LOKALMIX

Pleitewelle droht: Alarmstufe Rot an Krankenhäusern

lw; 20.06.2023, 16:08 Uhr
Foto: Lars Weber --- Gemeinsam mit Auszubildenden des GBZ in Gummersbach wollen die Leiter beziehungsweise Vertreter der Krankenhäuser im Bergischen auf die Probleme aufmerksam machen (Mitte, v.li.): Stephan Muhl, Thomas Stokowy, Jochen Hagt, Sascha Klein, Christian Madsen und Jan-Philipp Kasch.
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Pleitewelle droht: Alarmstufe Rot an Krankenhäusern

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lw; 20.06.2023, 16:08 Uhr
Oberberg – Leitungen der Kliniken im Bergischen Land senden gemeinsam Signal nach Berlin am bundesweiten Aktionstag – Unterfinanzierung und Folgen der Inflation bedrohen die medizinische Versorgungsstruktur.

Von Lars Weber

 

Um rund 194.000 Euro wächst das Defizit der Krankenhäuser in NRW laut Krankenhausgesellschaft – und zwar stündlich. Das sind 4,7 Millionen Euro am Tag, 140 Millionen Euro im Monat. Diese Zahlen sind nur ein Beispiel für die Schieflage der Kliniken. Heute veranstaltete die Deutsche Krankenhausgesellschaft deshalb bundesweit den Aktionstag „Alarmstufe Rot: Krankenhäuser in Not“. In diesem Rahmen haben deshalb Vertreter sämtlicher Kliniken im Bergischen Land an einem Tisch im Kreiskrankenhaus Gummersbach zusammengesessen, um auf die prekäre Lage aufmerksam zu machen. Mit der klaren Forderung, dass die Bundesregierung unverzüglich tätig werden muss, wenn ein Kliniksterben verhindert werden soll.

 

Es soll ein deutliches Signal sein, dass man mit einer Stimme spricht, sagten die Anwesenden. Am Pressegespräch nahmen OBK-Landrat Jochen Hagt, Christian Madsen (Geschäftsführer Krankenhaus Wermelskirchen), Stefan Muhl (Regionaldirektor GFO-Klinik Bergisch Gladbach), Jan-Philipp Kasch (Regionaldirektor GFO-Klinik Engelskirchen), Thomas Stokowy (Betriebs-und Pflegedienstleiter Evangelisches Krankenhaus Bergisch Gladbach) und Sascha Klein (Geschäftsführer Klinikum Oberberg) teil. Sie wurden zudem unterstützt von Pflegefachkräften des GBZ im dritten Ausbildungsjahr. Es gehe um deren Zukunft als Mitarbeiter, um die Zukunft der medizinischen Versorgung im ländlichen Raum und damit vor allem um die Patienten, also die Menschen im Bergischen Land. „Das Thema geht alle etwas an“, so Hagt.

 

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Die Anwesenden skizzierten ein düsteres Bild. Seit der Pandemie und dem Start des Kriegs in der Ukraine befinden sich Krankenhäuser in einer Abwärtsspirale, so Landrat Hagt weiter. Die Energie, Medikamente, Dienstleistungen, alle Preise seien explodiert. Dazu steht eine Tariferhöhung für die Mitarbeiter an, die zwar wichtig und richtig sei, die Entwicklung aber zusätzlich verschärfe. Ein Ausgleich von Kostenträgern und dem Bund würde dringend benötigt, um Insolvenzen zu verhindern. Von rund 1.900 Kliniken seien bundesweit etwa ein Drittel davon bedroht. Von angekündigten finanziellen Hilfen als Stütze nach den gestiegenen Energiekosten seien vom Bund noch zu wenig bei den Krankenhäusern angekommen (von 6,5 Milliarden Euro seien rund vier Milliarden geflossen).

 

Hagt und seine Nachbarn auf dem Podium warfen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach eine kalte Strukturbereinigung vor: „Nach dem Motto: Ma schauen, wer überlebt“, so Hagt. „So kann man keine Gesundheitspolitik machen!“ Man schaffe so Fakten auf Kosten der Menschen. Das Vorgehen nannte auch Klein „unverantwortlich“.

 

Kein Thema im Detail waren heute die angestrebten Reformen im Krankenhaus- und Gesundheitssektor. Deren Notwendigkeit wird von den Krankenhaus-Managern auch gar nicht angezweifelt. „Natürlich ist der Reformbedarf da“, so Klein, der auch Vizepräsident der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen ist. „Aber damit wir diese Reformen überhaupt erleben dürfen, müssen wir erstmal überleben.“ Das Fallpauschalensystem funktioniere nicht mehr. Erst kam Corona, dann der Krieg und die Inflation. Die Kosten stiegen vergangenes und dieses Jahr um 7,9 und 7,4 Prozent. Gleichzeitig könne man nicht beliebig selbst Preise anheben. Besonders die Kosten aus den Tariflohnsteigerungen müssten sie refinanziert bekommen. „Wir brauchen eine sofortige Lösung“, drückte Klein aufs Tempo.

 

Im vorhandenen Finanzierungssystem seien Krankenhäuser darauf angewiesen, dass ihnen Geld zugewiesen wird, so Christian Madsen weiter. Was das eigene Wirtschaften angehe, sei man eingeschnürt in ein Korsett, das mit Vorgaben überfrachtet sei. „Eine ausreichende Finanzierung findet gerade nicht statt.“ Laut Krankenhausratingreport des RWI Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung werden 80 Prozent der Kliniken im kommenden Jahr ein defizitäres Ergebnis aufweisen. „Das macht deutlich: Das System funktioniert nicht“, sagte Hagt.

 

Eigentlich sei das Ziel der GFO, so Stefan Muhl, die Daseinsvorsorge in der Fläche sicherzustellen. Dieses Ziel sei nun aber in Gefahr. Besonders in der Geriatrie, in der Geburtshilfe oder der Neurologie sei eine wohnortnahe Versorgung wichtig, ergänzte Jan-Philipp Kasch. „Das könnte bald nicht mehr funktionieren.“ Die Bettendichte sei nicht so hoch wie zum Beispiel im Ruhrgebiet, führte Thomas Stokowy weiter aus. „Wenn im Bergischen auch nur eine Klinik wegfällt, dann gibt es ein Versorgungsproblem!“ Und die Menschen fahren vielleicht nicht mehr 25 Kilometer bis zur nächsten Klinik, sondern 40 Kilometer. Diese Entwicklung könnte sich dann fortsetzen. Eine zerstörte Versorgungsstruktur sei die Folge.

 

„Völlig verrückt“ nannte Madsen das politische Vorgehen, bei den finanziellen Strukturproblemen nun „einfach wegzugucken“, während die Politiker zeitgleich das Gesundheitssystem für Fachkräfte attraktiv machen wollten und „durch die Gegend fliegen“, um im Ausland diese Kräfte anzuwerben. „Das passt doch nicht zusammen.“ Die von der Politik verbreitete Unsicherheit mache den Gesundheitsbereich laut Kasch auch nicht attraktiver. Dabei werde auch noch die Versorgungsqualität schlecht geredet, so Klein.

 

Die Entwicklungen ginge auch an den Auszubildenden nicht spurlos vorüber. So sei ihre Klasse an angehenden Pflegefachkräften von 30 im ersten Jahr auf inzwischen 15 Teilnehmer geschrumpft, so eine Anwesende. Die Gründe: die psychische Belastung und die finanziellen Bedingungen.

 

Und jetzt? Die Podiumsteilnehmer fordern schnelle, unbürokratische Finanzhilfen, einen Inflationsausgleich, ein Vorschaltgesetz. Wirtschaftsprüfungsgesellschaften prognostizierten, dass eine große Inflationswelle bevorstehe, so Madsen. Wie immanent die Situation bei den Krankenhäusern im Bergischen Land ist, dazu sagten die Beteiligten nichts Konkretes. Aber klar sollte sein, dass die Entwicklung auch die Region hart treffen könnte. „Mit jedem Monat, den die Politik wartet, hat sie Beschäftigte auf dem Gewissen“, so Klein.

KOMMENTARE

1

Linksgrünen Irrsinn macht halt vor nichts halt.

Karl Leisefluss, 20.06.2023, 16:45 Uhr
2

War vor Wochen und Monaten selbst 2 x in Gummersbach. dabei war als Privat Versicherter mindestens 1-2 Tage bei 4 Tagen Aufenthalt zu lange dort!

xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx, 20.06.2023, 17:00 Uhr
3

@Karl Leisefluss: Die Ursache der Unterfinanzierung der Krankenhäuser liegt am System der Fallpauschalen. Diese Entwicklung hat in den späten 80ern begonnen und wurde seither von *allen* folgenden Bundesregierungen "fortentwickelt". Ich weiß also nicht, wo sie in der wirtschaftlichen Verwertung von Kranken linksgrünen Irrsinn erkennen.

Damian Zoys, 21.06.2023, 10:13 Uhr
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