geweckt. Ausführlich beleuchtete der Referent den Ursprung und die kontroverse, wissenschaftliche Diskussion um die Euthanasie, für die Nationalsozialisten das ideale Instrument zum Zwecke der „Rassenhygiene“ und der „Gesunderhaltung und Reinigung des deutschen Volkskörpers“.
Flankiert durch zunehmend menschenverachtendere Gesetze beauftragte Adolf Hitler im Oktober 1939 persönlich den NS-Funktionär Philipp Bouhler und den Arzt Dr. Karl Brandt mit der Umsetzung der systematischen Tötung von Menschen mit psychischen oder körperlichen Einschränkungen (Aktion Gnadentod). Brandt, geboren am 8. Januar 1904 in Mühlhausen (Elsass), studierte Humanmedizin in Jena, Freiburg im Breisgau, Berlin und München.
1932 trat der promovierte Mediziner der NSDAP bei, machte aufgrund glücklicher Umstände rasch Parteikarriere und war als Hitlers Leibarzt 1933 im Zentrum der NS-Macht angekommen. Nach der Ermordung von 70.000 Menschen (davon 11.000 Kindern) wurde die „Aktion Gnadentod“ auf Intervention der bekannten Theologen Friedrich von Bodelschwingh und Bischof Clemens August Graf von Galen eingestellt.
Zwar war dem Massenmord in den Gaskammern so der Riegel vorgeschoben, doch tötete regimetreues Personal in Krankenhäusern weiter durch Verwahrlosung, medikamentöse Überdosierungen oder durch Verhungern-Lassen. Im Rahmen der nun folgenden „Aktion Brandt“ wurde der Hitler-Intimus mit dem Bau von „Krankenhaus-Sonderanlagen“ zur Schaffung neuer Bettenkapazitäten für Kriegsverletzte betraut.
Voraussetzung zur perspektivischen Weiternutzung als KdF-Erholungsheime war deren landschaftlich schöne Lage und eine Gleisanbindung. Trotz Kritik am Bau des „Ausweichkrankenhauses für den Gau Essen“ im Luftkurort Marienheide setzte sich der federführende Karl Brandt durch, ließ mit finanziellen Mitteln in Höhe von 3,3 bis vier Millionen Reichsmark (12 bis 18 Millionen Euro) einen Standort mit 462 Pflegeplätzen errichten.
Im Laufe seiner Nachforschungen stelle sich Hobby-Historiker Huppertz immer deutlicher die Frage, welchen Bezug, der nach Kriegsende zum Tode verurteilte Prof. Dr. Karl Brand zum Standort Marienheide hatte. Vermutlich kannte Brandt den Ort durch seinen Schwager Heinz Clas, dessen Freund Alfred Rüggeberg als Trauzeuge bei Clas Hochzeit 1932 fungierte.
„Festhalten lässt sich aber, dass die Auswahl von Marienheide als Standort für eine Krankenhaus-Sonderanlage wohl kein Zufall war, sondern eher auf die privaten und familiären Beziehungen der Brandts zu Heinz Clas und Alfred Rüggeberg zurückzuführen ist“. Die Auswertung des gemeindlichen Sterberegisters und Patientenbücher geben laut Huppertz keine eindeutigen Hinweise auf die gezielte Tötung von Pateinten in der „Sonderanlage Marienheide“.
Nach Inhaftierung ihres Mannes im April 1945 zogen seine Ehefrau Anni und Sohn Karl Adolf in eine Villa der Firma Rüggeberg nach Marienheide, ihre Schwiegereltern zogen nach Oberwette. Nachweislich wurde der Leichnam des hingerichteten NS-Verbrechers Brandt auf dem Friedhof Müllenbach beigesetzt, die Grabstelle nach Ablauf der Liegezeit im Winter 2022/2023 eingeebnet.
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