LOKALMIX
Gedenken – Mitfühlen - Handeln
Gummersbach – Die ersten Stolpersteine in Gummersbach wurden verlegt – Initiative ging von den Schülern des Lindengymnasiums aus.
Von Lars Weber
Zweieinhalb Jahre: So lange sind die fünf Stolpersteine für die Familie Simons bereits fertig. Doch kurz vor der Verlegung im Frühjahr 2020 bringt die Pandemie das öffentliche Leben zum Stillstand. Die Aktion wurde abgesagt. Seitdem ist viel passiert. Die Schüler des Lindengymnasiums, die das Vorhaben überhaupt erst mit großem Engagement vorangetrieben hatten, sind inzwischen die Q2, also der aktuelle Abiturjahrgang. Ihre Lehrerin Jessica Leifgen, die die jungen Menschen bei ihrer Arbeit begleitet hatte, lehrt seit diesem Schuljahr an einer Schule in Köln. Und auch Gunter Demnig, der Künstler hinter den Stolpersteinen, ist weiter in ganz Europa in seiner Mission gegen das Vergessen unterwegs. Letzterer konnte aus diesem Grund auch nicht anwesend sein, als am heutigen Mittwoch endlich die fünf Stolpersteine ihren Platz an der letzten Adresse der Familie Simons in Gummersbach an der Seßmarstraße 5 gefunden haben. Ergänzt wurde die Aktion von einer Ausstellung im Lindengymnasium.
Die im Boden verlegten Gedenktafeln sollen an das Schicksal der Gynäkologin Dr. Sophie Simons, ihrem Mann, den Kinderarzt Alfred, ihren Schwiegereltern Hulda und David Simons sowie den Sohn Klaus erinnern, die bis zu ihrer Flucht nach Australien beziehungsweise bis zur Deportation ins KZ Theresienstadt in Gummersbach lebten. Schulleiter Markus Niklas blickte auf die vergangenen Jahre zurück: „Die Schüler waren in der neunten Klasse, als sie mit dem Projekt anfingen.“ Das Ziel: Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte. Die Frage: Was ist eigentlich hier in Gummersbach geschehen?
[Markus Niklas, seit diesem Schuljahr Leiter des Städtischen Lindengymnasiums.]
Seitdem hätten sie im Geschichtsunterricht wahre Forschungsarbeit betrieben, und das vor Ort in der Kreisstadt. „Es haben viele Räder ineinandergegriffen“, so der Schulleiter weiter. Unterstützt wurden die Schüler bei ihrer Arbeit von Kreis- und Stadtarchivar Manfred Huppertz und seinem Vorgänger Gerhard Pomykaj. Die jungen Menschen durchforsteten die Archive, schauten sich aber auch vor Ort um. Informieren, Recherchieren, Gedenken, Erinnern, Mitfühlen und Handeln – all dies habe die Auseinandersetzung mit der Geschichte den Schülern abverlangt. Dabei erstellten die Gymnasiasten von der Familie Simons und weiteren verfolgten Gummersbacher Juden Biografien, die sie in einer Ausstellung zusammenfassten. „Niemals vergessen, nie wieder!“: Dies sei die zentrale Botschaft, so Niklas.
[Bürgermeister Frank Helmenstein gedachte den Opfern des Nationalsozialismus.]
Das Engagement habe auch dazu geführt, dass nun Gummersbach Teil des größten dezentralen Mahnmals der Welt sei: den Stolpersteinen. Mehr als 90.000 sind inzwischen in 26 europäischen Ländern verlegt worden. „Man soll über sie mit dem Kopf und mit dem Herzen stolpern“, zitierte Niklas den Künstler Demnig. Bei der Feierstunde, die von der Lehrerin Judith Weißhaar moderiert wurde, die das Projekt von ihrer Kollegin Leifgen gerne weiterführte, sprach auch Bürgermeister Frank Helmenstein klare Worte: „Wir verneigen uns vor der Gummersbacher Familie Simons und vor allen Opfern des verbrecherischen NS-Regimes.“ Helmenstein bat um Vergebung für das ihnen widerfahrene Leid. „Die Botschaft, die von unseren Stolpersteinen ausgeht, ist klar: Gegen das Vergessen - in Gummersbach, in Deutschland und auf der ganzen Welt."
Da Gunter Demnig nicht anwesend war, übernahm der Gummersbacher Bauhof die Aufgabe der Verlegung. Währenddessen verlasen die Schüler die Biografien der Mitglieder der Familie Simons. Später schloss Klarinettenmusik die Zeremonie ab. Weißhaar bedankte sich: „Die vergangenen drei Jahre haben rund 150 Menschen diesen Tag vorbereitet. Die Stolpersteine sind längst nicht nur ein ehrliches Anliegen der Schüler, sondern der ganzen Stadt Gummersbach.“ Sie kündigte an, dass das Projekt an dieser Stelle nicht abgeschlossen sei. Nicht nur werden sich Schüler-Paten um den Erhalt und die Pflege der Gedenktafeln kümmern. Bei den künftigen zehnten Klassen wird der Besuch des Hauses in der Seßmarstraße 5 ebenso fest zum Lernplan gehören wie die Auseinandersetzung mit den Biografien jener verfolgten Menschen, die früher in Gummersbach gelebt haben – und es dann nicht mehr durften.
[Die Q2 des Lindengymasiums gemeinsam mit den Mitarbeitern des Bauhofs und den Schüler-Paten, die sich das nächste Jahr um die Pflege der Steine kümmern werden (vorne, v.l.): Hermann Menn, Melissa Mertin, Svea Benninghaus und Fabian Arens.]
Weitere Informationen zum Thema Judenverfolgung in Gummersbach gibt es auch in einer Dokumentation des Stadtarchivs, die 2020 unter der Mithilfe der Schüler des Lindengymnasiums fortgeführt und ergänzt wurde (OA berichtete). Dort finden sich auch ausführliche Biografien zu den Mitgliedern der Familie Simons.
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