LOKALMIX
Gastronomie: Die Lage ist katastrophal
Oberberg - Die Maßnahmen zum Schutz vor dem Corona-Virus verändert alles - Für Restaurants, Kneipen und Hotels und ihre Beschäftigten geht es um die nackte Existenz.
Von Bernd Vorländer und Leif Schmittgen
Es ist der Super-GAU für eine Branche, die von Gemütlichkeit und Geselligkeit, von Familienfeiern und der Lust auf einen Gaumenschmaus wie auch der Tagungs-Branche lebt. Gastronome, Caterer, Hoteliers – sie alle werden von den wegen der Corona-Krise verfügten Schließungen massiv getroffen. Der Tenor ist eindeutig: Das, was gerade geschieht, ist für viele existenzgefährdend. „Wenn das längere Zeit so weitergeht, dann ist das ein Totalschaden“, sagt Christian Kahl, Chef von „Haus Kranenberg“, einem Restaurant und Partyservice im Herzen von Bielstein. Es hagelt Absagen für private Feiern, der Umsatz ist bereits in der vergangenen Woche um 70 Prozent eingebrochen. Kahl rechnet damit, dass er kurzfristig gar keine Einnahmen mehr hat. „Das Geld, wofür ich sieben Jahre gearbeitet habe und das ich in Investitionen stecken wollte, verliere ich gerade in wenigen Wochen.“
Kahl ist verärgert, wie die Krise gerade von den politisch Verantwortlichen gemanagt wird. Innerhalb weniger Tage, ja Stunden würden Erlasse geändert, kaum habe man sich auf das eine eingestellt, gebe es schon eine neue Ansage – wie etwa bei den Öffnungszeiten. Und die Angebote des Staates zur Überbrückung besäßen unannehmbare Klauseln. „Es ist unfassbar, dass bei einer Steuerstundung dann eine Strafverzinsung von sechs Prozent fällig ist“, ärgert sich Kahl. Derzeit plane er, die drei Festangestellten im April in Kurzarbeit zu schicken und die Aushilfen um Geduld zu bitten. „Die brauche ich ja alle wieder, wenn es hoffentlich irgendwann weitergeht.“ Wann das ist, weiß derzeit niemand.
Kahl wäre derzeit eine noch härtere Vorgehensweise staatlicher Stellen noch lieber gewesen. Gestern habe er beobachtet, wie Jugendliche im Park Party gemacht hätten. „Die haben leider gar nichts verstanden.“ Und schließlich kommt Kahl zu einem Fazit, „das hätte ich nicht geglaubt, dass ich das einmal sage. Am besten, man hätte alle Lokale dicht gemacht.“ Das holte der Oberbergische Kreis am heutigen Abend nach.
Für Anke Seltrecht, Inhaberin des „Baumhof“ in Gummersbach, war es selbstverständlich, schon zu Beginn der Woche ihr Lokal zu schließen. „Ich wollte niemanden gefährden.“ Ihre drei Festangestellten hat sie bis Ende des Monats in Urlaub geschickt. Anschließend wird auch sie Kurzarbeit beantragen. Die Aushilfen werde sie nicht abmelden. „Ich brauche die ja alle wieder, außerdem sind wir hier eine große Familie. Wir werden das gemeinsam meistern“, so Seltrecht. Ob die Situation an ihre Existenz gehe, hänge auch vom Verhalten der Brauereien ab. „Wir haben da erste positive Signale bekommen.“
[Auch das Gummersbacher "Grammophon", sieht schweren Zeiten entgegen.]
Eric Stremme ist von der Corona-Krise doppelt betroffen: Er betreibt im Gummersbacher Stadtteil Becke ein Restaurant mit angeschlossenem Hotel. „Für meinen Betrieb und für andere ist es ein Sterben auf Raten“, bezeichnet Stremme die derzeitige Situation als „mehr als katastrophal“ und findet klare Worte, die sich an die Kommunen und Politik wenden. „Wir brauchen eine klare Regelung und zwar sofort“. Die Verordnung des Kreises legt jetzt auch seinen Betrieb still. „Jetzt könnte man wenigstens Hilfsgelder beantragen“, so Stremme.
Noch größere Sorgen macht dem Gastronomen allerdings die Unsicherheit in der weiteren Planung. „Wenn der Zeitraum des Ausnahmezustandes überblickbar wäre, könnte man mit Banken sprechen, um die Zeit zu überbrücken“. Auch deswegen fordert er die sofortige Freigabe von finanziellen Mitteln durch die Politik. Ansonsten gehe seine Branche gnadenlos unter. Im Bereich der Gastronomie hat sich der Inhaber mit einem Abholservice seiner angebotenen Speisen etwas Besonderes einfallen lassen und bewirbt die Aktion in sozialen Netzwerken. Doch auch dieser „Strohhalm“ wird seinen Betrieb – auch kurzfristig - nicht über Wasser halten können: „Das ist reiner Kundenservice und bringt wirtschaftlich rein gar nichts“, ist sich Stremme bereits nach dem ersten Tag nach Angebotsstart sicher. In seinem Restaurant, wo pro Tag etwa 100 Essen auf den Gästetisch kommen, ist der Umsatz in den vergangenen Tagen um 90 Prozent zurückgegangen. Die 34 Betten seines angeschlossenen Hotels werden in den kommenden Tagen leer bleiben. „Alle Reservierungen wurden storniert“. Die wenigen Hotelgäste die noch vor Ort sind, werden früher abreisen. Den Hauptumsatz macht man im Hotel mit Geschäftsreisenden, die jetzt ausbleiben.
Als katastrophal bezeichnet der Inhaber des Gummersbacher Irish-Pubs "Grammophon", Klaus Stange, die Lage in seiner Branche. Durch die Zwangsschließung seiner Gaststätte in Gummersbach entstehen ihm kurzfristig Schäden von mehreren tausend Euro: „Wir haben acht Bierleitungen und vier weitere für Softdrinks“, berichtet Stange. Die angebrochene Ware wird nun im Abfluss landen müssen, da die Haltbarkeit stark eingeschränkt ist. „Alleine das Reinigen der Leitungen kostet uns rund 200 €“, zeigt sich Stange frustriert. Hinzu komme der Verdienstausfall für seine insgesamt 16 Aushilfen sowie eine Festangestellte.
[Keine Gäste, kein Umsatz - das hat Friedhelm Meisen im Holsteiner Fährhaus in mehr als 40 Jahren noch nicht erlebt.]
Mittelfristig sieht der Gastronom schweren Zeiten entgegen: „Ich stehe mit etlichen Gastwirten in Kontakt, viele Leben von der Hand in den Mund“, möchte sich Stange nicht ausmalen, wie die Lage in einem Monat oder gar einem Jahr ist. „Da stehen etliche Existenzen auf dem Spiel“. Stange fordert schnelle finanzielle Hilfen aus der Politik und vor allem wünscht er sich klare Regelungen. Auf wirtschaftlich ungewisse Zeiten sieht auch der Restaurantbetreiber Friedhelm Meisen sein Unternehmen „Holsteiner Fährhaus“ in Gummersbach-Rebbelroth zusteuern. "Corona hat viele von uns auf dem falschen Fuß erwischt, in der vergangenen Woche hat noch niemand mit solch drastischen Maßnahmen gerechnet“, sorgt sich Meisen um seinen Betrieb. „Wenn alles in ein oder zwei Monaten geregelt wäre, könnte man die Zeit überbrücken“, plagt auch Meisen vor allem die Unsicherheit.
[Gähnende Leere auch in der Außengastronomie - daran wird man sich die nächsten Wochen gewöhnen müssen.]
Er sorgt sich außerdem um den Großhandel, denn dort gibt es laut seiner Einschätzung kaum noch Gastronomie-Betreiber als Abnehmer. Er führt sein Restaurant seit 1978 am Standort in Rebbelroth, eine solche Situation habe er in den 42 Jahren noch nicht erlebt, schließt sich Meisen der Meinung des Gaststättenverbandes DEHOGA an, der sofortige Hilfsmaßnahmen von der Politik einfordert. Einen deutlichen Umsatzrückgang hat Meisen schon in der vergangenen Woche festgestellt. „Wir haben nur noch jeden zweiten Tisch besetzt“, berichtet der Inhaber von Vorsorgemaßnahmen, die bereits vor den Verordnungen umgesetzt worden seien. Um seinen Lagerbestand macht sich Meisen weniger Sorgen: „Da wir ein großes Einzugsgebiet und viele Plätze haben, kühlen wir unsere Waren in einem großen Lager und planen grundsätzlich längerfristig“. Meisen hat für seine Mitarbeiter Kurzarbeitergeld bei der Arbeitsagentur beantragt. Ihm sei sofort sofort geholfen worden, freute er sich über das dortige Entgegenkommen.
Auch für den Gummersbacher Gastronom Christoph Bois (Bild) sind die Zeiten unsicher. Er betreibt das Restaurant "Tavola" im inzwischen geschlossenen Kinocenter „SEVEN“, sowie das „32 Süd“ in direkter Nachbarschaft. Bois ist in diesem Tagen doppelt geschädigt: „Wir sind zu 50 Prozent vom Veranstaltungsgeschäft abhängig“, verrät er. Neben der Schließung von Kino und Halle 32 trifft ihn zusätzlich der ruhende Geschäftsbetrieb in der SCHWALBE-Arena. Dort profitiert er nicht nur von Gästen in seinen Restaurants , sondern betreibt auch das Catering in Oberbergs größtem Veranstaltungstempel. Heute Morgen hat er sein Team zur Krisensitzung zusammengerufen. Das Ergebnis ist für alle Seiten ernüchternd: „Wir schließen heute auf unbestimmte Zeit“, sieht der Chef momentan keine Perspektive. Lange und ernsthaft habe man überlegt, ob man Teile des Geschäftsbetriebs durch einen Außer-Haus-Service aufrecht erhalten könne. Man kam aber zu dem Schluss, auch aus wirtschaftlichen Gründen bewusst darauf zu verzichten.
„Für viele familiengeführte Betriebe macht das Sinn, unser Kerngeschäft liegt aber bei Veranstaltungen“, glaubt Bois, dass der Service nicht angenommen werden würde. Die derzeitige Situation schätzt der Gastronom für Arbeitnehmer und Arbeitgeber als äußerst schwierig ein: „Zinsgünstige, in Aussicht gestellte Kredite für Unternehmer verschieben die Situation lediglich, denn auch diese müssen irgendwann zurückgezahlt werden“, meint Bois. Die vielen Minijobber in der Gastronomie kämen nicht auf ihre Stunden und müssten zudem auf oft üppige Trinkgelder verzichten. „Wäre die Situation zeitlich überschaubar, würde ich mir weniger Sorgen machen“, sagt Bois.
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