OBERBERGISCHER KREIS

Die stillen Stars – ohne sie geht es nicht

pn; 24.12.2024, 14:40 Uhr
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Foto: Peter Notbohm ---- Weihnachtlicher Besuch in der TelefonSeelsorge Oberberg (v.l.nr.): Birgit Iversen-Hellkamp (Sonderseelsorge des Kirchenkreis An der Agger) Michael Braun (Superintendent des Kirchenkreises An der Agger), Frank Helmenstein (Bürgermeister der Stadt Gummersbach) und Arno Wolter (Leiter der evangelischen TelefonSeelsorge Oberberg).
OBERBERGISCHER KREIS

Die stillen Stars – ohne sie geht es nicht

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pn; 24.12.2024, 14:40 Uhr
Oberberg - Nicht nur in der Weihnachtszeit sind die ehrenamtlichen Mitarbeiter der TelefonSeelsorge Oberberg im Einsatz - Gummersbachs Bürgermeister Frank Helmenstein besuchte die Einrichtung an Heiligabend.

Von Peter Notbohm

 

Gummersbachs Bürgermeister Frank Helmenstein nennt sie die „stillen Stars“. Nicht nur an Weihnachten, aber gerade rund um die Feiertage, hat die evangelische TelefonSeelsorge Oberberg viel zu tun. Daher war es Gummersbachs Stadtoberhaupt ein besonderes Bedürfnis ein letztes Mal in seiner Amtszeit eine seiner Traditionen zu pflegen: Den Besuch an Heiligabend bei jenen, die einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft leisten.

 

Unverzichtbare Arbeit aus Sicht Helmensteins, an der man auf keinen Fall sparen dürfe. „Einsamkeit ist die ultimative Geisel unserer Gesellschaft. Sie trifft viele an Weihnachten mit voller Wucht. Wenn wir mit diesem überkonfessionellen Angebot nur einen einzigen schlimmen Fall verhindern, hat es sich schon gelohnt“, sagt er. 2007 besuchte Helmenstein erstmals die Räumlichkeiten der TelefonSeelsorge. In seiner Amtszeit hat er zwei Umzüge erlebt, genauso viele Leiter und erschreckende Zahlen gehört.

 

Rund um die Uhr, 365 Tage im Jahre sind die Telefone der TelefonSeelsorge besetzt. Im Oberbergischen sind es 43 Ehrenamtler, die im Schichtsystem (jeweils vier Stunden) Anrufe entgegennehmen. Ist das (oberbergische) Telefon einmal nicht besetzt bzw. belegt, springen andere Standorte in Bonn, im Rhein-Sieg-Kreis oder in Köln ein.

 

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8.251 Kontakte gab es am oberbergischen Standort im Jahr 2023, daraus resultierten 7.288 Gespräche (2024 waren bis zum 23. Dezember 7.807 Kontakte). Der Altersschwerpunkt der Anrufer liegt zwischen 65 und 70 Jahren. Nicht immer gelingt es den Hilfesuchenden Worte zu finden, manchmal wird auch einfach nur geschwiegen, ehe man doch noch das Wort ergreift. Ein Telefonat dauert durchschnittlich 25,29 Minuten, etwa drei Prozent der Anrufer haben suizidale Gedanken. Besonders hoch ist der Anteil von psychischen Erkrankungen (überwiegend Depressionen). 40 Prozent der Anrufer geben diesen Background an. Depressive Stimmungen wurden bei 1.148 Gesprächen als Thema benannt, selbstverletzendes Verhalten bei 521.

 

„In der dunklen Jahreszeit werden die Gespräche tiefer, die Qualität ist eine andere. Gerade im Dezember gehen die Emotionen in die Höhe“, sagt Arno Molter, der Leiter der Einrichtung. Er ist der einzige Mitarbeiter, der öffentlich auftritt. Die Mitarbeiter bleiben ansonsten bewusst anonym. Namen werden auch am Telefon nicht genannt, es soll zu keinen privaten Kontakten zwischen telefonischem Seelsorger und Hilfesuchendem kommen. „Manchmal haben wir es auch mit aggressiven Menschen zu tun“, berichtet Molter. Im Oberbergischen sei noch nichts passiert, in Berlin sei eine Dienststelle aber auch schon einmal attackiert worden.

 

Die Themen variieren seit Jahren, bleiben im Kern aber doch gleich, berichtet eine der Mitarbeiterinnen, die beim Besuch des Bürgermeisters anwesend war: Themen wie Corona, Ukraine-Krieg, Trump oder die aktuelle politische Lage in Deutschland seien dabei häufig nur ein potenzierendes Vehikel für die ganz persönlichen Probleme.

 

„Der Redebedarf ist enorm hoch. Aber so lange jemand noch reden will, kann man auch noch intervenieren“, sagt sie. Häufig sei ihr eigener Redeanteil kaum messbar, während sich der Hilfesuchende die Seele vom Leib redet - oft hilft das bereits. Die ehrenamtliche Arbeit macht sie inzwischen seit sechs Jahren: „Es ist meine Möglichkeit der Gesellschaft etwas zurückzugeben.“

 

Ob er einen (Weihnachts-)Wunsch habe, wird Arno Molter gefragt. Der Einrichtungsleiter muss nicht lange überlegen: „Mehr Gemeinschaft statt Gesellschaft!“ Es benötige wieder mehr persönliche Kontakte und Partizipation und weniger Online-Kontakte; die sozialen Medien sieht er in diesem Zusammenhang kritisch. Dennoch baut die bundesweite Seelsorge auch ihr Online-Angebot im Chatbereich stetig aus.

 

Michael Braun, Superintendent Michael Braun des evangelischen Kirchenkreises An der Agger, sieht das Problem ähnlich: „Wir werden immer mehr Menschen, kommunizieren aber immer weniger.“ Auch Bürgermeister Helmenstein spricht sich für mehr Teilhabe der Menschen aus und verweist auf die große Nachfrage am im Sommer etablierten Seniorentreff in Dieringhausen (OA berichtete).

 

Im kommenden Sommer soll die nächste Ausbildungsrunde für neue Mitarbeiter der TelefonSeelsorge starten. Etwa 50 Ehrenamtler wären für einen runden Dienstplan nötig. Molter würde sich freuen, wenn man zumindest zu Stoßzeiten auch eine zweite Telefonleitung anbieten könnte, denn ein wichtiger Aspekt sei eben auch, dass man Menschen vor allem in der eigenen Region helfen wolle. Für einen Vollbetrieb von zwei Leitungen wären 70-75 Ehrenamtler notwendig.

 

Die Ausbildung ist anspruchsvoll und auch nicht für jeden geeignet: Jeder Kursteilnehmer muss mindestens 100 Stunden durchlaufen haben und auch bei einem Mitarbeiter hospitiert haben, bevor man allein eine Schicht übernehmen kann. Molter hofft, dass möglichst viele der Interessierten dabeibleiben und das Team verstärken.

 

Es ist aber auch eine finanzielle Frage: Jeder Ausbildungskurs kostet die TelefonSeelsorge 15.000 Euro. Umso größer war die Freude über das diesjährige Weihnachtsgeschenk, das Helmenstein im Gepäck hatte: Um der Telefonseelsorge Oberberg finanziell unter die Arme zu greifen, hatte der Vorsitzende des Verwaltungsrats bei seinem letzten Besuch einen besonders großen Scheck dabei: 2.500 Euro gab es aus den Mitteln der Sparkasse und der Bürgerstiftung.

 

Rund um die Uhr

 

Das Markenzeichen der Telefonseelsorge ist ihr niederschwelliges, unbürokratisches Angebot: Jede und jeder kann ohne Anmeldung, Krankenschein, Termin, jederzeit ohne Ansehen der Person anrufen, und zwar anonym, ohne Namensnennung. Die Arbeit geschieht vertraulich. Die Telefonseelsorger stehen unter Tel.: 0800/11 10 111 und Tel.: 0800/11 10 222 zur Verfügung und unterliegen der Schweigepflicht. Die Deutsche Telekom übernimmt seit 1997 die Gesprächskosten für alle Anrufe und gewährleistet damit Datenschutz.

 

Durch die Kooperation mit anderen Telefonseelsorgen ist eine Erreichbarkeit rund um die Uhr gewährleistet. Weitere Informationen, auch für Interessierte, die helfen möchten, gibt es hier.

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