ENGELSKIRCHEN

Sensation: Riesenkristalle im „Windloch“ gefunden

ls, pra, Red; 24.06.2020, 15:05 Uhr
Fotos: Fotograf: Gero Steffens, Deutsches Bergbau-Museum Bochum / Arbeitskreis Kluterthöhle / Leif Schmittgen --- Diese so genannte Hydra verschlug den Forschern den Atem.
ENGELSKIRCHEN

Sensation: Riesenkristalle im „Windloch“ gefunden

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ls, pra, Red; 24.06.2020, 15:05 Uhr
Engelskirchen - Die Erforschung des überregional bekannten Höhlensystems überrascht mit den größten Aragonitbildungen im europäischen Vergleich (MIT VIDEO, AKTUALISIERT).

[Dr. Gero Karthaus (2. v. li.) stellte heute mit Stefan Voigt (Mitte) und weiteren Experten die Sensationsfunde im Engelskirchener Rathaus vor.]

 

Von Leif Schmittgen und Isabel Kaufmann

 

Die im Mai nach der Winterpause wiederaufgenommene Erforschung des Höhlensystems „Windloch im Mühlenberg“ bei Engelskirchen-Ründeroth durch den gemeinnützigen Arbeitskreis Kluterthöhle beschert der Öffentlichkeit weitere Sensationen: Der Fund beispiellos großer Kristallaggregate im hinteren Teil der Höhle lässt die Meldung in den Hintergrund rücken, dass die inzwischen vermessene Ganglänge von über 7,2 Kilometer das Windloch-Höhlensystem als längste Höhle in Nordrhein-Westfalen ausweist und im deutschen Vergleich auf einen Top-Ten-Platz hebt.

 

[Video: Deutsches Bergbau-Museum Bochum.]

 

[Ein 3D-Modell des Baum des Glücks kann hier eingesehen werden.]

 

Bei den neu entdeckten Kristallen handelt es sich um aragonitische Sinterformen (so genannte Eisenblüten). Die Größe mit einem Durchmesser von zum Teil mehr als 1,20 Meter ist für europäische Höhlen außergewöhnlich, wie bei der heutigen Vorstellung des Fundes bekannt wurde. Von einer wahren Sensation sprach nicht nur „Entdecker“ Stefan Voigt: „Das ist kein Bömbchen, sondern eine riesige Bombe“, freute sich der Höhlenforscher. Aber warum? Unwissenschaftlich ausgedrückt sind die Kristallformen nichts anderes als das, „was sich in Omas Teekessel absetzt" (Voigt), nämlich Kalksteine. Das Alter (circa 12.000 Jahre) und die Formationen seien allerdings europaweit ein Novum. Möglich machen das spezielle klimatische Bedingungen in der Zentralhöhle, die Luft ist beispielsweise sehr trocken und Gips löst sich deswegen nicht auf. Dadurch wachsen die Formationen schnell, zerfallen aber nicht.

 

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Und was dabei herauskam, erläuterte der Höhlen-Enthusiast en detail. Zunächst entdeckten die Forscher links und rechts eines Ganges Kristalle, die wie Bäume aussehen, jeweils von einigen Zentimetern Größe. „Eigentlich konnte es nicht geiler werden“, so Voigt. Doch es sollte "geiler" kommen: Nach einigen weiteren Metern, am Ende des Ganges, fanden die Höhlenforscher einen „Baum“ von 81 Zentimetern Höhe unf tauften ihn "Baum des Glücks“.

 

„In Wien bezeichnet man ein etwa 20 Zentimeter großes Stück aus ähnlichem Material als Naturwunder“, verdeutlichte Voigt den bis hierher größten Fund dieser Art. Was die Forscher abschließend aufspürten, stellte aber alles bisher Bekannte in den Schatten. „Die Größe dieser so genannten Hydra ist einfach unglaublich“, geriet Voigt ins Schwärmen. Das Objekt, gefunden an einer der Decken und benannt nach der griechischen Sagengestalt, hat einen Durchmesser von rund 1,50 Metern. Etliche abgebrochene Äste finden sich am Boden, die übrigen scheinen sich entgegen der physikalischen Gesetze gebildet und ineinander verwoben zu haben. Voigt: „So etwas habe ich in meinen über 40 Jahren als Höhlenforscher noch nicht gesehen."

 

[Der "Baum des Glücks".]

 

Im vergangenen Jahr hatte das Windloch schon mit dem Fund von über 20 Zentimeter langen Nadeln, Watte, Kristallen, Bergkristallen - jeweils aus Gips - und zahllosen zum Teil seltenen Tropfsteinformen für Schlagzeilen gesorgt. Dies wird durch die aktuellen Entdeckungen noch übertroffen, sie seien in Größe und Form europaweit einzigartig. "Das ist einfach nicht von dieser Welt", so Voigt.

 

Daher standen im Engelskirchener Rathaus weitere Experten Rede und Antwort. „Diese Bildungen zeigen die Entstehung dieser Erde“, erläuterte Prof. Dr. Ulrich Pahlke, Direktor des geologischen Dienst NRW, die Einzigartigkeit des Höhlenkomplexes. Es handelt sich um ein viele Millionen Jahre altes Korallenriff. „Viele Sachen sind noch nicht verstanden, wir dürfen solch eine Höhle durch Forschung nicht zerstören“, ergänzte Stefan Henscheid vom Geologischen Dienst. „Demnächst kann man solche Höhlenwerke durchlaufen, ohne sie wirklich zu betreten“, sagte Dr. Stefan Brüggehoff, Direktor des Deutschen Bergbau-Museums Bochum. Er und sein Team sind damit beschäftigt, die Höhle virtuell - mit dreidimensionalen Modellen - zugänglich zu machen.

 

 

Die Riesen-Eisenblütenformen wurden von den Experten des Deutschen Bergbau-Museums Bochum und des Leibniz-Forschungsmuseum für Georessourcen mit Fotos und Videosequenzen bereits in Szene gesetzt.„Ich habe schon viel gesehen, aber sowas noch nicht“, so Prof. Dr. Adrian Immenhauser von der Ruhr-Universität Bochum. Er möchte einen Doktoranden mit der weiteren Erforschung des Sensationsfundes beauftragen und freut sich auf intensive Zusammenarbeit mit allen Institutionen und Behörden.

 

Auf eine enge Kooperation baut auch Engelskirchens Bürgermeister Dr. Gero Karthaus: „Das ist ein Geschenk der Natur, das vor unserer Haustür gefunden wurde“, so das Gemeindeoberhaupt. Er sei guter Dinge, dass ein – nur durch Landesfördermittel realisierbares - Erlebniszentrum neben der Aggertalhöhle entstehen könnte. Ein Familien-Erlebnispfad, ausgehend vom Ründerother Bahnhof, soll zeitnah eröffnet werden.

 

Hintergrund

 

Die Höhlenforschergruppe des Arbeitskreises Kluterthöhle ist seit Anfang März 2019 mit der Erforschung des Riesenhöhlensystems befasst. Das ungeahnte Ausmaß des Ganglabyrinthes erschwert die Erforschung. Die neu entdeckten Megakristallformen finden sich im Bereich eines Erzkörpers im hintersten Teil der Höhle, den die Forscher erst nach einer zweieinhalbstündigen und kräftezehrenden Höhlentour erreichen. Der Weg in den Tiefen des Mühlenberges – im zentralen Bereich lastet auf der Höhle  über 85 Meter mächtiges Gestein - ist technisch anspruchsvoll und langwierig, zumal der Schutz der Höhle im Vordergrund steht und bei den bis zu 14-stündigen Begehungen nichts beschädigt werden darf.

 

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KOMMENTARE

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Die Höhle scheint immer wertvoller zu werden - hoffentlich gut geschützt vor Vandalen und co! Wer jetzt eine Ferienwohnung/Ferienhaus direkt an der Höhe anbietet, dürfte sich langfristig glücklich schätzen.

Herrmann P., 24.06.2020, 13:11 Uhr
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