BLAULICHT
Sexueller Missbrauch: „Er hat die Angst in uns reingepflanzt“
Wiehl/Bonn – Am dritten Prozesstag um einen Einbrecher, der sich an einem Mädchen (12) vergangen haben soll, hat sich der Angeklagte erstmals zu den Vorwürfen geäußert – Auch das Opfer und ihre Eltern sagten am Landgericht Bonn aus.
Von Peter Notbohm
Ein junges Mädchen aus Wiehl (12) soll von einem Einbrecher sexuell missbraucht worden sein (OA berichtete). Nachdem Stefan T. (Anm.d.Red.: Name geändert) die Wohnung der Familie gegen 3:30 Uhr bereits durchwühlt hatte, waren die beiden Schwestern auf ihn aufmerksam geworden. Statt zu fliehen, soll er sich ein Kondom genommen haben und mit einem Messer bewaffnet im Kinderzimmer sexuelle Handlungen an der Jüngeren der beiden vorgenommen haben. Zum Äußersten kam es nicht, weil die Mutter ebenfalls wach geworden war und den Unbekannten mit ihren Schreien in die Flucht getrieben hatte.
Am dritten Prozesstag am Landgericht Bonn hat der Angeklagte nun erstmals sein Schweigen gebrochen, berief sich dabei allerdings auf die bereits zuvor angedeuteten Erinnerungslücken. Über seinen Rechtsanwalt Dr. Peter-René Gülpen ließ er sich im Rahmen einer Verteidigererklärung zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft ein. Die wirft dem 21-jährigen Deutschen aus Reichshof neben dem sexuellen Missbrauch auch drei Fälle von Diebstahl vor.
An die Nacht des 20. August des vergangenen Jahres habe sein Mandant nach wie vor keine Erinnerungen. Das hatte Stefan T. damals auch schon der Polizei im Rahmen der ersten Verhöre gesagt. Als ihm vor dem Haftrichter in Waldbröl die Vorwürfe verlesen wurden, sei er „total schockiert und fassungslos“ gewesen. Der gesamte Abend sei ein einziger Filmriss. Er habe Bier und Alkohol getrunken und zudem mehrere Joints geraucht. Dazu habe er noch Ecstasy und zwei Tabletten Xanax eingeworfen.
Auf dem Video einer Überwachungskamera, das am zweiten Prozesstag gezeigt worden war, habe er sich zwar wiedererkannt, „aber ich sah merkwürdig aus. Ich kenne diese Grimassen von mir nicht. Sie sehen total merkwürdig aus“. Die Vorwürfe bezeichnete Stefan T. in seiner Einlassung als schlimm, teilweise aber auch als unlogisch. So könne er sich nicht erklären, warum er bei dem zweiten Einbruch die Beute in den Kofferraum eines Autos gepackt haben soll: „Schließlich kann ich nicht einmal Auto fahren.“
Die erste Erinnerung setze erst wieder ein, als ihn die Polizei noch in derselben Nacht festgenommen hatte. Er habe große Angst verspürt. Bereits am zweiten Prozesstag hatte ein Anwohner ausgesagt, dass er Stefan T. mit einem gestohlenen Roller mehrfach eine Straße auf und ab habe fahren sehen. Er habe den Mann damals zur Rede gestellt, dieser habe teilnahmslos gewirkt, hätte aber jederzeit fliehen können – stattdessen wartete man aber gemeinsam auf die Polizei, die ihm schließlich Handschellen anlegte.
Ausgesagt hat heute vor der 8. Großen Strafkammer auch das mutmaßliche Opfer aus Wiehl. Für ihre Aussage wurde die Öffentlichkeit vom Verfahren ausgeschlossen. Zuvor hatten bereits ihre beiden Eltern ausgesagt. Sie berichteten davon, dass die Familie unter den Vorfällen noch heute enorm leide. „Er hat die Angst in uns reingepflanzt“, sagte der Vater (41). Die ältere Schwester des Opfers, die alles mitangesehen hatte, werde nachts immer wieder schreiend wach. Wenn sie duschen gehe, müsse seine Ehefrau immer zur Sicherheit an der Badezimmertür stehen. Auch ihre schulischen Leistungen seien seitdem vollkommen abgesackt.
Die Zwölfjährige gebe sich nach Außen stärker, aber auch an ihr merke er Veränderungen, sagten beide Eltern. Sie kaue immer wieder an ihren Fingernägeln und esse auch nur noch unregelmäßig. Beide Kinder wollen bislang aber keine ärztliche Hilfe. In der Familie wird die Nacht totgeschwiegen. Auch der Sohn, der damals mit seinem Vater im selben Zimmer geschlafen hatte, leide unter Angstzuständen. Die gesamte Familie wolle nur noch raus dem Haus, in das man erst zwei Wochen vor dem Vorfall eingezogen war. „Ich hoffe, meine Kinder können das dann irgendwann vergessen“, so der 41-Jährige.
Beklemmend waren auch die Erinnerungen der Mutter (38) an die Nacht. Sie sei im Schlaf angetippt worden, habe aber zunächst noch geglaubt einen schlechten Traum gehabt zu haben, weil sie niemanden sah. Auf ihrem Weg zur Toilette habe sie die völlig durchwühlte Wohnung gesehen und sei sofort ins Zimmer ihrer Kinder geeilt. „Als ich in ihre Augen gesehen habe, wusste ich sofort, dass etwas ist“, berichtete die Frau. Sie habe den Unbekannten, der hinter einem Schrank hervorgetreten sei, noch versucht festzuhalten, der habe sich aber losgerissen und sei aus der Wohnung gestürzt.
Ihr Mann sei von den Schreien der Kinder wach geworden und hätte den Einbrecher, der auf der Straße vor dem Haus noch gestürzt war, zunächst verfolgt, dies aber schnell abgebrochen, um sich um seine Familie zu kümmern. Dabei sei der Unbekannte „sehr seltsam“ in Richtung des benachbarten Waldes gelaufen, ergänzte die 38-Jährige, die selbst schockiert von den Vorfällen war: „Der war nicht normal.“ Sie müsse seit jener Nacht immer gemeinsam mit ihren Kindern in einem Raum schlafen. Dabei finde sie selbst kaum Schlaf, weil sie immer alles beobachte.
Die vorbereite Beute hatte der Täter damals bei seiner Flucht stehen lassen. Auch die gestohlenen 840 Euro bekam die Familie schnell wieder. Trotzdem glaubte der Vater vor Gericht nicht, dass es sich um einen Einzeltäter handelte. Drei Tage nach dem Vorfall habe der Vormieter der Wohnung alle Ausweise und Bankkarten vorbeigebracht und sich dabei seltsam verhalten. „Vielleicht hatte der Täter einen Schlüssel“, mutmaßte der 41-Jährige. Dem wollte das Schöffengericht aber nicht weiter nachgehen, da nach Aktenlage der Vormieter die Sachen in seinem gestohlenen Roller gefunden hatte. „Es ist nicht ersichtlich, dass der Mann damit etwas zu tun hatte“, so die Vorsitzende Richterin.
Der Prozess wird fortgesetzt.
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