RECHTECK

Wie rechne ich einen Totalschaden richtig ab?

Red; 21.10.2023, 09:00 Uhr
RECHTECK

Wie rechne ich einen Totalschaden richtig ab?

Red; 21.10.2023, 09:00 Uhr
Oberberg - Oberberg-Aktuell informiert in dieser Rubrik über Rechtsfragen - Der Service wird präsentiert von Fincke Rechtsanwälte Bergneustadt.

Wer mit seinem Pkw unverschuldet in einen Verkehrsunfall verwickelt war, der sollte einen Kfz- Sachverständigen seiner Wahl mit der Begutachtung des Schadens beauftragen. Er sollte die Schadensbegutachtung nicht der Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallgegners überlassen. Er sollte sich auch nur ausnahmsweise (nur bei sehr geringen Schäden) auf den Kostenvoranschlag einer Kfz-Werkstatt verlassen. Denn nur ein Kfz-Sachverständiger kann den unfallbedingten Reparaturaufwand kalkulieren und dokumentieren (Beweissicherung!). Nur er kann eine merkantile Wertminderung ermitteln. Und nur der Sachverständige kann auch Feststellungen dazu treffen, ob am Fahrzeug ein wirtschaftlicher Totalschaden eingetreten ist.

 

Damit ein wirtschaftlicher Totalschaden zutreffend ermittelt und abgerechnet werden kann, muss der Kfz-Sachverständige zuvor den Wiederbeschaffungswert und den Restwert des Fahrzeuges bestimmen. Bei dem Wiederbeschaffungswert handelt es sich – vereinfacht ausgedrückt - um den Preis, den der Geschädigte auf dem regionalen Automobilmarkt aufwenden müsste, um ein nach Fabrikat, Ausstattung, Laufleistung und Alter gleichwertiges Fahrzeug erwerben zu können. Bei dem Restwert handelt es sich um den Wert des Fahrzeuges, den es nach dem Unfall noch im beschädigten und unreparierten Zustand hat. Diesen Wert ermittelt der Kfz-Sachverständigen nicht abstrakt. Sondern er wendet sich ganz konkret an verschiedene Restwertkäufer (Gebrauchtwagenhändler) in der Region des Geschädigten und fordert diese dazu auf, Restwertangebote für das beschädigte Fahrzeug abzugeben. Das höchste Gebot wird dann regelmäßig als Restwert im Gutachten ausgewiesen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) lässt das Gutachten eines Kfz-Sachverständigen dann eine ordnungsgemäße Restwertermittlung erkennen, wenn im Rahmen der Begutachtung mindestens drei Angebote von regionalen Restwertkäufern eingeholt wurden.

 

Von einem wirtschaftlichen Totalschaden ist immer dann auszugehen, wenn die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges übersteigen. Die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung (im Folgenden nur noch: Versicherung) ist dann nur noch in Ausnahmefällen zur Erstattung der Reparaturkosten verpflichtet. Grundsätzlich schuldet die Versicherung im Totalschadensfall nur noch die Differenz zwischen dem Wiederbeschaffungswert und dem Restwert. Ein Beispiel: Vor dem Unfall war das Fahrzeug noch 10.000 EUR (=Wiederbeschaffungswert) wert. Nach dem Unfall und im beschädigten Zustand verfügt das Fahrzeug nun nur noch über einen Restwert i.H.v. 2.000 EUR. In diesem Fall wird die Versicherung also zur Erstattung eines Differenzbetrages, der auch als Wiederbeschaffungsaufwand bezeichnet wird, i.H.v. 8.000 EUR verpflichtet sein. Den konkreten Restwert i.H.v. 2.000 EUR kann der Geschädigte dadurch erzielen, dass er sein Fahrzeug an den im Gutachten benannten Restwertkäufer (oder an jeden anderen Dritten!)  veräußert. Im Ergebnis stehen dem Geschädigten dann wieder 10.000 EUR zur Verfügung, die er für die Anschaffung eines Ersatzfahrzeuges einsetzen kann.

 

Für die Versicherung ist bei dieser Abrechnung die Höhe des Restwertes von besonderer Bedeutung. Denn: Je höher der Restwert, desto geringer der Entschädigungsbetrag, den die Versicherung an den Geschädigten auszahlen muss. Das veranlasst die Versicherungen regelmäßig dazu, abweichende Restwertangebote einzuholen und dem Geschädigten mitzuteilen. Was ist in diesem Zusammenhang nun zu beachten:

 

1. Der Geschädigte muss eine Überprüfung des Gutachtens und der Restwertermittlung durch die Versicherung nicht abwarten. Er muss der Versicherung nicht die Gelegenheit geben, abweichende Restwertangebote zu ermitteln und mitzuteilen. Er darf im Vertrauen auf sein Gutachten und die Restwertermittlung in diesem Gutachten sein Fahrzeug sofort verkaufen. Dieser Verkauf sollte schriftlich dokumentiert werden.

 

2. Auf das abweichende Restwertangebot der Versicherung muss der Geschädigte nur dann eingehen, wenn das Fahrzeug nicht bereits veräußert wurde und der Geschädigte überhaupt die Absicht hat, sein Fahrzeug zu veräußern.

 

3. Bei dem abweichenden Restwertangebot der Versicherung muss es sich um ein echtes und verbindliches Vertragsangebot handeln. Das setzt nach den allgemeinen Regeln des Zivilrechts voraus, dass das Angebot so bestimmt ist, dass es mit einem einfachen „Ja“ angenommen werden kann. Die Vertragsabwicklung darf für den Geschädigten mit keinerlei Nachteilen verbunden sein. In der Regel wird man dem Restwertkäufer eine kostenlose Abholung des Fahrzeuges und eine garantierte Barzahlung des Restwertes an den Geschädigten abverlangen dürfen.

 

In diesem Zusammenhang hatte das Oberlandesgericht in Düsseldorf (OLG) in einer von uns erstrittenen Entscheidung vom 10.10.2023 (I-1 U 188/22) noch einmal die Gelegenheit, die Anforderungen an abweichende Restwertangebote der Versicherungen klar zu definieren und die Rechte der Geschädigten zu stärken. In dem Verfahren ging es – vereinfacht ausgedrückt – um die Frage, ob der Geschädigte das abweichende Restwertangebot der Versicherung hätte berücksichtigen müssen, was im Ergebnis zu einem finanziellen Nachteil des Geschädigten i.H.v. 1010 EUR geführt hätte. Der Zugang des abweichenden Restwertangebotes und die Veräußerung zum Restwert aus dem eigenen Gutachten hatten sich in diesem Fall zeitlich überschnitten – daher der Streit. Das OLG hielt das abweichende Restwertangebot aus den nachfolgenden Gründen für unbeachtlich und sprach dem von uns vertretenen Geschädigten weitere 1.010 EUR nebst Zinsen zu:

 

„Das Schreiben [ = Restwertangebot] der Beklagten [der Versicherung] vom 23.8.2021 erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Es beschränkt sich auf die Nennung der (unvollständigen) Adresse sowie der Mobilfunknummer einer „Firma Fa DOK“ sowie die Mitteilung, dass diese das Unfallfahrzeug kaufen wolle und einen Kaufpreis i.H.v. 7510 Euro biete; das Fahrzeug könne kostenfrei vom jetzigen Standort abgeholt, der Kaufpreis könne in bar gezahlt werden. Das wird den vorgenannten Anforderungen in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Insbesondere lässt sich die Identität des potenziellen Käufers auf der Grundlage des Schreibens der Beklagten nicht zweifelsfrei feststellen; weder handelt es sich hierbei um eine juristische Person [zum Beispiel um eine GmbH], noch wird eine hinter der genannten Firma stehende natürliche Person benannt. Hinzu tritt die erkennbare Unvollständigkeit der angegebenen Adresse. Dies hat zur Folge, dass der Kläger, um zu erfahren, an wen er sein Altfahrzeug veräußern soll, zunächst gehalten gewesen wäre, über die angegebene Mobilfunknummer Kontakt zu dem potenziellen Verkäufer aufzunehmen und dessen Identität zu erfragen. Hierzu war er aber nach den vorstehenden Ausführungen gerade nicht verpflichtet.

 

Darüber hinaus fehlt es auch an einem durch einfache Zustimmungserklärung des Klägers annahmefähigen Angebot. Dass das Fahrzeug jederzeit abgeholt werden „könne“, Kann nicht mit einer entsprechenden vertraglichen Verpflichtung gleichgesetzt werden. Schließlich fehlen konkrete Angaben zu weiteren notwendigen Vertragsdetails, insbesondere auch zur Frage eines etwaigen Gewährleistungsausschlusses.“

 

Diese Rechtsprechung gibt Anlass dazu, sich die abweichenden Restwertangebote der Versicherungen zukünftig noch genauer anzuschauen. Viele dieser Restwertangebote dürften gemessen an diesen strengen  - aber zu begrüßenden - Anforderungen unbeachtlich sein!

 

Thomas Hütt, Fachanwalt für Verkehrsrecht und Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

 

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