LOKALMIX
Um das Schweigen zu brechen
Gummersbach – Im Bergischen Hof hat ein Aktionstag unter dem Motto „Oberberg sagt NEIN zu Gewalt“ stattgefunden – Als Betroffene war Katharina Falkenberg dabei, die im Februar mit Säure attackiert worden ist.
Dass es in Städten bestimmte Orte gibt, die von vielen Frauen in der Dunkelheit gemieden werden, insbesondere wenn sie allein unterwegs sind, dürfte bekannt sein. Doch Katharina Falkenberg war vor der eigenen Haustür, auf dem Weg zur Garage, um mit dem Auto zur Arbeit zu fahren. Es war 5:30 Uhr, am 9. Februar dieses Jahres, als ihr mehrfach auf den Hinterkopf geschlagen worden ist. Ihre Hände legte sie schützend auf ihr Gesicht. Dann wurde sie mit einer 96-prozentigen Schwefelsäure übergossen. Die Kleidung brannte sich in ihre Haut ein, die Schmerzen unerträglich.
Katharina Falkenberg erlitt durch die Säure-Attacke schwerste Verätzungen zweiten und dritten Grades an Kopf, Händen und Armen. Ihre rechte Ohrmuschel hat sie verloren, auch die behaarte Kopfhaut musste von Ärzten in einer Spezialklinik in Duisburg weitreichend abgetragen werden. Viermal wurde sie seitdem operiert, weitere Operationen stehen aus. Heute stand Katharina Falkenberg in der Mitte des „EKZ Bergischer Hof“ in Gummersbach, anhaltender Applaus umhüllte sie. Es war das erste Mal, dass die Gummersbacherin sich nach der Attacke öffentlich äußerte.
Anlass war der „Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen“, der alljährlich am 25. November begangen wird. Dazu haben das „Netzwerk Oberberg no-gegen Gewalt“ und die „Regional AG Oberberg“, ein Zusammenschluss aller Gleichstellungsbeauftragten der oberbergischen Kommunen, des Oberbergischen Kreises und des Aggerverbandes, in das EKZ eingeladen. Katharina Falkenberg war als Betroffene dabei. „Stellvertretend für all die Frauen, die nicht mehr sprechen können – weil sie umgebracht oder extrem eingeschüchtert worden sind“, sagte Nina Sommer, Gleichstellungsbeauftrage der Stadt Gummersbach.
Laut der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik sind im vergangenen Jahr in Deutschland 155 Frauen durch ihren (Ex-)Partner getötet worden. 256.276 Menschen in Deutschland wurden 2023 Opfer häuslicher Gewalt, davon sind 70 Prozent weiblich. Im Vergleich zu 2022 ist das ein Anstieg um 6,5 Prozent. Gewalt gegen Frauen ist auch in Oberberg traurige Realität. Die Kreispolizeibehörde hat im vergangenen Jahr 375 Fälle der häuslichen Gewalt registriert, davon sind 230 Fälle an die Jugendämter gemeldet worden, bei denen Kinder und Jugendliche unmittelbar oder mittelbar betroffen waren.
[Die Caritas hat ein Mahnmal mit 155 Paar Frauenschuhen aufgebaut– für alle, die in Deutschland 2023 von ihrem (Ex-)Partner getötet wurden. Dazwischen standen 100 Paar Kinderschuhe, ergänzt von den Koordinatoren der Frühen Hilfen der Jugendämter, die an die Kinder erinnert haben, die 2023 bei der Gewalt gegen Frauen ebenfalls direkt zum Opfer wurden, beispielsweise, weil sie auf dem Arm der Mutter waren, als diese geschlagen worden ist.]
Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter. Sie zeigt sich unter anderem in Mobbing, Stalking und sexueller Belästigung ebenso wie durch Einsperren, komplette soziale Isolation, Verweigerung finanzieller Mittel, Beschimpfungen oder auch Bedrohungen. Auch Katharina Falkenberg wurde vor dem körperlichen Angriff von ihrem Expartner bedroht. Im September wurde der 44-jährige Exfreund am Landgericht Köln zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt (OA berichtete). Das beruhigt die Gummersbacherin – zumindest vorerst. Doch wenn sie an die Zeit ab 2034 denkt, dann ist das mit einer gewissen Unsicherheit verbunden.
Nach der Säure-Attacke stellte die Polizei einen Kontakt zum Weißen Ring her, einer Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer. „Darüber reden“, das ist laut Sabrina Maar von der Kriminalprävention und dem Opferschutz der Polizei das Erste, was sie den Betroffenen raten. Den Kontakt zu Beratungsstellen würden sie täglich herstellen. Barbara Reichler leitet die oberbergische Außenstelle des Weißen Rings – und hat Katharina Falkenberg in den Monaten danach, und auch heute, begleitet. Das erste Treffen der beiden Frauen hat Anfang März stattgefunden. „Ich bin mit Herzklopfen hingefahren“, gab Barbara Reichler zu. „Ich wusste zwar, was passiert war, aber nicht, wie sie aussah.“
Auf den ersten Blick war der 41-Jährigen heute gar nicht mehr anzusehen, was ihr Anfang des Jahres angetan worden ist. Blonde Haare umspielten ihr Gesicht – eine Echthaarperücke, 2.500 Euro habe die gekostet. Eigentlich soll Katharina Falkenberg Schmerzensgeld in Höhe von 250.000 Euro erhalten. Ob sie das Geld jemals sehen wird? Sie glaubt nicht daran. Doch Kosten für die zahlreichen Behandlungen, aber auch für den Weg dorthin, entstehen trotzdem. Falkenberg muss in Vorleistung gehen. Auch hier versucht der Weiße Ring zu unterstützen. Wenn die Behandlungen abgeschlossen sind, sollen die Quittungen beim LVR eingereicht werden. Wie viel Geld es dann geben wird? Auch das ungewiss.
[Mit dabei waren beim Aktionstag unter anderem Frank Helmenstein, Bürgermeister der Stadt Gummersbach, und Ralf Schmallenbach, Sozialdezernent des Oberbergischen Kreises.]
Gefordert wurde heute von Nina Sommer ein bundesweit ernsthaftes Gesamtkonzept, um der Gewalt gegen Frauen ein Ende zu setzen, sowie eine konsequente Strafverfolgung von Tätern und auch eine gesicherte Finanzierung wie für Frauenhausplätze. Im Oberbergischen gibt es lediglich ein Frauenhaus, das aus allen Nähten platze. Platz biete es für neun Frauen und bis zu 15 Kinder. Aber „wir haben einen dringenden Renovierungsbedarf“, sagte Nicole Schneider von der Caritas. Unter anderem müssten Heizkörper, Fenster und auch die Fassade erneuert werden. Auch hier sei die Finanzierung unklar. Wer das Frauenhaus unterstützen möchte, kann an die oberbergische Caritas (IBAN: DE45 3845 0000 0000 2210 10, Sparkasse Gummersbach) spenden und dabei den Verwendungszweck „Spende Frauenhaus“ angeben.
Ein Thema sei laut Magdalena Tertel, Gleichstellungsbeauftrage des Oberbergischen Kreises und seit einem Jahr Leiterin des „Netzwerks Oberberg no-gegen Gewalt“, die Männerarbeit. „Wir haben zu wenig Anlaufstellen“, sagte sie – sowohl für Opfer als auch für Täter. Um Frauen in Zukunft besser vor gewalttätigen (Ex-)Partnern schützen zu können, fordert der Weiße Ring eine Fußfessel für Gefährder. Weitere Infos dazu sind hier zu finden. Seit 2018 werde in der Politik über einen Rechtsanspruch auf Schutz vor Gewalt gegen Frauen gesprochen. Ein entsprechendes Gesetz gibt es bislang nicht.
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