LOKALMIX
Wenn Geschichtliches ganz nah ist
Gummersbach – Bei einem Stadtrundgang hat der Historiker Gerhard Pomykaj über die Geschehnisse des 1. April 1933 informiert.
„Zu der Frau Simons geht man nicht. Die ist ja jüdisch versippt.“ – Eine Aussage, die so oder so ähnlich in den 1930er Jahren in Gummersbach häufiger gefallen sein dürfte. Darüber gesprochen wurde am vergangenen Samstag bei einem Stadtrundgang zur Erinnerung an den Boykott jüdischer Geschäfte und Praxen durch die Nazis am 1. April 1933. Anlässlich des 90. Jahrestages der Boykottaktion informierten Gerhard Jenders, Vorsitzender des Vereins „Unser Oberberg ist bunt, nicht braun!“, und der Historiker Gerhard Pomykaj über die damaligen Geschehnisse, die Betroffenen sowie insbesondere über das Arztehepaar Simons.
„Es ist kein einfacher Spaziergang, auf den wir Sie heute mitnehmen“, sagte Jenders zu Beginn zu den 40 Teilnehmern, die trotz des Dauerregens in die Fußgängerzone gekommen waren. Los ging es um 11 Uhr an der „Alten Post“. Von dort aus zogen die Teilnehmer zum Haus Kaiserstraße 6-8, wo sich heute das Bekleidungsgeschäft New Yorker befindet. 1933 habe hier das Haus Dürr gestanden, in dem sich das Bekleidungsgeschäft Löwenstein befand. Inhaber war Siegmund Löwenstein. Der Textilhändler war in Gummersbach verankert, auch Mitglied im Schützenverein – trotzdem habe die SA am 1. April vor seinem Geschäft gestanden. Löwenstein hatte in der Folge massive Umsatzeinbußen hinzunehmen, musste sein Geschäft schließlich aufgeben.
Außerdem wurde der Geschäftsmann 1933 aus dem Gummersbacher Schützenverein ausgeschlossen. Dessen Vorstand hatte Jenders vor dem Stadtrundgang ein Schreiben zukommen lassen, dass dieser vor dem ehemaligen Geschäft verlas. Löwenstein sei damals genötigt worden, „freiwillig“ aus dem Verein auszutreten und das Schützenfest nicht mehr zu besuchen. Löwenstein weigerte sich, sodass ihm neun Tage später mitgeteilt worden war, aufgrund des Arier-Paragraphen aus dem Verein ausgeschlossen zu werden. „Aus heutiger Sicht klingen diese Worte wie aus einer anderen Welt. Man kann und möchte sich nicht vorstellen, wie in der damaligen Zeit Menschen unterdrückt und verfolgt wurden, die nicht dem eigenen Weltbild entsprachen“, schreibt der Vorstand heute.
Schräg gegenüber stand damals das Haus Kaiserstraße 7, heute das Haus Kaiserstraße 13. Dort befand sich das „Volksbekleidungshaus“, das im Besitz der Königsberger Firma Kiewe & Co war. Vor Ort erinnerte Pomykaj an Joachim Samuel, den Gesellschafter der Firma Kiewe. Als Jude war auch er von den Boykottmaßnahmen betroffen, sodass auch dieses Geschäft in der Folge schließen musste. Dort, wo sich heute im EKZ „Bergischer Hof“ das Schuhgeschäft Albus befindet, gab es damals das Kino „Central-Theater“. Betrieben wurde es von den Brüdern Karl und Jan-Baptist Heinrich, die zwar katholisch getauft waren, aber eine Mutter jüdischer Abstammung hatten. So wurde auch ihr Kino Ziel der NS-Boykottaktionen.
„Die Gummersbacher Jüdinnen und Juden waren so unterschiedlich wie die Bevölkerung allgemein: Es gab religiöse Menschen wie die Familie Löwenstein, die zur Synagoge nach Meinerzhagen fuhren, und andere, für die Religion keine Rolle spielte“, sagte Pomykaj. Nicht religiös war hingegen Dr. Alfred Simons, der zusammen mit seiner nicht-jüdischen Frau Sofie an der Adresse „Bismarckstraße 1“ eine Kinderarztpraxis führte. Auch diese Praxis wurde am 1. April 1933 von der SA belagert, es wurde zum Boykott von Frau und Herrn Dr. Simons aufgefordert. Alfred Simons verlor als Jude am 22. April 1933 seine Kassenzulassung, Sophie Simons durfte als Nichtjüdin weiter praktizieren, verlor aber die Hälfte ihrer Patienten.
Heute erinnern Stolpersteine vor dem Haus an der Seßmarstraße 5 an die Familie Simons (OA berichtete) sowie seit 1995 ein Gedenkstein auf dem Simonsplatz (Bild), wo der Stadtrundgang nach etwa eineinhalb Stunden sein Ende fand. „Es ist etwas anderes, ob man etwas über die Geschehnisse von 1933 liest oder Bilder im Fernsehen sieht, oder ob man das vor Ort sieht und erkennt, dass es das auch bei uns gab, dass Mitbürger damals ganz direkt betroffen waren“, sagte Jenders. Und so meint auch der Vorstand des Schützenvereins: „Unsere Generation ist nicht verantwortlich für das, was damals geschehen ist. Aber wir übernehmen die Verantwortung dafür, dass sich solche Gräueltaten niemals wiederholen.“
Auf der Website der Stadt Gummersbach ist eine ausführliche „Dokumentation zur Judenverfolgung in Gummersbach während der Zeit des Nationalsozialismus“ zu finden.
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