LOKALMIX
Auf Tuchfühlung mit Tore, Floki und vielen Weiteren
Reichshof - Bei Miriam Mertens und ihren 17 Tieren auf einem Hof in Alpe sind bald ganz besondere Begegnungen möglich.
Von Leif Schmittgen
Im beschaulichen Reichshof-Alpe hat Miriam Mertens 2021 einen alten Bauernhof erworben und steht nun kurz davor, ihren Lebenstraum in die Tat umzusetzen. Denn auf dem rund zwei Hektar großen Gelände wohnen insgesamt 17 Tiere, die sukzessive zu einem ganz besonderen Zweck angeschafft wurden, nämlich um bei der „Tiergestützten Intervention“ (TGI) Menschen Hilfe unter dem Motto „Seelentierzeit“ anzubieten. Dabei sind alle Maßnahmen gemeint, in die Tiere unterstützend eingebunden werden können. Die Herangehensweise, sich die positiven Eigenschaften zunutze zu machen, ist dabei zunächst völlig offen. Um die Methode vorzustellen, hat Mertens Oberberg-Aktuell zu einem Rundgang über den Hof eingeladen.
Kaum hat man das Grundstück betreten, warten am Gatter die Esel Tore und Floki (Foto rechts), die neugierig und freundlich reagieren. „Da geht jedem das Herz auf“, könnte Mertens die Begrüßungsszene kaum treffender umschreiben. Eines der Tiere schnuppert an den Händen der Besucher und fordert die Gäste auf, ihn zu streicheln, während sein Artgenosse die Szene mit etwas räumlichen Abstand beäugt. „Obwohl es die gleichen Tiere sind, haben sie unterschiedliche Charakter“, meint die 49-Jährige. Und genau hier sieht sie den Ansatz für ihr Angebot, das ab Sonntag, 1. September, für jedermann zugänglich gemacht wird. Man müsse lernen, das Verhalten der Hofbewohner zu verstehen und sie auf die Klienten zukommen lassen.
„Wir haben keine dressierten Tiere, die auf Kommando Kunststückchen machen“, betont sie. Zwang kommt für sie im Umgang mit den „Seelentröstern“ sowieso nicht infrage. Vielmehr verleihe alleine zum Beispiel das freundliche Erlebnis der Begrüßungszeremonie mit den Eseln automatisch ein Glücksgefühl, somit sei der erste Schritt des Hilfeangebots bereits getan. Wie jeder weitere ausgestaltet wird, hängt von den Wünschen der Klienten ab. Mit den Vierbeinern seien auch Spaziergänge möglich, bei den einige Meter weiter grasenden Islandpferden sogar das Aufsitzen. „Allerdings nur dann, wenn es im Einzelfall Sinn macht." Klassische Reitstunden finden nicht statt.
[Auch das Schaukeln ist auf Wunsch bei der Tierbeobachtung auf dem großen Areal möglich.]
Die individuelle Ausgestaltung der Begegnungsmöglichkeiten ist Teil der anderthalbjährigen Zusatzausbildung von Mertens zur TGI-Fachkraft. Sie ist studierte Grundschullehrerin, ihr pädagogisches Wissen hat sie als Grundlage für die Schulung genutzt und nun den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt. Dass sie mit ihrem Angebot vermutlich nicht reich wird, ist ihr bewusst. Für Mertens ist die Hilfe viel wichtiger. Während der Coronapandemie hatte sie sich aus gesundheitlichen Gründen in Therapie begeben und ein TGI auf eigene Kosten ergänzt. „Das hat mir unheimlich viel gegeben“, blickt sie auf die Erlebnisse mit leuchtenden Augen zurück.
Dieses Glücksgefühl möchte Mertens nun zum Beispiel an depressive Menschen oder deren Angehörige, Menschen mit Handicap, Senioren, Kita- oder Schulkinder weitergeben. Dabei hofft sie auf die Zusammenarbeit mit vielen Institutionen oder Fördervereinen, denn eine TGI wird bis dato nicht von Krankenkassen übernommen und muss aus eigener Tasche bezahlt werden. „Kürzlich fragte mich eine Frau, die Angst vor Pferden hat, die Tiere aber mag, ob eine behutsame Kontaktaufnahme möglich sei“, nennt Mertens ein weiteres Anwendungsbeispiel ihres Angebots.
Auch wer einfach mal eine Auszeit genießen und nichts tun möchte, ist auf dem Alper Hof willkommen. Und genau das machen die vier Schafe auch. Die je zur Hälfte aus anderen TGI-Angeboten und dem Tierschutz stammenden Tiere haben derzeit einfach "keinen Bock" (Foto oben) und aalen sich trotz des sich nähernden Besuchs unbeeindruckt in der Mittagssonne. In einigen Metern Entfernung nimmt Mertens auf der Wiese Platz und beobachtet ihre Schützlinge ebenfalls völlig entspannt (Foto unten). Auch das kann helfen.
Beim Verlassen des großen Geländes unterbricht Mertens plötzlich das Gespräch. „Da, da sind ja meine Hühner“, freut sich die Tierbesitzerin über den Spontanbesuch der Hennen und holt schnell ein paar Körner hervor, um sie anzulocken. Die Hühner fressen aus der Hand, neben diesem Erlebnis bleibt der Kontakt mit flauschig warmen Federn in Erinnerung. Der Besucher hat zum Abschied die Erkenntnis, dass es sich bei allen Tieren um weit mehr als bloßes Nutzvieh, sondern um Individuen mit Persönlichkeit handelt. Die Riege der tierischen Bewohner wird durch einen Hund und zwei Katzen komplettiert.
Am Samstag, 14. September, von 15 bis etwa 16:30 Uhr lädt Miriam Mertens Interessierte zu einem Kennenlerntag ein. Der Eintritt ist kostenfrei, eine vorherige Anmeldung unter seelentierzeit@posteo.de aber unbedingt erforderlich. Ab dem Eröffnungstag am 1. September ist dann auch die Homepage seelentierzeit.de online.
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