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700 Jahre: Festakt, buntes Treiben auf dem Mittelalter-Markt und Bläck Föös
(ls, om/12.5.2001-4:30) Von Leif Schmittgen
Bergneustadt - Zahlreiche Ehrengäste waren beim offiziellen Festakt zum 700. Geburtstag der Stadt in der Aula der Realschule Buntes Treiben bei der Eröffnung des mittelalterlichen Marktes - Bläck Föös als gelungener Abschluss des Tages.

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Der Bürgermeister der Stadt Bergneustadt, Karl Siegfried Noss, begrüßte die
anwesenden Gäste, darunter unter anderem den stellvertretenden
Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Dr. Michael Vesper, Regierungspräsident Jürgen
Roters und Landrat Hans-Leo Kausemann. Auch dessen Amtsvorgänger Hans Wichelhaus und Herbert Heidtmann waren zugegen. Noss dankte in seiner Rede auch dem Handel und Handwerk, ohne den "dieses blühende Leben nicht möglich wäre".

Abitur im "feindlichen" Gummersbach
Die Festrede hielt Frank-Rutger Hausmann, Professor für romanische Literaturgescvhichte an der Universität Freiburg. Mögen manche hier einen ellenlangen und langweiligen Vortrag erwartet haben, fesselte Hausmann mit Erinnerungen an seine Jugend die Zuhörer. "Ich möchte nicht verhehlen", gestand der Professor, "dass ich einen Augenblick gezögert habe, der Einladung Folge zu leisten und einen Festvortrag zu halten". Den was befuge ihn schon dazu? Auf der Habenseite stünden zwar die Vorfahren aus Bergneustadt und dem Umland, und dass er seine ersten 19 Jahre in der Feste verbracht habe, "aber auf der Sollseite schlägt zu Buche, dass ich in Hannover geboren wurde, im 'feindlichen' Gummersbach mein Abitur ablegte und seit vielen Jahren in der Fremde, in Freiburg im Breisgau lebe".

Eins sei aber sicher, erklärte Hausmann: Aus der Ferne erinnert es sich leichter, vielleicht auch genauer, in jedem Fall mit mehr Liebe und Anhänglichkeit." Nach 30-jährigem Krieg und Napoleonszeit habe Bergneustadt das "stattliche Alter" von 700 Jahren erreicht: somit nicht gerade älteste deutsche Stadt, aber doch im "guten Mittelfeld". "Dokumente belegen, dass Bergneustadt wirklich 700 Jahre alt ist", erläuterte der Professor.
Doch sehen könne man dies kaum noch, von den einstigen Befestigungsanlagen, dem Schloss und anderen Represäntativbauten sei außer Bruchstücken nichts mehr erhalten. "Das älteste Bauwerk dürftre die evangelische Kirche in der Altstadt sein, die aus dem Jahre 1683 stammt, die ältesten Häuser datieren von 1743 und wurden auf älteren Kellerfundamenten errichtet. Die ältzere Geschichte ist eine von Katastrophen und Niedergang."

Erst seit 1857, als der Stadt nach der preußischen Ordnung wieder städtische Rechte zugestanden wurden, habe ein Aufwärtsschwung eingesetzt. "Die Stadt dehnte sich aus, die Bevölkerung wuchs, der Wohlstand mehrte sich und die Strukturkrisen der heimischen Textil- und Metallindustrie wurden gemeistert."

"Wie steht es heute um die Stadt?"
"Wie steht es nun heute mit der Stadt?" fragte Hausmann. Er habe noch gute Erinnerung an das Fest zum 675. Geburtstag, "die nachgebauten Tore, das Treiben der Landsknechte, den Ochsen am Spieß, die Sitzungen des Femegerichts und den prächtigen Festzug". 1950 habe es noch keine "wirkliche Kommunikation" gegeben, erinnerte er, keine Mobilität und keinen Luxus. "All das, was heute die Globalisierung ausmacht, war unbekannt: Telefon, Fernsehen und erst recht Internet, Auto Straßennetz, Massentourismus, Kühlschrank, Waschmaschine und Zentralheizung. Ich sehe mich noch als Kind ungestört auf der Wallstraße spielen, die keine Asphaltdecke hatte, die Straßenbeleuchtung war spärlich, Autos eine Seltenheit."
Wer gekonnt habe, so Hausmann weiter, habe Kleinvieh gehalten oder gar ein Schwein zum Schlachten im Herbst, "man wusch sich am einzigen Wasserkran in der Küche, badete einmal in der Woche in einer Zinkwanne, verrichtete die Notdurft in einem holzverkleidetem Abtritt im Garten und ernährte sich im Sommer zum Großteil von eigenen Gartenprodukten, im Winter von riesigen Bergen eingekellerter Kartoffeln, Eingemachtem oder sonstwie sterilisierten Lebensmitteln."

Diese Welt gebe es schon lange nicht mehr, wusste der Professor. Es sei leichter und bequemer geworden. Durch den Zuzug von Bombengeschädigten aus dem Zweiten Weltkrieg aus dem Rheinland und den Heimatvertriebenen aus den verlorenen Ostgebieten sowie der Gastarbeiter aus Italien, Griechenland und Spanien, später der Türkei, habe sich die Zusammensetzung der Bevölkerung der Stadt erheblich verändert. "Sie verdoppelte sich, das Wirtschaftswunder spülte Geld in die Kasse, eine rasante Bautätigkeit setzte ein, das den alten Stadtkern, die Fellmicke und die Fabriken und Häuser entlang der Kölner Straße umgebende Grünland wurde bebaut."

Hausmann besann sich auf heute: "Das Bergneustadt meiner Kindheit und Jugend gibt es schon lange nicht mehr." Auch die Altvorderen, die dunkel gekleidet, von der Arbeit gekrümmt und von Sorgen beschwert immer viel älter ausgesehen hätten, als sie in Wirklichkeit waren, nicht. "Nach Feierabend saßen sie auf der Bank vor dem Haus, um zu 'nobern', Nachbarschaft zu pflegen und den Tag ohne Fernsehen oder sonstige Zerstreuung ausklingen zu lassen. Viele sprachen noch Neustädter Platt, einen kernigen Dialekt, der ebenfalls untergegangen ist", bedauerte Hausmann.

Sprung in die Moderne gut geschafft
Er aber freue sich dennoch, "dass ich in der heutigen Zeit lebe, auch wenn sie vielleicht hektischer und orientierungsloser ist als die Vergangenheit". Es lebe sich so leicht und angenehm wie nie zuvor in einem Rechts- und Sozialstaat, der in ein großes und wachsendes Europa integriert sei, "und es gibt sogar die berechtigte Hoffnung auf dauerhaften Frieden und Verständigung der Völker". Bergneustadt, so Hausmann, habe den Sprung in die Moderne "gut geschafft". Die Balance zwischen industriellem Standort, Verwaltungszentrum und Ausgangspunkt zahlreicher Aktivitäten der Freizeit und Erholung dank intakter Natur sei gut gelungen.
Der stellvertretende NRW-Ministerpräsident Manfred Vesper freute sich über die musikalischeBegleitung der Musikschule: "Die haben den Blues im Blut." Er meinte weiter, dass es Bergneustadt in den 700 Jahren zu einer florierenden und blühenden Stadt gebracht habe. Das Abrufen der Fördergelder von 644 Mark pro Einwohner sei überdurchschnittlich gut. Dies zeige, dass die Identifikation mit der Heimat sehr stark sei. Wie gut die Gelder eingesetzt wurden, sehe man am frisch restaurierten Rathaus.

Vesper freute sich auch auf ein frisches Kölsch, denn die Brauereirechte des inzwischen in Bielstein hergestellten Gerstensaftes hatte im Jahr 1378 die Stadt Bergneustadt erworben. Als Gastgeschenk versprach Vesper, dass der Städtebau im nächsten Jahr weiter gefördert werden solle, speziell der Krawinkel-Saal.

Bergneustadt jung? Rösrath muss 699 Jahre auf Feier warten
Regierungspräsident Jürgen Roters erklärte in seiner Ansprache, dass Bergneustadt im Gegensatz zu Köln ja noch relativ jung sei. Er berichtete aber auch, dass Rösrath erst seit diesem Jahr die Stadtrechte besitze und die Rösrather jetzt noch 699 Jahre warten müssten, um ein Fest wie dieses feiern zu können.
Wichtig sei es, so Roters, dass sich Bergneustadt mit der Region identifiziere und kooperiere. Dieses müsse aber von beiden Seiten geschehen,
da auch eine Stadt wie Köln ohne sein Umland nicht existieren könne. Landrat Hans Leo Kausemann hatte einige der 13 oberbergischen Bürgermeister mit zur Veranstaltung gebracht; darunter Christoph Waffenschmidt (Waldbröl), Gregor Rolland (Reichshof), Uwe Töpfer (Marienheide) und Paul-Gerhard Schmitz (Gummersbach).
Er bestätigte der Landesregierung, dass die Gelder gut eingesetzt wurden, und bat gleichzeitig, dass auch das Umland mehr unterstützt werden sollte. Zum Abschluss übereichte Kausemann ein Geschenk, dass vielleicht bald Seltenheitswert hat. Er übergab ein Säckchen gefüllt mit
700 Mark.

Buntes und mittelalterliches Treiben in der Altstadt
Bei strahlend blauem Himmel konnten sich die Besucher auf dem Mittelalterlichen Markt von Kramer Zunft und Kurtzweyl rund um die evangelische Kirche in der Altstadt in eine andere Zeit versetzten lassen. Dort herrschte buntestes Treiben. Zahlreiche Stände mit rustikalem Essen und Getränken sowie altertümlichem Schmuck waren aufgebaut. Die Speisen wurden mit Holzbesteck gereicht, und den
"Saft vom Apfel" oder den "köstlichen Gerstensaft" gab es aus Tonkrügen.
Gaukler und Musiker trieben ihr "Unwesen". Die Kinder sahen ein Kasperletheater und zu spontanen Tanz und Gesangseinlagen mit altertümlichen Instrumenten kam es auf dem festlich geschmückten Marktplatz auch. So waren auch Wahrsager, Schmied und natürlich die Stadtwache vertreten. Die Sprache der Gaukler und Händler war natürlich der Zeit angepasst: So wurde mit "Silberlingen" bezahlt und an den Stadttoren musste man "Wegezoll" entrichten.
Die Bläck Föös in der Feste Neustadt
Erneut begeister haben die Bläck Föös aus Köln, die nicht zm ersten Mal in Bergneustadt gastierten. Die Bielsteiner Erzquell-Brauerei hatte zum "Zunft Kölsch-Abend" mit der Kurt Krokus-Band und den den Kölner Musikern geladen. Das Publikum zeigte sich tesxtsicher und konnte nahezu alle Lieder mitsingen, dieser Abschluss eines Festtages kann ohne Zweifel als gelungen gelten. "Unser Veedel" zum Schluss durfte an diesem Abend ausnahmsweise auch mal für Nicht-Kölsche gelten, die Neustädter sahen sich sicher selber in dieser Rolle.