JUNGE LEUTE
„Wir rechnen mit stofflichen Lücken“
Oberberg – Raus aus den Sommerferien, rein in die Schule – OA sprach mit Schulleitern über den Start in das zweite Schuljahr unter Pandemiebedingungen.
Von Katharina Schmitz und Lars Weber
Bunte Schultüten und volle Klassenräume – Schüler, Lehrer und Eltern sehnten sich nach einem recht normalen Schulalltag und fieberten Einschulungen sowie dem Start des neuen Schuljahrs entgegen. Seit einer Woche strömen die Kinder und Jugendlichen wieder in ihre Schulen. Doch mit dem Schulanfang äußerten sich einige Kinder und deren Eltern besorgt. „Wir haben 90 Fünftklässler aufgenommen und rechnen mit stofflichen Lücken, die sie aus der Grundschule mitbringen“, sagt Balthasar Rechner, Leiter des Aggertal-Gymnasiums in Engelskirchen. Aktuell befände sich das Kollegium in der „Diagnosearbeit“, anschließend sollten die Lehrpläne angepasst und bestehende Wissenslücken geschlossen werden.
Doch zu der aktuellen „Diagnosearbeit“ zähle nicht nur die Analyse des erlernten Stoffs sowie möglicher Lücken. „Die Schüler freuen sich sehr über den relativ normalen Schulalltag, aber ich habe den Eindruck, dass die neuen Fünftklässler bei der Begrüßung wesentlich ruhiger und zurückhaltender gewesen sind“, gibt Rechner zu bedenken. Viele Kinder hätten weniger soziale Kontakte gehabt, manche seien vereinsamt. Umso wichtiger sei es nun, die Kinder wieder zu einer sozialen Einheit zusammenzuschweißen.
„Die Schüler wünschen sich, gemeinsam lernen zu können. Sie sind sehr diszipliniert und wollen, dass Schule stattfinden kann“, weiß Erhard Seifert, Leiter des Wipperfürther Engelbert-von-Berg-Gymnasiums. Er blickt gespannt, aber auch mit Hoffnung auf das neue Schuljahr: „Die Infektionszahlen gehen zwar hoch, aber auch die Impfquote bei den Jüngeren steigt. Wir hoffen, dass die Schule aufbleiben kann.“ Über 35 neue Schüler verfügt die EF des EvB, die vergangenen Mittwoch innerhalb der Stufenversammlung begrüßt worden sind. Die Einschulung der 81 neuen Fünftklässler fand – wie bereits im Vorjahr – am Ende des vorherigen Schuljahres statt. Nun gelte es auch dort, Wissenslücken auszumachen und zu schließen. Einige Schüler hätten sich dem der EvB-Direktor zufolge freiwillig für das Wiederholen einer Jahrgangsstufe entschieden, weil Lerninhalte auf die Distanz nicht so verarbeitet worden seien wie im Präsenzunterricht: „Aber mein Eindruck ist, dass die Lücken nicht so eklatant sind.“
Laut Schulleiter Rechner seien 65 Prozent der Engelskirchener Gymnasiasten bereits geimpft, 21 weitere Schüler hätten vom gestrigen Besuch des Impfmobils Gebrauch gemacht und sich gegen das Coronavirus impfen lassen. Auch zahlreiche Oberstufenschüler der Gesamtschule Marienheide seien dem Leiter Wolfgang Krug zufolge geimpft. Genaue Zahlen liegen dem Rektor jedoch nicht vor. Aktuell gehe es darum, die Kinder im Schulbetrieb ankommen zu lassen – wie es auch das NRW-Schulministerium nicht zuletzt mittels seines Aktionsprogramms „Ankommen und Aufholen“ (siehe Kasten) befürwortet. Trotzdem setzt Krug darauf, zügig Prüfungen durchzuführen: „Keiner schreibt gerne eine Arbeit, aber ich habe auch von den Schülern positive Rückmeldungen erhalten. Sie freuen sich über Lernerfolgsüberprüfungen.“
Ankommen und Aufholen
Einfach so weitermachen wie vor den Lockdowns und dem Lernen von zu Hause? Das wird es an den Grundschulen nicht geben, sagt Schulamtsdirektorin Gabriele Zimmermann aus dem staatlichen Schulamt für den Oberbergischen Kreis laut einer Mitteilung der Kreisverwaltung. „Die Kinder erfahren Schule als Lebensraum, als Raum der Begegnung und des Miteinanders. Das ist ein sozialer Anker.“ Damit sich die Kinder schnell wieder wohlfühlen, würden den Schulen im Rahmen des Programms „Ankommen und Aufholen nach Corona“ in den Bausteinen „Extra-Blick“, „Extra-Zeit“, „Extra-Personal“ und „Extra-Geld“ den Schulen vielfältige Angebote gemacht. Dabei geht es unter anderem darum, Kinder mit besonderem Förderbedarf zu erkennen und abzuholen, aber auch darum generell weitere Lernangebote zu schaffen, wie dies in Ferien bereits der Fall gewesen sei.
Baldige Prüfungen könnten auch an dem Berufskolleg Hückeswagen stattfinden, doch bei der Einschulung vor den Sommerferien standen für die 35 neuen Schüler zunächst das Austeilen von Laptops sowie die ersten gemeinsamen Schritte innerhalb wichtiger Programme an. „Wir arbeiten voll digital und haben den Distanzunterricht damit ohne Unterrichtsausfälle durchführen können“, sagt Schulleiter Gunnar Mühlenstädt. In den vergangenen eineinhalb Jahren sei das Gemeinschaftsgefühl ein Stück weit verloren gegangen, doch das Lernen auf Distanz habe laut Mühlenstädt auch viel Gutes: „Unsere Schüler müssen im Oberbergischen weite Wege zurücklegen. Deswegen hoffen wir, den Distanzunterricht auch in regulären Zeiten verstärkt nutzen zu können und so für weniger Pendelei und damit mehr Entlastung sorgen zu können.“
Auch die Lehrer der Gemeinschaftsgrundschule Körnerstraße in Gummersbach haben ihre 56 i-Dötzchen feierlich willkommen geheißen. „Wir drängen, hoffen und tun alles dafür, dass wir in Präsenz unterrichten können“, lässt Schulleiterin Sabina Heupel wissen. Auch sie beschäftige sich mit dem Aktionsprogramm des NRW-Schulministeriums, das sie am 12. August erreicht habe: „Wir müssen uns erst einarbeiten und können dann Personal und Gelder beantragen.“ Auch für die Grundschüler, die nicht geimpft werden können, gebe es immer noch genug Einschränkungen – nicht zuletzt im Sportunterricht oder auch beim Singen. „Die Kinder wünschen sich, dass das Virus verschwindet. Da sind wir uns mal alle einig“, sagt Heupel mit einem Augenzwinkern und ergänzt: „Aber wir alle wissen, dass das nicht möglich ist.“
Gewerkschaft: Lehrermangel gefährdet Präsenzunterricht
Sandra Rothe, Vorsitzende der Kreisgruppe des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), sieht den Schulstart mit gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite sei die Sehnsucht nach Alltag und Beständigkeit groß und der Präsenzunterricht ein Schritt dorthin. Dabei sei die Entkoppelung von der Inzidenz ein gutes Zeichen. „Wir hoffen auf Verlässlichkeit, auch wenn diese erstmal abzuwarten ist.“ Das gilt auch für die neuen Quarantäneregelungen, die die Gewerkschaft zunächst sinnvoll findet. „Einen engeren Radius zu ziehen, das ist sinnvoll.“ Auf der anderen Seite könne sich die Situation schnell zuspitzen, wenn das Gesundheitsamt entscheidet, auch die Lehrer in Quarantäne zu schicken. „Der Lehrkräftemangel könnte schnell dazu führen, dass wir klassenweise wieder im Distanzlernen sind.“ Das sei gerade für die Kinder fatal. „Die Lernrückstände werden uns noch über Jahre beschäftigen.“
ARTIKEL TEILEN