LOKALMIX

Mehr Aufklärung, weniger Ablehnung

lw; 11.09.2024, 20:00 Uhr
Fotos: Lars Weber --- "Vermieterin" Karin Gockeln weist Mario Schütz als möglichen Mieter mit harschen Worten zurück. Mehr Erfolg wird Schütz im Rahmen des Impro-Theaterstücks zum Thema Diskriminierung auch bei Alexander Held (Mitte), Kevin Winkler (re.) und Tanja Langhein nicht haben.
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Mehr Aufklärung, weniger Ablehnung

lw; 11.09.2024, 20:00 Uhr
Gummersbach - Wohnhilfen Oberberg der Diakonie Michaelshoven beteiligte sich mit Stand am Lindenplatz an bundesweitem Aktionstag.

Von Lars Weber

 

Mehr als 500 wohnungslose Personen mehr als im Jahr zuvor, fast 500 mehr Fälle, bei denen ordnungsrechtliche Unterbringungen durch die Ordnungsämter angeordnet wurden und mehr als 200 Wohnungsnotfälle bei den Wohnhilfen der Diakonie Michaelshoven selbst. Die Zahlen, die in der vergangenen Woche präsentiert worden waren (OA berichtet), sind alarmierend. Ein Riesenproblem dabei: Die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum übersteige das Angebot bei weitem. Um auf das Thema aufmerksam zu machen, haben heute bundesweit unter dem Banner der BAG Wohnungslosenhilfe zum Tag der Wohnungslosen Aktionen unter dem Motto „Wohnung_Los: Gemeinsam mehr erreichen“ stattgefunden. Die Wohnhilfen Oberberg waren mit einem Stand auf dem Gummersbacher Lindenplatz vertreten – und warben kreativ um Unterstützung.

 

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Wer nicht eine Minute stehenblieb, um sich die Jongleure anzuschauen, den lockte vielleicht der leckere Waffelgeruch oder die übersichtlich präsentierten Infos zum Thema. Besondere Aufmerksamkeit erzeugten jedoch Karin Gockeln, Alexander Held, Kevin Winkler, Tanja Langhein und Mario Schütz, teils Mitarbeiter bei den Wohnhilfen, teils selbst Betroffene. Sie führten den Passanten anhand eines kleinen Impro-Theaterstücks vor Augen, wie schwierig die Wohnungssuche für die Menschen ist und welchen Diskriminierungen sie ausgesetzt sind. Mario Schütz gab den Wohnungssuchenden, der nacheinander abgespeist wird von den potenziellen Vermietern – sei es, weil er zum Jobcenter muss oder Zweifel an seinen finanziellen Mitteln bestehen. Er wird aber auch aufgrund seines Äußeren angegangen. Auch wenn die Situation heute auf dem Lindenplatz gespielt war – die Antworten kommen aus realen Begegnungen, so Karin Gockeln, die den Mut jedes einzelnen Teilnehmers lobte.

 

„Auf dem Land nehmen viele Menschen das Problem der Wohnungslosigkeit gar nicht so wahr“, sagte Morten Kochhäuser von den Wohnhilfen Oberberg Mitte. „Hier liegen die Leute für gewöhnlich nicht auf der Straße wie in der Großstadt, es gibt viel mehr versteckte Wohnungslosigkeit.“ Das heißt, dass die Menschen keine eigenen vier Wände haben und stattdessen zeitweise zum Beispiel bei Freunden oder Bekannten unterkommen. Daher stand auch eine Couch direkt auf dem Lindenplatz: „Ein Sofa ist kein Zuhause“. Ein Grund für die Entwicklung: Die einkommensschwachen Menschen finden kaum Wohnungen, die sie sich leisten können in Oberberg.

 

 

Explizit in die Pflicht nehmen die Wohnhilfen die Politik, um Abhilfe zu schaffen und mehr wirklich bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Sie werden aber auch selbst tätig. So wurde 2022 das Projekt „Endlich ein Zuhause“ mit finanzieller Unterstützung des Landes auf den Weg gebracht, bei dem sich zwei extra angestellte Immobilienkaufleute auf die Suche nach passendem Wohnraum begeben. „Es geht darum, den Menschen eine Chance zu geben.“ Und die Fachleute sprechen mit den Vermietern einfach eine andere Sprache, als die Sozialarbeiter oder ihre Klienten.

 

Im vergangenen Jahr konnten so mehr als 60 Wohnungen für mehr als 100 Personen vermittelt werden, sagte Bereichsleiter Udo Schmidt. „Wir schauen hin, wer gut zu welchem Wohnraum passt und bleiben auch nach dem Einzug Ansprechpartner für die Vermieter.“ Gefördert wird das Projekt noch ein Jahr. Schmidt hofft, dass es danach weitergehen kann. Die Verantwortlichen wissen: Gerade im privaten Bereich gibt es noch viel möglichen preiswerten Wohnraum. „Wir hoffen, heute noch den einen oder anderen kennenzulernen, der Interesse daran hat“, sagte Kochhäuser am Vormittag.

 

Einer, der gerade wieder dabei ist, sein Leben zu ordnen, um eines Tages in den eigenen vier Wänden zu wohnen, ist der 38-jährige Mario Schütz. Der Gummersbacher verließ sein Zuhause, als er 15 war. Seitdem „tingel ich so rum“, sagte er. Er startete noch eine Ausbildung zum Koch, die er aber nicht abschloss, auch aufgrund von Drogen und Alkohol „im Übermaß“. Irgendwann ging es für zehn Jahre nach Köln, doch zuletzt sei die Großstadt nicht mehr das richtige gewesen. „Ich habe viele Fehler gemacht.“ Nachdem er in der Domstadt nicht mehr im Betreuten Wohnen leben konnte, fand er sich auf der Straße wieder. „Da rief ich meine Mutter an, ob ich wieder nach Hause darf.“

 

Seit sechs Monaten sei er nun wieder in seiner Heimat und hat seinen Platz im Haus Segenborn gefunden. Es steht Frauen und Männern offen, deren Existenz ungesichert ist und die von Wohnungslosigkeit bedroht oder betroffen sind. „Es gibt mir viel Mut und viel Kraft, hier zu sein“, so Mario Schütz. Er sortiere gerade sein Leben neu, und bekommt dabei auch die Unterstützung seiner Familie. „Solange ich in der Spur bleibe“, sagte er. Am liebsten würde er künftig Menschen helfen, so wie ihm auch geholfen wird. „Menschen, die auch in so einer Situation sind wie ich.“

 

Wer Hilfe benötigt oder helfen will, der findet hier alle Informationen. Mehr über den Aktionstag erfahren Interessierte hier.

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