BLAULICHT

Schüsse in Gummersbacher Fußgängerzone: Psychiatrie oder Gefängnis nach Messer-Attacke?

pn; 08.08.2024, 16:55 Uhr
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Foto: Peter Notbohm ---- Das Verfahren gegen einen 31-jährigen Gummersbacher (hier mit seiner Verteidigerin Juliana Metten) wegen der Schüsse in Gummersbacher Innenstadt im vergangenen November wird nun vor dem Landgericht Köln neu aufgerollt. Eine Große Strafkammer muss klären, ob der Mann in eine Psychiatrie eingewiesen wird.
BLAULICHT

Schüsse in Gummersbacher Fußgängerzone: Psychiatrie oder Gefängnis nach Messer-Attacke?

pn; 08.08.2024, 16:55 Uhr
Gummersbach - Verfahren vor der Großen Strafkammer am Landgericht Köln eröffnet - Kammer muss klären, ob ein 31-Jähriger in eine Forensik eingewiesen werden muss.

Von Peter Notbohm

 

Alles auf Anfang. Bereits zum zweiten Mal werden die Geschehnisse in der Gummersbacher Fußgängerzone vom 14. November des vergangenen Jahres juristisch aufgearbeitet. Die Vorwürfe gegen Alex H. (Anm.d.Red.: Name geändert) haben sich nicht verändert. Das Video der Polizei-Schüsse vor der Filiale des Backwerks in den Innenstadt, das damals binnen Minuten viral ging, ist vermutlich heute noch auf zahlreichen Handys abgespeichert (OA berichtete und OA berichtete). Zuvor hatte der 31-jährige Gummersbacher einen Polizisten mit einem Cutter-Messer an der Nase verletzt.

 

Inzwischen liegt das Verfahren bei der 18. Großen Strafkammer unter dem Vorsitz von Richter Volker Köhler am Landgericht Köln, nachdem sich das Amtsgericht Gummersbach nach über 30 Zeugen für nicht zuständig erklärt hatte und den Fall am 7. Juni verwiesen hat (OA berichtete).

 

Der Grund: Nach dem vorläufigen Ergebnis des mehrwöchigen Prozesses und dem Gutachten der Sachverständigen Dr. Anette Korte, die dem Angeklagten am letzten Verhandlungstag eine schwere Persönlichkeits- und Verhaltensstörung attestiert hat, kommt eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus in Betracht – eine verminderte Schuldfähigkeit sei nicht auszuschließen. Darüber darf nur ein Landgericht entscheiden.

 

Auch sein Verteidiger Udo Klemt hatte im Rahmen der bisherigen Verhandlungstage immer wieder darauf hingewirkt, dass das Verfahren verwiesen wird und im Anschluss von der „richtigen Herangehensweise“ des Gerichts gesprochen. Ähnlich äußerte sich der Adoptivvater von Alex H. damals gegenüber Oberberg-Aktuell: Er hoffe, dass seinem Sohn in einer Psychiatrie endlich geholfen werden kann.

 

Vor Gericht deutete die Verteidigung heute bereits an, dass man der psychiatrischen Gutachterin erlauben wolle mit den aktuell behandelnden Ärzten zu sprechen. Auch ein direktes Gespräch zwischen der Sachverständigen und dem Angeklagten über dessen Vita soll in den nächsten Wochen möglicherweise erfolgen. Dieses hatte es bislang noch nicht gegeben.

 

Positiv aus Sicht von Alex H.: Er konnte den Gerichtssaal heute auf seinen eigenen Beinen betreten. In Gummersbach war er jeweils im Rollstuhl hereingeschoben worden, sein Anwalt hatte damals zum Prozessauftakt gesagt, dass aufgrund eines durch die Schüsse beschädigten Nervens im Oberschenkel noch unklar sei, ob sein Mandant überhaupt jemals wieder laufen kann.

 

An der Verteidigungsstrategie hat sich aber auch am Landgericht nichts geändert: Auch hier schwieg Alex H. zu allen Vorwürfen. Trotzdem wirkte er deutlich wacher als noch in Gummersbach, sprach auch vereinzelt kurz mit der Kammer. Dass er seinen Kopf trotzdem immer wieder auf dem Tisch ablegte, die Augen mehrfach schloss bzw. stark zitterte, begründete er damit, dass er trotz Schmerzmitteln immer noch Schmerzen habe - „aber ich höre zu“. Deutlich zu sehen: seine verkrüppelten Hände, an denen nach den Schüssen mehrere Finger fehlen.

 

Gestartet ist der Prozess am Donnerstag mit über 40 Minuten Verspätung. Zunächst musste die Kammer klären, ob einer der Schöffen befangen sein könnte, da er aus Gummersbach stammt und damals die öffentliche Diskussion und die Presseberichterstattung dementsprechend mitbekommen hatte. Zudem habe er dem Vernehmen nach regelmäßigen, beruflichen Kontakt zu dem Passanten, der bei der Schießerei von einer Kugel in der Leiste getroffen wurde. Gegen sein Mitwirken an dem Prozess gab es aber keine Einwände.

 

Die Schüsse in der Fußgängerzone, der vorangegangene Diebstahl mehrerer Bierdosen im Dornseifer im Forum sowie die Geschehnisse im Rahmen der Verfolgung am Busbahnhof waren heute allerdings noch kein Thema (OA berichtete). Auch nicht der Angriff auf seinen ehemaligen Vermieter im Oktober 2022 (OA berichtete). Zunächst widmete sich die Kammer den Vorwürfen vom 24. Juni des vergangenen Jahres. Alex H. soll in Dieringhausen in der Nähe des Kauflands nach einer mutmaßlichen gefährlichen Körperverletzung gegen eine Mitbewohnerin aus der Gummersbacher Notunterkunft Widerstand gegen Polizeibeamte geleistet haben und diese dabei verletzt haben.

 

Einer der beiden verletzten Beamten tritt – anders als noch am Amtsgericht – nun auch als Nebenkläger im Verfahren auf. Der 26-Jährige sagte heute aus, dass Alex H. versucht habe, ihn mehrfach zu beißen und ihm im Rahmen einer Rangelei am Dieringhausener Bahnhof einen Ellbogenschlag auf die Nase versetzt habe. Dabei sei er gestürzt, wobei er sich eine Außenbandzerrung, eine Ruptur des Syndesmosebandes und eine Prellung an der Nase zugezogen habe. Erst der Einsatz von Pfefferspray habe den Angreifer beruhigen können.

 

Der Polizist musste sechs Wochen lang eine Schiene tragen, war dienstunfähig geschrieben und konnte anschließend weitere sechs Wochen nur Innendienst leisten. Auch seine Kollegin (24) wurde verletzt: Sie erlitt eine Zerrung in der Schulter, die sie ebenfalls ein halbes Jahr beeinträchtigte.

 

Während das mutmaßliche Opfer der gefährlichen Körperverletzung heute nicht vor Gericht erschien, sagten zwei Mitarbeiter des Gummersbacher Ordnungsamtes aus. Sie berichteten von einem Aufeinandertreffen mit dem Angeklagten, bei dem er auch sie attackiert worden waren. Er habe damals keine Reaktion auf den Einsatz von Pfefferspray gezeigt. Vor allem die Mitarbeiterin zeigte sich schockiert von dessen damaligen Verhalten: „Angst habe ich heute keine, aber man ist vorsichtiger geworden – auch bei eigentlich unauffälligen Menschen.“

 

Schockierend waren auch die Beschreibungen der beiden Ordnungsamtsmitarbeiter von der Wohnung des Angeklagten in der Notunterkunft: Sie sei völlig vermüllt gewesen, die Wände mit Fäkalien beschmiert und überall hätten Flaschen mit Urin herumgestanden. „Alle Bewohner hatten Angst vor ihm, er hatte auch ein Messer herumliegen.“

 

Der Prozess wird fortgesetzt

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