LOKALMIX
„Schwarz und weiß denken, funktioniert hier nicht“
Marienheide - Auf Schloss Gimborn findet diese Woche ein Seminar der Polizei zum Thema Demonstration und Protest statt – Podiumsdiskussion mit „Hambachfrau“ Antje Grothus.
Von Peter Notbohm
Es war einer der größten Polizeieinsätze in der Geschichte des Landes NRW: Der jahrelang schwelende Konflikt um den Hambacher Forst zwischen Klimaaktivisten und Bürgerbewegungen gegen den Energiekonzern RWE eskalierte im vergangenen Herbst in einer von der Landesregierung angeordneten Räumung. Noch ein Jahr später beschäftigt der aufwendige Polizeieinsatz, der Kosten in Millionenhöhe verursachte, die Politik. NRW-Innenminister Herbert Reul sah sich noch im September Vorwürfen ausgesetzt, falsche Aussagen getätigt zu haben – die Opposition titulierte die Regierung und den CDU-Politiker gar als Erfüllungsgehilfen des Stromgiganten. Zumal aus politischer Sicht auch von einem echten Flop der Laschet-Administration gesprochen werden darf: Die Rodungen wurden nur wenige Tage nach der Räumung durch das Oberverwaltungsgericht gestoppt und die mit viel Aufwand geräumten und entfernten Baumhäuser stehen längst wieder.
Aber auch bei der Polizei ist das Thema noch längst nicht erledigt. Diese Woche findet im Informations- und Bildungszentrum Schloss Gimborn ein Seminar zum Thema „Demonstration und Protest - Eskalation und Deeskalation und die Rolle der Polizei“ statt. Am gestrigen Dienstagvormittag diskutierten dabei im Rahmen einer Podiumsdiskussion der verantwortliche Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach und die Umweltschützerin und Aktivistin Antje Grothus, die als „Hambachfrau“ eines der prägenden Gesichter des Protestes wurde, mit den 25 Teilnehmer des Seminars – zudem waren mit Stefan Krischer (Fridays for Future) und Juri Hattenbach (Extinction Rebellion) auch weitere Aktivisten zugegen.
„Das Besondere hier ist, dass wir uns Zeit nehmen können und anders als in Talk-Shows mehr als nur zwei Sätze zu einzelnen Themen verlieren können“, sagte Udo Behrendes, ehemaliger Kölner Polizeidirektor und Leiter der Diskussionsrunde, „wir wollen zeigen, dass es nicht nur die Aktivisten und die Polizei gibt, sondern dahinter auch immer Menschen stecken.“ Dass das nicht immer ganz leicht ist, wurde im Gespräch deutlich. Grothus erzählte zunächst aus ihrer Vita, dass es sie nach ihrem Studium in die Region zwischen Köln und Aachen verschlagen habe, sie sich 2007 einer Phalanx aus Wirtschaft und Politik gegenübergesehen und daraufhin erste Bürgerinitiativen mitorganisiert habe. Als Umweltaktivistin wolle sie sich gar nicht sehen - dafür sei der Begriff durch RWE mittlerweile zu negativ behaftet – „sondern als eine Frau, die dort lebt und ungerecht findet, was dort geschieht.“
Anschließend berichtete Weinspach, wie die Geschehnisse am Hambacher Forst aus polizeilicher Sicht zu bewerten seien. Dabei war er offen und ehrlich: „2015, bei den ersten Großaktionen von Ende Gelände, sahen wir als Polizei nicht gut aus.“ Zwar habe es viele Festnahmen gegeben, aufgrund fehlender Beweisketten aber keine Gerichtsurteile. Seitdem werden die Kräfte zwar sinnvoller gebündelt, allerdings stehe die Behörde mittlerweile vor dem Dilemma der Außendarstellung: Das deeskalierende Auftreten werde von Seiten der Politik und auch Teilen der Bürgerschaft als „Kuschen vor Straftätern“ bewertet.
Die Räumungen des Waldes 2018 hatte Weinspach stets mit dem Verweis auf das ausstehende Urteil des Oberverwaltungsgerichts hinsichtlich der Rodungen abgelehnt. „Es war und ist nicht geklärt, ob RWE das Recht hat, diesen Wald zu räumen. Das störte mich schon immer“, so der Polizeipräsident, zumal sich auch seine weiteren Befürchtungen bewahrheiteten: „Das Räumen ist kein Problem. Diesen Zustand zu erhalten, ist dagegen kaum lösbar. Auch weil wir eine Gefahr beseitigen, die es ohne uns gar nicht gäbe.“ Für die Beamten sei zudem frustrierend gewesen, sich von einem Tag auf den anderen Tag gegenüber den Demonstranten und Aktivisten immer wieder völlig anders verhalten zu müssen. Kritik übte er allerdings auch: Zwar würden sich viele Aktivisten wie Grothus für gewaltfreien Protest einsetzen und von Gewalt verbal auch deutlich distanzieren - wenn es darum gehe, die schwarzen Schafe herauszusieben, stoße man aber auf eine Mauer des Schweigens: „Meine Kollegen erfahren dort Menschenverachtendes, wenn sie mit Fäkalien beworfen werden.“
Argumente, die bei Grothus zwar auf Zustimmung trafen, die den Ball aber sogleich auch weiterspielte: „Was RWE macht, ist auch Gewalt und als betroffene Bürgerin habe ich leider das Bild gewonnen, dass hier ein Konzern Hand in Hand mit der Polizei auftritt.“ Sie kritisierte zudem die Vermengung der Begriffe Demonstration und Besetzung: „Da sind beide Seiten, Aktivisten und Polizei, zu Spielbällen geworden.“
Die anwesenden Beamten beteiligten sich rege an der Diskussion, stellten den Zwiespalt zwischen Handlungsmöglichkeiten und Anspruchshaltung an die Polizei in den Vordergrund. „Man muss Profi sein“, sagte ein Polizist aus dem Ruhrgebiet. Auf der einen Seite sei man angehalten, den Staat zu repräsentieren, auf der anderen Seite meinte ein Beamter, er könne sich außerhalb seines Dienstverhältnises durchaus vorstellen auf der anderen Seite bei den Demonstranten zu stehen: „Aber Demonstration hört dort auf, wo Gewalt beginnt.“ Beide bewerteten das Seminar als wichtige Veranstaltung, um in den Dialog zu treten: „Denn schwarz und weiß denken, funktioniert hier nicht.“
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