LOKALMIX
Einzelhandel: Allgemeine Verunsicherung
Oberberg - Im Einzelhandel herrscht Unsicherheit, Sorge aber auch Verständnis für möglicherweise härtere Maßnahmen - OA hat sich bei Geschäftsinhabern in Ründeroth umgehört sowie bei einem Interessenvertreter nachgefragt (mit Umfrage).
Von Leif Schmittgen
Die Corona-Infektionszahlen sinken trotz aller bereits eingeleiteter Maßnahmen nicht. Kommt in den kommenden Tagen bundesweit ein härterer Lockdown - wie in Sachsen? Die Zeichen deuten darauf hin. Einlasskontrollen, um die Zahl der Kunden zu begrenzen, gelten bereits heute. Oberberg-Aktuell hat in Ründeroth und Gummersbach mit Geschäftsinhabern gesprochen und ein unterschiedliches Meinungsbild erhalten. Trotz wirtschaftlicher Sorgen ist man mit Blick auf die Gesundheit mehrheitlich für eine Schließung der Geschäfte, es gibt aber auch einen anderen Lösungsvorschlag.
Silvia Hönig betreibt in Ründeroth die „Schlaf Oase“, wo es Beratung und Dienstleistungsservice rund um das Thema Betten gibt. Auf 60 Quadratmetern Verkaufsfläche ist sie immer nah am Kunden. Körperkontakt ist für sie Voraussetzung, weil das Anfassen der Wirbelsäule für den Kauf der richtigen Matratze unerlässlich ist. Deswegen bietet sie derzeit ihren Klienten nur nach Terminabsprache den „Schlafservice“ an. Ihre Kunden kommen fast immer nur zu zweit. Die vorgeschriebene Quadratmeterbegrenzung spielt für sie deswegen praktisch keine Rolle. Falls sie ihr Geschäft schließen muss, wäre sie trotzdem vor Ort. „Die Buchhaltung muss gemacht werden und es sind einfach zu viel Dinge zu erledigen“, berichtet sie und schließt deswegen eine Rufumleitung in ihre Privatwohnung kategorisch aus.
[Körperkontakt ist bei der Beratung unerlässlich.]
Sehr umsatzstark sind bei ihr die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr: „Dann haben die Menschen Urlaub und dementsprechend Zeit für eine umfangreiche Beratung“. Rund anderthalb Stunden plant sie dafür ein. Ein Lockdown aus betriebswirtschaftlicher Sicht würde sie demzufolge hart treffen, auch wenn der Dienstleistungssektor, wie etwa der Bettenaufbau beim Kunden, weiterliefe. „Wenn ich privat nicht vorgesorgt hätte, müsste ich mir bei einer längeren Schließung Sorgen um die Existenz machen“, betont die Inhaberin. Trotzdem: Für Hönig wäre die Schließung unumgänglich, denn die Gesundheit ginge in jedem Fall vor.
Einige Meter weiter betreibt Sebastian Gissinger die Hirsch-Apotheke und ist dort einer von 16 Mitarbeitern des elterlichen Unternehmens. In den Verkaufsraum (ebenfalls 60 Quadratmeter) dürfen per se nur drei Kunden gleichzeitig eintreten, auch wenn rein rechtlich mehr zugelassen wären. „Wir haben keine Laufkundschaft, die sich in Verkaufsregalen umschauen“, so der Apotheker. Die meisten Kunden sind erkrankt und werden deswegen bereits am Eingang mit einem Stopp-Banner zum Warten aufgefordert. Jeweils nach Aufforderung bittet man sie zu einem der drei Beratungsplätze. Dort sind zusätzlich Plexiglasscheiben verbaut. Penibel achten die Mitarbeiter auf Einhaltung der Regeln.
Auch wenn die Hirsch-Apotheke als systemrelevanter Betrieb in jedem Fall geöffnet bleibt, ist Gissinger, der auch als Vorsitzender die Geschicke der Werbegemeinschaft „Aktivkreis Ründeroth“ leitet, für einen harten Lockdown. „Wir können nur gesund bleiben, wenn wir uns nicht persönlich treffen“, so sein Argument. Allerdings schränkt er ein, dass dieser erst nach den Weihnachtsfeiertagen in Kraft treten solle. Denn schließlich gehe es in der umsatzstärksten Zeit des Jahres bei vielen Betrieben um das wirtschaftliche Überleben.
Ebenfalls nicht betroffen von einer möglichen Schließung ist Michael Lamm, Marktleiter im Ründerother Rewe-Supermarkt, der als eine von zwei Filialen im Familienbesitz betrieben wird. Lamm gehört sogar zu den Gewinnern der Pandemie, die Umsätze sind seit März stetig gestiegen. Auf den 1.400 Quadratmetern des Kundenbereichs stößt man nur ganz selten an Kapazitätsgrenzen. Trotzdem hat Lamm Begrenzungen eingeführt, um möglichen Ansturm in Grenzen zu halten. Nur jeweils zwei Personen dürfen mit einem Einkaufswagen das Geschäft betreten, 50 Wagen stehen vor dem Supermarkt zur Verfügung. Auf ein Ampelsystem, wie bei Mitbewerbern schon seit einiger Zeit installiert, kann Lamm so getrost verzichten. Ein eigens abgestellter Mitarbeiter überwacht am Eingang die Einkaufswagenpflicht, die seit 1. Dezember wieder gilt.
Trotzdem kommt es gelegentlich zu Menschenansammlungen auf engem Raum: „Besonders im Lebensmittelbereich und an der Kasse“, berichtet der Marktleiter. Dann „entzerren“ die Mitarbeiter umgehend die Situation. Anders als seine Vorredner, ist Michael Lamm prinzipiell gegen eine Schließung des Einzelhandels, die wirtschaftlichen Nöte seien vielerorts schon jetzt groß, zeigt sich der Marktleiter solidarisch. „Das könnte man im Einzelfall besser über individuelle Maßnahmen regeln“, meint Lamm. Zum einen wurden die Öffnungszeiten vor allem zum Schutz der Mitarbeiter verkürzt, zum anderen ist man mit Rewe wegen der Einrichtung eines Abholservices im Gespräch. Letzterer kann aber wegen einer umfangreichen Systemumstellung noch nicht sofort realisiert werden. Mittelfristig sei das aber ein Weg zur weiteren Entzerrung der Kundenströme.
Uwe Gothow, Chef der Agentur GMErleben in Gummersbach meint, dass es endlich klare und einheitliche Richtlinien für den Einzelhandel brauche. „Für die Händler muss es endlich Planungssicherheit geben, egal was auf Seiten der Politik in den kommenden Tagen beschlossen wird“, so Gothow. Es herrscht - so erfährt er bei seinen Geschäftsbesuchen - überall totale Unsicherheit. Als Beispiel nennt er die Planungen der Inhaber zu den verkaufsoffenen Sonntagen, die letztlich per Gerichtsurteil ausgesetzt wurden. „Vielleicht hätte die Durchführung für Entzerrung vor Weihnachten gesorgt. Hinzu kommt die wirtschaftliche Unsicherheit. Sollte der Komplett-Lockdown kommen, wünscht er sich Hilfen, wie es sie in der Gastronomie gibt. Allerdings ist finanzielle Unterstützung von staatlicher Seite laut Gothow nicht geplant.
Auch wenn er persönlich der Überzeugung ist, dass härtere Maßnahmen - ähnlich wie im Frühjahr - aufgrund der hohen Infektionszahlen längst überfällig seien, könnte er sich für den gebeutelten Gummersbacher Einzelhandel Modelle wie sie beispielsweise in Tübingen praktiziert werden, vorstellen. Mit der Schaffung von Einkaufsslots ist die Vermischung von Alters- und Risikogruppen eingrenzbar. „Dabei könnte für Menschen über 70 Jahren beispielsweise der Vormittag zur Verfügung stehen." Allerdings schränkt er ein, dass eine Umsetzung in der Praxis wohl schwierig sei.
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